Kapitel fünfundzwanzig

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Gabriels Sicht 

„Können wir jetzt endlich anfangen?", Pat fächelt sich mit seinem Hoodie Luft zu, dabei sind wir noch gar nicht losgelaufen. Ich verstehe ihn, ich finde es auch scheiße, morgens früh aufzustehen, um im Wald zu joggen, aber nur dann gewöhnen wir uns das an und sind auch im Sommer dazu in der Lage, loszulaufen, bevor wir an der Hitze verrecken; auch wenn es jetzt eher kalt ist und noch ein Raureif über den Gräsern liegt. Kurz gleitet mein Blick weg von der steinigen Straße, auf der ich Andy erwarte. Vor wenigen Stunden bin ich hier noch mit Raphael langgefahren, nachdem uns scheiße schlecht war nach den ganzen Süßigkeiten. Leider haben wir uns sehr genau an meine Regel gehalten, dass der andere nur Fragen stellen darf, wenn er etwas isst. Noch immer spüre ich diese ganzen ekelhaften Bonbons, Center Shocks, Schokolade und was das alles an verfickten Gummisorten war, schwer in meinem Magen. Immerhin weiß ich jetzt wieder alles über seine Freunde. Nicht, dass ich es diesmal gegen ihn verwenden möchte. Er tut mir eher leid und ich wusste nicht, was ich tun soll, also habe ich seine Schulter getätschelt – es ist schließlich irgendwo auch unsere Schuld. Oder Pats, weil er Maze' Geheimnis verraten hat und nicht der Schuldige selbst. Dass Raphael ausgerechnet wieder enger mit Maze ist, finde ich komisch. Aber es passt zu ihm, genau, wie dass er wieder mit Jannis redet und die beiden manchmal zusammen losziehen. Er wirkt glücklicher als am Abend in der Galerie und trotzdem wirkt es so traurig ohne seine ganzen Freunde. Wenn die fünf nicht zusammen sind, hat er ein wenig sein Strahlen und dieses Leuchten verloren. „Gab! Ich warte nicht darauf, dass du auf den Weg starrst!", Pat wedelt vor meinem Gesicht herum und schaut ebenfalls auf die Landstraße. Natürlich muss genau jetzt eine Motorradfahrerin auftauchen. „Ich muss euch etwas sagen", Felix räuspert sich und legt uns die Arme auf die Schultern. Fuck, es ist definitiv ernst, sonst tatscht er uns eher selten an. „Was?", Pat zieht die Augenbrauen hoch. Unser bester Freund nickt auf die Motorradfahrerin. „Ich habe Terra gefragt, ob sie mit uns trainieren will." „Was?", ich kann mir ein Grinsen kaum verkneifen. Immerhin bin jetzt nicht mehr ich der Böse, im Gegenteil. „Und wieso kommen dann zwei Mädels?!", knurrt Pat und deutet auf die zweite Motorradfahrerin, die um die Kurve biegt. Zerknirscht schaue ich ihn an. „Das ist Andy. Ich habe es ihr angeboten, nachdem – ja. Sie sucht den Kontakt zu dir und möchte es wiedergutmachen", gebe ich zu. Mein Zwilling sieht aus, als würde er gleich zuschlagen. Seine Fäuste sind geballt, sein Atem geht schneller und seine Adern schwellen an. „Das ist nicht euer Ernst!" „Wir haben das nicht abgesprochen, Pat", schwöre ich ihm, Felix nickt: „Ich wusste nur, dass Andy Gab um Rat gefragt hat und habe das unterstützt. Ich wusste nichts von Andy und dem Wald, sonst hätte ich Terra ja auch nicht gefragt. Das ist jetzt irgendwie merkwürdig." „Für mich!", schreit Pat los. „Nein, für mich!", brülle ich zurück. Klar, es ist mies, dass ich Andy angeschleppt habe, aber es ist für ihn, verdammt! Der, der jetzt schon wieder mit etwas zwei Irgendetwas machen muss, bin wieder ich. Felix scheint es genauso zu sehen, er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und deutet uns an, nicht mehr rumzubrüllen, als die Mädels neben unseren Motorrädern halten und die Helme abziehen. „Scusa, stören wir?", Terra wirft ihre dunklen Haare hinter und lehnt sich lässig über den Lenker, Felix neben mir muss sich sichtbar ein Lächeln verkneifen. „Nein", erwidert er ruhig, Pat tritt in den Waldboden ein. „Doch." Feindselig mustert er Andy – selbst ich verstehe die Stimmung meines Zwillings nicht recht. Die letzten Tage hat er mal mit Andy geflirtet, sie sogar umarmt und mit ihr gesprochen und dann hat er sie wieder ignoriert und betont anderen Frauen hinterhergeschaut, als sie neben ihm stand. Doch – was ich wirklich nicht gedacht hätte – er hat noch keine andere gevögelt, seit wir aus Frankreich zurück sind. „Gab, was sagst du?", Andy sieht mich fragend an, in ihrem Blick liegt ein Mix aus der Suche nach Unterstützung und Provokation gegenüber Pat, weil ich etwas dazu sagen soll. „Ihr seid zu spät", erwidere ich so loyal wie möglich. Pat sieht mich warnend an und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper. „Seid dankbar, dass wir überhaupt gekommen sind", Terra schnaubt und steigt von ihrem Motorrad ab. Dabei bewegt sie sich ganz automatisch total feminin, auch wenn sie sonst so hart und kalt wirkt. Ihr Körper ist definitiv heiß und ich kann es Felix nicht wirklich übelnehmen, dass er sie anstarrt. Obwohl sie auch nicht die größten Brüste hat, hat sie eine geschwungene Taille und eine echt gute Figur in der engen Hose. „Richtig. Und wir sind nicht gekommen, damit ihr uns anglotzt", pflichtet Andy ihr bei und die beiden schmunzeln sich kurz an. Innerhalb kürzester Zeit ist zwischen ihnen eine Bindung entstanden, auch wenn Andy betont hat, dass sie Eden noch immer vermissen würde. Doch Terra scheint ein guter Ersatz zu sein, die beiden sind sich auch ähnlicher, mit diesem Taffen und trotzdem Femininen. Und sie stehen auf Felix und Pat, was wohl das größte Bündnis darstellt. „Tun wir nicht", Pat funkelt Andy an und schaut ihr stur ins Gesicht, sie grinst ihn frech an. Es ist offensichtlich, dass schon jetzt wieder diese Spannung zwischen ihnen herrscht. Etwas, das ich selbst vermutlich nie so verstehen werde wie meine besten Freunde, meine Brüder. Wie Felix, der kurz leise mit Terra redet und die beiden dann bereits loslaufen; vermutlich zum Waldsee. Und auch nicht wie Pat, der mich am Arm mitzieht und immer wieder zu Andy schaut, die neben uns joggt. Ihre roten Haare sind zu einem Zopf gebunden und in ihrem Ohr sind In-Ear-Kopfhörer kaum zu übersehen. „Oh, soll ich sie rausnehmen? Ich kann dann nur besser laufen", sie schnappt jetzt schon kurz nach Luft, joggt dann aber schnell weiter. Sie scheint das echt durchziehen zu wollen – andererseits ist sie bald ein Bulle, was erwarte ich? „Echt? Dann gib her, will ich auch ausprobieren", Pat hält ihr seine Hand hin und die beiden bremsen vor einer Wurzel ab. Zähneknirschend laufe ich weiter. War ja klar. Ich hätte nicht gedacht, dass es so hart werden würde, die beiden wieder zusammenzubringen. Aber kann ja auch keiner ahnen, dass sie gleich so eine Masche hat, die nur die beiden betrifft – obwohl das echt nicht dumm war, ausgerechnet wieder mit Musik bei Pat anzusetzen. Und mit fucking kabellosen, teuren Kopfhörern. Wenn ich noch in der Nacht nicht von dem ganzen Süßkramscheiß gekotzt habe, dann spätestens jetzt – aber dann müsste ich Pat erklären, woher das alles kommt.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt