Kapitel vierunddreißig

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Gabriels Sicht 

„Gab warte, bevor wir da jetzt reingehen ... Ich muss dir etwas sagen, wofür du mich vermutlich schlagen willst", Pat packt mich am Arm und reißt mich zurück, als wir den Club betreten wollen. Fragend lehne ich mich an die schmutzige Hauswand und verschränke meine ledernen Arme vor der Brust. Mein Bruder fährt sich durch die blonden Haaren und schaut in den Himmel, als würde da die Scheiß-Antwort stehen, ob er mir mal wieder etwas gestehen soll. Fuck, eigentlich müsste ich ihm etwas gestehen. „Was?", ich ziehe die Nase hoch und wische mir über den Mund und warte seine Antwort ab. Er ist schon den ganzen Morgen lang nachdenklich, fuck, er hat nicht mal richtig gefrühstückt. „Ich war ja gestern mit Andy Pizza essen ...", deutet er an, ich stöhne auf. „Ich weiß. Und du hast immer noch nicht erzählt, was los war. Stattdessen ist sie heute Morgen quasi panisch davongerannt, als sie mich gesehen hat. Dabei habe ich euch gesagt, dass es okay ist, wenn sie bei uns pennt. Okay, ich war abgefuckt, weil es echt laut war, aber – ", werde ich lauter, als Pat mir ins Wort fällt: „Was, wenn sie bei uns einzieht?" „Unterbrich mich nicht! Ich habe gerade gesagt, dass – was?!", erst jetzt realisiere ich, was er da gesagt hat. Immer wieder spiele ich seine Frage in meinem Kopf ab und starre ihn an. Entsetzt, wütend, fassungslos. „Du überspannst den Bogen, Patrick. Und das ist ja mal fucking schnell", ich öffne den Mund und klappe ihn wieder zu. Unfähig, mehr zu sagen. Fuck, was soll ich überhaupt sagen? Ich will ihn anschreien, ich will ihn schlagen und ich will heulen – nur dass das nicht männlich wäre – und ausrasten. Nicht wegen Andy, sondern weil es langsam reicht! Ich habe ja echt viel Verständnis gezeigt und Pat hat immer und immer wieder die Regeln vom Bro-Kodex gebrochen, sie hat sogar bei uns übernachtet und ich war gechillt, aber – das! Das! Am liebsten würde ich ihm all diese Dinge an seinen fucking hohlen Kopf werfen und ich balle meine Fäuste, als Pat sie in der Luft abfängt. „Gab, es tut mir leid. Es war – ich weiß, ich habe es verdient. So sehr. Ich bin ein Schwächling wie unser Erzeuger sagt. Ich werde weich bei einer Frau und ... und will ihr helfen. Nicht, dass Andy viel Hilfe bräuchte und so. Nur ist sie voll am Arsch, wenn sie nicht zu uns kann. Mercedes schmeißt sie und Terra aus der Werkstatt, weil sie mit dem Spinner zusammenzieht ...", fleht Pat und schüttelt über sich den Kopf. Sofort verpufft ein Großteil meiner Wut und ich ziehe ihn fest an mich heran. Er stöhnt unerwartet auf und umarmt mich ebenfalls fest. „Pat, nein. Du bist kein Versager und Weichei oder was weiß ich. Pat, wir haben mit unserem Erzeuger abgeschlossen, wir sind nicht so", verspreche ich ihm und halte meinen Zwillingsbruder, der sich zum ersten Mal in unserem Leben wie ein kleiner Bruder anfühlt. Er klammert sich nur an mir fest und heult natürlich nicht, aber er schnappt nach Luft und lehnt sich an mich, bis ich ihm ewig auf den Rücken klopfe. „Und was wenn schon? Du kriegst das alles mit dem Kodex hin, ich nicht. Ich bin ein beschissener Bruder. Ich will Andy doch nur einen Platz geben, bis sie ins Wohnheim kann oder so, aber da ist sie ja rausgeflogen und ...", nuschelt er verzweifelt; ich schlage ihm hart auf den Rücken und schiebe ihn von mir, damit wir uns tief in die Augen gucken. „Nein, okay, fuck, du bist oft ein mieser Bruder, aber ich mache auch Fehler. Ich verstoße doch auch gegen den Kodex", beruhige ich ihn, woraufhin er mich irritiert anschaut, ich weiche ihm aus, „aber ich würde genau wie du – in dem Fall – dagegen verstoßen. Pat, ich finde es scheiße, dass Andy bei uns wohnen soll, aber ich würde es ihr auch anbieten. Das hat sie verdient, dass du ihr als ihr Freund hilfst und es ist ja auch nur vorübergehend ..." „Klar ist es das. Aber fuck, was? Du erlaubst das echt?!", Pat lacht nervös und sucht meinen Gesicht nach einer Verarsche ab. Ich nicke und atme tief durch. „Sie ist Teil der Familie, Pat. Und sie hat niemanden, wo sie hin kann, oder? Nicht, dass sie noch zu Eden und den Jungs geht, das lassen wir nicht zu. Falls die sie jemals aufnehmen würden, aber das riskieren wir nicht", schwöre ich ihm. Richtig, ich mache hier alles richtig. Die fünf sind scheiße und eine Gefahr. Fuck, sie sind nicht gut, verdammt. Doch ich fühle mich wie ein lächerlicher Schauspieler, so gegen Raphael zu schießen. Fuck, ich kann es einfach nicht mehr ganz, weil er das nicht verdient hat – aber Pat. „Gott, fuck, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Fuck, sie darf da echt nicht hin!", Pat schaut entsetzt und ich knuffe ihn in den Arm. „Chill mal, das kriegen wir hin. Die Loser müssen dich gar nicht erst nervös machen, die sind für Andy eh durch. Sie zieht bei uns ein für ein paar Tage, jedenfalls wenn sie in deinem Zimmer schläft", ermahne ich ihn und er lacht leise. Erleichtert, als wären tausend Steine von ihm abgefallen. Von mir aber genauso. Ich bin froh, dass ich ihn nicht geschlagen habe. Wie unser Erzeuger. „Aber sicher? Du bist cool damit?", vergewissert er sich, ich nicke. „Pat, ich würde dich nie anlügen. Könnte ich nicht einmal. Es ist nicht geil, aber ich verstehe es. Und wenn ihr zwei mir auf den Sack geht, ziehe ich zu Felix runter", winke ich ab und Pat schaut zerknirscht. „Und was, wenn Terra vorübergehend zu ihm zieht?", fragt er vorsichtig, ich huste und verschlucke mich an meiner eigenen Spucke. „Wie? Das auch noch? Nur wegen Mercedes und diesem Marvin?", ich lache ironisch und höre dann abrupt auf. Fuck, wie geht es Raphael damit? Wenn Orange die WG verlässt, was ist dann mit dem Rest? Ich glaube nicht, dass sie sich aufteilen, wenn dann brechen sie alle. Ist das möglich? Habe ich das echt nicht gepeilt, als er gestern Abend gar nicht mehr geschrieben hat und heute Morgen so knapp angebunden war? Fuck, ich bin so ein Idiot, dass ich nicht weiter nachgehakt habe! So ein gottverdammtes Arschloch, wo ich eh schon so scheiße zu Raphael war! „Gab? Was denkst du denn da so lange?", Pat schlägt mir aufs Bein. Oh fuck, er hat etwas gesagt und ich war in Gedanken. „Oh ich ähm ... also ... lösen die Spasten sich auch auf? Sind die jetzt alle bei ihren Freundinnen?", ich räuspere mich und schaue meinen Zwilling so neutral wie möglich an. „Was weiß ich, denke schon. Gott, nicht zu fassen, dass jemand auf die steht", Pat verzieht das Gesicht und ich merke, wie mir dafür meine Gesichtszüge fast entgleiten. Fuck, ich fühle mich angesprochen. Aber ... fuck, wirklich? Stehen? „Machst du dir jetzt etwa Sorgen um die Schwuchtel?", Pat hebt den Blick und starrt mir direkt in die Augen. Ich habe mich wirklich selten vor unseren Augen gefürchtet – aber diesmal habe ich Angst. Nicht vor Pat, nur vor mir selbst. Vor dem, was ich als Nächstes sage. „Pat! Gab! Was macht ihr da für einen Scheiß?", ruft Felix uns zu. Sofort löse ich mich von Pats Blick und schaue erleichtert zu unserem besten Freund, der im Türrahmen lehnt. Er trägt bereits eine Jogginghose, einen Hoodie und ein Schweißband über dem Handgelenk. „Wieso bist du schon hier?", Pat macht einen Schritt auf ihn zu und boxt ihn in den Oberarm, Felix grinst nur und deutet uns an, mit reinzukommen. Sofort schiebe ich mich ebenfalls nach drinnen und werfe Pat Blicke zu, doch er scheint bereits vergessen zu haben, was er gefragt hat. Stattdessen lehnt er sich an den Tresen und spielt an Flaschen herum, die Bodgan selbst gestern wohl nicht mehr weggeräumt hat. „Musste den Kopf freikriegen", erwidert Felix und schiebt die Hände in die Hosentaschen, ich ziehe amüsiert die Augenbrauen hoch. „Ach? Und da willst du mit uns boxen?", hake ich nach, er zuckt mit den Schultern. „Ja, warum nicht? Ich dachte, danach gehen wir im Wald joggen", schlägt er vor, Pat und ich nicken synchron. „Gab weiß es, oder?", wendet Felix sich an meinen Zwilling, der nickt. „Hä? Ihr habt gesprochen? Wann das?", fahre ich dazwischen, beide verneinen sofort. „Wirklich nicht, Terra hat es mir gestern nach dem Essen gesagt, als du wieder oben warst. Ich dachte, dass Andy es Pat auch gesagt haben muss ... Habt ihr euch schon entschieden? Ich meine, die Frauen haben zwar nicht gefragt, aber ich will Terra fragen. Also nur für ein paar Wochen, ich meine, ich wohne ja nicht mal freiwillig mit euch zusammen, aber ich will nicht, dass sie ihr Geld für ein Motel oder so zusammenkratzt ...", murmelt Felix und in seinen grünen Augen funkelt Besorgnis um jemand anderen als um uns, das ist faszinierend. „Du willst, dass sie bei dir einzieht?", wiederhole ich die Botschaft, Felix presst die Lippen aufeinander: „Ja. Nein. Ich weiß nicht, ich will sie eben nicht hängen lassen. Unter normalen Umständen würde ich niemals so schnell mit ihr zusammenziehen, das wäre viel zu schnell. Und andererseits passt es so gut, eigentlich spielt es keine Rolle, wie lange wir uns kennen. Ich habe echt Gefühle für sie, wie für keine einzige Frau und doch will ich nichts tun, was euch, vor allem dich, Gab, verletzt. Und was gegen meine Prinzipien und Grundsätze ist." „Same. Ich will auch nichts gegen den Kodex machen oder etwas, was gegen Gab ist", Pat schaut mich fragend an, ich beiße die Zähne zusammen. „Alter! Ich weiß, dass ihr es nur gut meint, aber das ist echt peinlich. Ihr tut so, als würde ich niemals auch eine Freundin finden", knurre ich die beiden an. Was, wenn nicht? „Doch! Natürlich findest du eine, sehr bald, das spüre ich voll", Pat verzieht die Mundwinkel und ich werfe ihn lachend ab. „Und zum anderen habe ich das mit Andy schon versprochen. Und das mit Terra wäre doch auch okay für mich, es ist deine Wohnung, Gräfe", ich verschränke die Arme und mein bester Freund nickt. „Aber es wäre anders. Für dich. Für mich. Für uns alle. Und es gäbe keine Wohnung mehr ohne Frauen", merkt er an und ich lache auf. „Ja, aber wenn Andy oben bei uns einzieht, wohne ich auch mit einer Frau zusammen. Kein großer Unterschied zu Pat", beharre ich, Pat nickt zustimmend. Felix hebt nur die Augenbrauen