Raphaels Sicht
Gedankenverloren kratze ich an dem Schorf herum, den ich mir heute Morgen nach dem Mountaincartfahren eingehandelt habe, weil wir uns so eine Hetzjagdnach unten abgeliefert haben, dass wir uns gegenseitig über den Hang und gegen die hölzerne Abgrenzung gezwungen haben – mit wir meine ich Eden, Maze, Jannis, Marvin, Mercedes und mich; die anderen zwei Mädels hatten keine Lust, ihr Leben auf diesem dreirädrigen Ding zu riskieren und sind mit der Gondel bis zur Bergmitte gefahren, um dann mit uns in den Klettergarten zu gehen und einen Flying Fox quer durch den Wald und den Berg runter zu machen. Jetzt liegen sie nebeneinander, teilen sich ihre Kopfhörer und Iasmin tippt auf ihrem I-Phone herum und wählt Songs aus, während Deli leise mitsummt und kichert, als eine Hummel um ihre Nase fliegt. „Guck mal Ed, so könntest du auch sein", zieht Jannis Eden leise auf, die schwungvoll ihren Comic zuklappt und ihm dabei beinahe die Finger zwischen den Seiten einklemmt, während sie ihren Bikini zurechtrückt und aufspringt. „Können wir jetzt endlich los?! Wir sind nicht in dem krassesten Freibad Österreichs, um auf der Wiese zu liegen! Jedenfalls nicht davor, danach meinetwegen schon mit einem Eis und Pommes oder so", stresst sie herum und zieht an Maze herum, der verliebt zu Deli schaut. Seufzend hält er sich an mir fest, bevor seine Schwester ihn hochzieht und wirft mir hilflose Blicke zu. „Was?", ich lache ihn aus und packe mein Handy mit Gabriels unbeantworteten Nachrichten freiwillig weg, als Jannis mich bereits auch vom Handtuch verscheucht und mir noch seine Uhr gibt, damit ich sie im Rucksack verstaue. „Kannst du mir nicht zustimmen, dass Deli niedlich ist?", Maze lacht und weicht Deli aus, die empört aufspringt und ihn attackiert, wobei sie wie ein Flummi rumhüpft und gar nicht an seine langen Haare kommt, wenn er sich groß genug macht. Die beiden sind eh witzig – er wie immer in einer langweiligen grau-blauen Badehose und Deli in ihrem gelb-pink-geblümten Bikini und mit der niedlichen roten Frisur. „Besser nicht", schmunzele ich nur und lache, als Deli auch mich ärgert und ich sie mir vom Leib halten muss, wobei wir fast auf unser Zeug fallen. „Okay, wenn die vier Kleinkinder hier fertig sind, können wir glaube ich los", Jannis schaut uns alle warnend an, wir prusten nur los und albern herum, während er und Iasmin sich umschauen. „Ja, definitiv. Ich sehe Marvin und Mercedes", seufzt Iasmin und winkt den beiden, damit sie schneller herkommen – sie haben vor rund zwanzig Minuten etwas in den Umkleiden vergessen. Vermutlich, wie man seine Badehose wieder richtig herum anzieht, wenn ich mir Marvin angucke. Den anderen fällt es immerhin nicht sofort auf, also raune ich ihm das nur entsprechend zu und schirme ihn ab, als er sie richtig herum dreht, während Eden und Mercedes leise tuscheln – ich freue mich, dass Eden endlich warm mit ihr wird und sie nicht ablehnt, weil sie Andys neue beste Freundin ist. „Ihh, habt ihr jetzt echt in den Umkleiden ...? Oh Gott", Iasmin verzieht das Gesicht und zupft an den Trägern ihres Bikinis herum, der denselben Grünton hat wie ihre hübschen Augen, mit denen sie heute schon den ein oder anderen fasziniert hat. „Ihhh", stimmt Deli ihr zu und schüttelt sich, wobei Marvin und Mercedes nur versaut grinsen und sich übertrieben küssen. „Das ist wirklich unhygienisch", murmelt Jannis und schüttelt den Kopf über das andere Paar, ich beobachte nur schmunzelnd die Diskussion und warte, bis sie fertig sind, damit wir endlich das Schwimmbad genießen.
Als erstes wagen wir uns an das Kälteste: An den Teich mit Sprungturm, in dem es weit unter zwanzig Grad hat. Jannis springt sofort rein und demonstriert uns, wie hart er im Nehmen ist, obwohl er zittert und mit den Zähnen klappert. Scheinbar überzeugt er aber Iasmin, die elegant zu ihm ins Wasser rutscht und aufschreit, aber ausgelassen lacht und ihn unter Wasser drückt, um seine perfekte Frisur zu ruinieren. Während Eden sofort zum Sprungturm rennt, springe ich lieber nur vom Steg ins eiskalte Wasser und sterbe tausend Tode – dass sie einfach so reinspringt, ist lebensmüde. Aber sie ist Eden, also springt sie mit Karacho von dem Fünfmeter-Turm und taucht prustend wieder auf und schwimmt gerade noch weg, bevor Marvin eine laute, knallende Arschbombe macht und sich gequält an den Hintern fasst, während Mercedes auch noch kreischend springt. „Wir tun einfach so, als würden wir sie nicht kennen", brummt Jannis neben mir und nickt auf die drei, die eben gesprungen sind und dabei gefühlt den halben Teich geleert haben. „Wenn ich es mir recht überlege, kennen wir auch die anderen nicht", kichert Iasmin und zwinkert mir zu, während sie wegschwimmt und Jannis ihr folgt. Kopfschüttelnd lasse ich den beiden ihren Freiraum und warte auf Deli, die sich kaum reintraut; Maze sitzt neben ihr auf dem Steg und betrachtet nur skeptisch das dunkle Wasser. „Alles gut bei euch?", ich stütze mich am Steg ab und grinse die beiden an, Maze blinzelt. „Hm ja, aber kannst du auf Deli aufpassen? Nicht, dass sie hier im Teich untergeht", schmunzelt er und schubst seine Freundin knapp neben mir ins Wasser, sie quiekt und hält sich lachend an meinen nackten Schultern fest, wobei sie mich versehentlich kratzt und entschuldigend schaut. „Klar. Aber ist es für dich okay, dass wir hier sind? Ich meine, es ist immer noch ein Freibad", kümmere ich mich um Maze, er nickt und schaut sich um. „Ja, ich denke schon. Wenn ihr dabei seid, stehe ich das durch und habe ja auch Spaß beim Rutschen und so. Aber nur, wenn ich den Boden sehe", murmelt er und lehnt sich auf dem Steg zurück und beobachtet uns alle, während ich Deli durch den halben Teich ziehe und mit ihr noch zu Eden, Marvin und Mercedes schwimme, die irgendwelche durchgeknallten – aber lustigen – Tauchwettbewerbe starten. Erst danach sammeln wir Jannis und Iasmin ein, die am Rand auf den Steinen im Wasser sitzen und sich küssen. Genervt lösen sie sich und albern danach auch etwas lockerer mit uns herum, während wir uns vollständig zu acht auf den Weg machen und das ganze Freibad entdecken. Als nächstes probieren wir den Strudel aus (Marvin verliert tatsächlich seine Badehose und fleht uns alle an, sie zu suchen) und danach auf Iasmins Wunsch hin die Massage-Liegen, bei denen Marvin gleich wieder durch den Strom seine Hose verliert und Mercedes sich langsam für ihn zu schämen scheint; danach verschaffen wir uns einen Überblick über die Wellenzeiten und analysieren die Rutschen, die alle aus dem Turm führen, bevor wir die breite Rutsche ins Außenbecken nehmen – oder eher rutschen einmal Eden, Marvin und Mercedes zu dritt auf dem breiten Metallstreifen, danach Deli, Maze und ich; die anderen beiden weigern sich bei so etwas Kindischem. Dafür machen sie die restlichen Rutschen mit – die normale, die steile, die Tunnelrutsche, die Reifenrutsche, die Doppelrutsche und die Loopingrutsche. Erst danach gehen wir noch in die Wellen, springen noch von ein paar Türmen und suchen uns danach eine Airhockey- und eine Tischtennisplatte, nachdem wir uns Pommes, Eis und Kaffee geholt haben. Das Krasse ist, dass wir alle acht Spaß haben, selbst Mercedes und Iasmin; bei Deli war es irgendwie klar. Umso komischer ist diese kurze, naive Vorstellung, wie es wäre, wenn Gabriel hier wäre – aber es bleibt eine Illusion. Wir würden einander nie begleiten wollen und können, dafür sind unsere Freunde zu verschieden und zu verhasst und geblendet mit ihren ganzen Prinzipien, wegen denen bestimmt weder Gabriel noch Pat noch Felix hier jemals rutschen würden. Niemals. Und dass ich niemals meinen Partner hierher mitnehmen kann, sollte ich fest mit Gabriel zusammenkommen, fühlt sich noch immer ungewohnt an. Aber langsam akzeptiere ich die Zukunft – man kann eben nicht alles haben, jedenfalls nicht alles, was man sich wünscht, denn ganz ehrlich: Meine besten Freunde sind schon alles für mich.
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Repressed Colours (Band 1)
RomanceBunt und düster. Warm und kalt. Frei und wild. Treu und loyal. Raphael und Gabriel. (Band 1) Unterschiedlicher könnten ihre Welten nicht sein und doch vermischen sie sich: online und im realen Leben. Das bunte Quintett der besten Freunde Raphael, Ma...