Repressed Colours (Band 1)

Kapitel vierundzwanzig

Gabriels Sicht 

„Ihr seid aber beide nicht in Bestform", kommentiert Felix trocken, als ich Pat gerade einen verpasse. Als ich seinen Kiefer treffe, taumelt mein Bruder für einen Moment und verengt die Augen. Wütend holt er aus, doch ich blocke ihn ab und attackiere ihn erneut. Dass unser bester Freund, der selbst nicht einmal boxt, uns beleidigt, spornt mich nur an. Vermutlich weiß er das genau. Knurrend reiße ich mich nochmal zusammen und versuche aufeinander folgende Punches in Pats Bauch und gegen seinen Hals, er keucht und spuckt irgendwann genervt den Mundschutz auf den Boden. „Fuck, Mann", flucht er los und wirft mich mit seinen nassgeschwitzten Handschuhen ab, ich lache mit dem Mundschutz (gar nicht so einfach) und beobachte, wie mein Zwilling aufgibt, sich schnaufend über den Ring lehnt und sich von Felix eine Wasserflasche zuwerfen lässt. „Halt die Fresse, Gräfe", fährt er ihn an, dabei hat unser bester Freund noch nichts weiter gesagt. Er lehnt nur süffisant grinsend an der Wand und mustert uns. „Ich habe nichts gesagt", brummt er auch und pustet sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Oh Wunder, dass sein Hoodie dieselbe Farbe hat. „Stimmt, du Wichser. Du musst mir zu meinem Sieg gratulieren", schnaube ich und er zeigt mir lachend den Mittelfinger. Er lacht. Das fällt mir auf jeden Fall auf. „Träum weiter, Gab", neckt er mich und nickt mir aber anerkennend zu. „Nerv nicht. Was machst du überhaupt hier?", geht Pat ihn an – das ist seit ein paar Tagen typisch. Seit Andy wieder hier ist, kann er sich nie entscheiden, ob er scheiße zu uns oder zu ihr sein soll. „Zeit mit euch verbringen, allerliebster Pat", Felix ist sichtlich gelangweilt von Pats Aggression und stößt sich von der Wand ab. „Hab erst heute Abend ne Schicht und will was mit euch machen. Mal wieder ein Trip?", fragt er und ich stimme ihm sofort zu. „Klar, wo holen wir uns was?" Einfach mal rauszukommen ist eine gute Idee. Wieder zu diesem Baum oder in den Wald fahren und dort mal etwas essen, was keine Tiefkühlpizza ist. „Meinetwegen. Ich gehe duschen", ist Pat noch immer zum Kotzen. Felix und ich verdrehen beide nur die Augen und ich schnappe mir erst noch mein Zeug vom Boden, bevor ich meinem Zwilling folge. Moment mal. Bevor ich die Nachricht öffne, checke ich, dass Pat bereits in den Duschen ist. Ob Felix das liest, ist mir irgendwie egal. Er lehnt hinter mir und sieht mich fragend an, ob er mit drauf schauen soll. Eine Insta-Nachricht. Erst denke ich an Raphael, aber dann rufe ich mir in Erinnerung, dass er mir nicht geschrieben haben kann. Ich habe ihn blockiert. Und das muss verdammt nochmal so bleiben, auch wenn ich das Bedürfnis habe, ihm wieder zu schreiben; besonders nach gestern. „Passender Nickname", kommentiert Felix das, was mir angezeigt wird.

takemeasIam_or_don't: Hey Gab, hier ist Andy, für den Fall, dass du die Nachricht nicht zu Ende liest :P Keine Sorge, Pat hat mir nichts von deinem Kunst-Account verraten, war nur nicht schwer zu erraten nach seinen Andeutungen, seinen Verlinkungen und den letzten Wochen ... Ich wusste nicht, wie ich dich sonst alleine erwischen kann oder wo ich dich abpassen könnte. Können wir reden? Bitte.

„Hmpf", höre ich mich halblaut machen. Das ist gar nicht gut. Da steht nichts von einem Wir, da steht etwas davon, dass sie mit mir alleine reden will, verdammt. Damit würde ich Pat vermutlich in den Rücken fallen . Oder ihn und Andy wieder zusammenbringen. Fuck. „Ich finde es ne mutige und coole Aktion von ihr", spürt Felix meine Unsicherheit und sieht mich auffordernd an. „Gib ihr eine Chance, Gab. Sie hat extra nicht mit mir geredet, obwohl wir uns bei den Schichten sehen. Na gut, ein bisschen redet sie schon mit mir, aber sie weiß, dass du ausschlaggebend für Pat bist. Und sie weiß, dass es euch nur im Doppelpack gibt. Glaubst du ernsthaft, er würde ihr noch eine Chance ohne deine Zustimmung geben? Jetzt doch erst recht nicht mehr", Felix stößt mich in die Seite und schnappt sich mein Handy. „He, du tippst jetzt keine Antwort", drohe ich ihm, er lacht leise. „Natürlich nicht. Aber ich will ihren Account anschauen", raunt er mir zu. Entfernt hören wir das Wasser rauschen; immerhin kriegt Pat wirklich nichts von der Sache mit. „Hm, ihren wahnsinnig spannenden Account. Der sieht bestimmt aus wie Pats in weiblich. Im Ernst, wenn sie sogar einen blöden The Score-Lyrik als Nickname hat", ich verdrehe heute erneut die Augen und Felix lacht leise. „Das hast du ja schnell erkannt." „Ey, hab ich wirklich", schnaube ich, „und jetzt gib wieder her." „Na gut, na gut. Aber du musst zugeben, dass die beiden wirklich gut zusammenpassen", er hält mir das Handy hin und als ich nicht antworte, zieht er es wieder zurück. „Das sagst du erst seit Terra. So eine Scheiße", brumme ich, Felix zuckt mit den Schultern. „Kein Plan, aber wenn du das sagst." „Ja. Außerdem kann ich Andy ja schlecht zusagen", luchse ich ihm mein eigenes Handy wieder ab und will anfangen zu tippen, da schüttelt Felix den Kopf. „Doch, mach etwas für heute mit ihr aus. Ich lenke Pat ab, da fällt mir schon etwas ein. Wie wäre es mit abends? Im Notfall soll Pat die Bar übernehmen, damit ich mit Terra ... was weiß ich", plant er diabolisch, jetzt lache ich. „Tanzen? Sie tanzt wohl heiß, das meintet ihr beide nach gestern", schlage ich ihm vor, er grinst versaut. „Schon. Aber ich weiß nicht", bleibt er verschlossen. Jetzt verpasse ich ihm einen Stoß in die Seite. „Na los, dann nutze wenigstens das Ablenkungsmanöver. Tanz richtig geil mit Terra und reib dich an ihr, was weiß ich. Dann treffe ich mich mit Andy und wir kommen pünktlich zu ihrer Schicht. Noch besser, dann lässt du deine Schicht ausfallen und Pat soll die ganze Nacht für dich einspringen und mit Andy hinter der Bar stehen", ich werde bei jedem Wort sarkastischer. Felix zeigt mir nur den Mittelfinger. „Komm, das ist ein Plan. Aber streiche den letzten Teil, das ist zu ironisch. Also schreib ihr, bevor Pat das jetzt schon mitkriegt und uns den Arsch aufreißt", fordert er mich nochmal auf. Aber er hat recht. Das könnte funktionieren, ohne, dass wir Pat verärgern und ihm sogar einen Gefallen tun – und sogar Felix wegen Terra. Seufzend tippe ich eine Antwort an Andy, die mal wieder allen anderen etwas bringt, nur mir nicht.