und scheint etwas sagen zu wollen, aber schüttelt dann den Kopf. „Was?", fragen Pat und ich genau gleichzeitig, Felix schmunzelt und seufzt: „Na ja, ich hab überlegt, ob wir das anders regeln können. Dass ich zu euch hochziehe und die Mädels in meine Wohnung gehen. Die beiden könnten bestimmt in einem Zimmer oder in einem Bett schlafen, aber ich würde es nicht mit euch aushalten. Wenn überhaupt, bräuchte ich mein eigenes Zimmer." Fuck, die ist Idee ist genial. „Ja! Dann räumt Pat sein Zimmer aus und schläft solange bei mir", sage ich zu, Pat hustet. „Was? Ne. Wir könnten nie mehr ficken, Jungs. Unten sind die Frauen, oben wir. Und ich warte nicht, bis wir geplant haben, so etwas wie Andy und ich in Felix' Wohnung, weil Gab ja auch noch da ist, und Felix und Terra in meinem Bett! Ne! Das geht nicht!", wirft er ein, ich schlucke. Schon klar, der Störfaktor bei der ganzen Sache bin ich. Weil ich es nicht auf die Reihe kriege, eine Freundin zu haben. „Okay, das ist scheiße", stimmt Felix ihm zu und wirft mir einen komischen Blick zu und sieht mich danach entschuldigend an. „Hey, komm, schau nicht so nett. Das machen wir doch sonst auch nicht. Schon klar, ich bin der Loser, alles klar. Ich stehe euch nicht im Weg, lasst die Mädels einziehen", ich hebe die Hände und lehne mich kraftlos an die Bar, Pat schaut gequält. Ja, genau so fühle ich mich auch. „Gab, du bist nicht der Loser. Du bist der, der den Kodex einhält. Und der über allem steht und der so cool damit umgeht, das müsstest du nicht", murmelt er dann und senkt den Blick, als wäre es ihm unangenehm. „Ja, das stimmt. Und doch auch nicht, weil du keine Freundin hast. Das heißt ja nicht, dass du nicht auch etwas empfindest oder empfinden wirst, natürlich", Felix wirft mir schon wieder einen kryptischen Blick zu und atmet tief durch. „Okay, was sagst du? Ehrlich. Du kannst auch sagen, dass du es nicht willst und wir stehen alle drei einstimmig hinter der Entscheidung", schwört er mir, Pat legt den Arm um mich: „Immer, das weißt du. Du entscheidest. Einer für alle, weil wir alle gleich sind." Three go in, three come out, denke ich zuerst an diese Serie, Shadowhunters, die ich mit Raphael gesehen habe. Wie wir stundenlang über die Charaktere geschrieben haben, wie wir ewig über Entscheidungen und Beziehungen diskutiert haben und wie ich mich selbst wiedererkannt habe. Fuck, und wie Raphael selbst gestern gehandelt hat – wie offensichtlich es jetzt (erst) ist, dass er mich schützen wollte, indem er meine Nachrichten ignoriert hat und heute ausgewichen ist. Wie er es scheinbar bei seinen Freunden akzeptiert hat, wenn der Plan immer noch steht und wenn er sich nicht bei mir auskotzt. Fuck, dafür beneide ich ihn, das habe ich schon immer. Dass er sich einfach nur für seine Freunde freuen kann und nicht so egoistisch ist, so etwas nicht zu „erlauben". Fuck. „Wie gesagt, ich will, dass ihr glücklich seid und euch nicht hundertmal im Bett herumwälzt, weil ihr wisst, dass die Mädels in Motels oder bei irgendwelchen Spasten sind. Es würde euch helfen und auch den Mädels, die ich auch liebe. Natürlich können die beiden einziehen", schaffe ich es tatsächlich, irgendwelche Worte logisch aneinanderzureihen und mir vorzustellen, wie stolz Raphael wäre. Fuck, das wäre er. Und ich bin es auch, irgendwie.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt