Kapitel zweiundzwanzig

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Gabriels Sicht 

„Wie viel würden Sie dafür verlangen?", reißt mich eine dunkle Stimme aus den Gedanken. Angespannt fahre ich herum und ziehe meine Hände aus den Jackentaschen meiner Lederjacke – Felix hat mir hundertmal gesagt, ich dürfte keine Lederjacke zu meiner ersten Ausstellung anziehen. Und dann hat der Spinner noch darauf bestanden, dass ich mir eins seiner schwarzen Hemden leihe. Man stellt nicht jedes Mal aus, Gab, und wenn du es verkackst, war das dein erstes und einziges Mal, hat er mir grinsend gesagt und mir gestern einige Drinks gemixt, damit ich ausschlafe. Ich gebe es ja zu, ich war nervös. Aber jetzt bin ich es nicht, kein bisschen. „Was? Also äh wie bitte?", ich räuspere mich und mustere den Mann im Anzug. Er wirkt alt, fast wie ein alter Sack, er muss mindestens fünfzig sein und hat gräuliche Haare. „Das Bild. Das ist genial", er lächelt mich wissend an und tritt nah an die Leinwand heran. Schluckend lasse ich es zu und knacke mit dem Kiefer. Eigentlich habe ich nicht damit gerechnet, dass jemand von der Galerie auf meinen Kunst-Account stößt und mich einlädt; weil ich selbst nichts beisteuern konnte, wurde mir eine Leinwand ausgegeben – habe ich heute genug Erfolg, darf ich nächstes Jahr wieder ausstellen und bekomme Unterstützung. Das pisst mich auch mehr als an, dass ich ein Sozialfall bin. Deswegen wollte Pat mich auch nicht begleiten – als er dann wollte, wollte ich ihn nicht mitnehmen. Jetzt bereue ich es, dass ich es ihm verboten habe, aber es ist besser so. Wenn wir zwei zusammen hier wären, würden wir sofort wieder rausfliegen. Und Felix hatte keine Zeit, er hat andauernd beschissene Klausuren, abends die Bar und hängt jetzt öfter mit Terra herum – die beiden haben noch nicht mal rumgemacht, wie abgefuckt ist das denn? „Danke, es war – es war", stammele ich. Fuck, ich bin dumm. Seit wann kann ich nicht sprechen? Andererseits ist das hier eine scheißhohe Gesellschaft und am Ende will der Kerl mein Bild kaufen. „Eine Emotion? Das sieht man. Aber das macht es so besonders, so genial, so roh", er nickt anerkennend und fährt mit seinen Fingern über die dicke Farbe. Als ich es gemalt habe, war ich komplett besoffen. Und es war kurz nach der Eskalation. Also habe ich den ganzen Scheiß herausgelassen mit lauter Welten, die verschwimmen. Oben nur dunkel – dunkelblau, schwarz und braun – und unten ein Regenbogen mit lauter gelben, hellblauen, grünen, orangenen und roten Farbspritzern, die beinahe von den dunklen erdrückt werden, obwohl es gleichzeitig umgekehrt erscheint. Dazwischen sind noch graue, weiße, rosafarbene und violette Spritzer, die das Ungleichgewicht zerstören und über die Farben hinwegfegen. Nur hätte ich nicht gedacht, dass andere den Mist lesen und identifizieren können. Dummerweise habe ich nur genau für den Scheiß die Leinwand verbraucht. „Ja, ich hatte viel zu verarbeiten", erwidere ich nur rau und bin erleichtert, als der Alte mein Bild in Ruhe lässt. Danach redet er noch ein bisschen herum, schreibt sich meinen Namen und das Bild auf, um es vermutlich bei der Versteigerung zu kaufen und drückt mir seine Visitenkarte in die Hand. Danach geht das Treiben weiter. Um mich herum sind lauter Frauen in engen Kleidern und Highheels, Männer in Sakkos und Anzügen, einer sogar im Kleid. Ab und zu schlendern welche zu mir, aber ich will hier auch nicht weg. Mich unter eine Menge Eliteleute zu mischen, ist keine Option. Obwohl die Kunst der anderen mich auch irgendwie interessieren würde. Seufzend lehne ich mich an die saubere Wand und ziehe unauffällig mein Handy heraus. Tatsächlich verpasse ich wohl sogar etwas in unserem Dreierchat:

Pat: Naaaa wie ist es?

Pat: fuck mein Bruder ist echt auf einer Ausstellung! Ich fasse es nicht!!

Felix: Benimmst du dich auch gut?

Pat: Gräfe benimmt sich übrigens nicht gut ^^ Statt Bestellungen aufzunehmen, „redet" er mit Terra hier

Felix: wir reden halt wirklich nur, du Idiot

Felix: Andy kommt heute übrigens noch zur Schicht ... steht auf dem Plan

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt