Raphaels Sicht
Unmotiviert stochere ich mit meinen Pommes in meinem Cheeseburger herum und werfe fast die Cola-Flasche um, die ich mir eben bestellt habe. „Keine Trübsal blasen", ermahnt Eden mich, die im Gegensatz zu mir ausnahmsweise äußerst munter wirkt und nach ihrem Grillcheese-Burger greift. Heute war mir nicht danach, einen eigenen Burger bei Five Guys zu kreieren, auch wenn die anderen mich dazu überreden wollten. Aber wozu? Ich bin nicht in Stimmung, außerdem möchte ich auch nicht, dass Jannis das hier alles bezahlt, weil ich mies drauf bin. „Ach, mach ich nicht. Jedenfalls versuche ich das", zwinge ich mich zu einem Grinsen. Gott, ich bin echt erbärmlich. Dass ich seit heute Mittag einem Kerl hinterhertrauere, der mich jetzt mehrmals auf Instagram blockiert hat und nur einmal freigeschaltet hat, um eine Frage zu klären, die nicht einmal etwas mit uns beiden zu tun hat. Auch wenn ich ihn sogar ein bisschen verstehe. Falls es um seine Freunde geht, ist es klar, dass er das klären muss – aber nicht, dass er mich so hart behandeln muss. Das habe ich oft genug erlebt. Immer war ich nur das schmutzige Geheimnis oder der Fußabtreter, der alles ausbaden muss. Seufzend verdränge ich meine Vergangenheit mit anderen Typen und lächele meine Freunde an. Marvin erwidert das Grinsen breit, wobei ich zwischen seinen Zähnen den Burger erkenne, den er versucht hat in einem Stück zu essen. Sofort muss ich beinahe lachen, auch wenn es schon ein paar Minuten her ist und mein bester Freund noch immer mit dem riesigen Klumpen in seinem Mund kämpft, wobei er wie ein Hamster aussieht. „Bleib so!", ruft Jannis und lässt seine Pommes wieder fallen, um ein Foto von Marvin zu machen. Zufrieden hält er den Bildschirm in die Mitte und gluckst in sich hinein. Er musste mir versprechen, dass er Gabriel keine reinschlägt und jetzt scheint er sich wieder abgeregt zu haben. „Uhh, das müssen wir auf unserem High Five-Account posten", grinst Maze und zwinkert uns zu, auch wenn er besorgt in meine Richtung schaut. Ich winke ab, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht. „Man darf in meiner Gegenwart auch Instagram sagen", schmunzele ich ihn an und widme mich wieder meinem Burger, um vielleicht etwas an meinem schmerzenden Bauch zu ändern. „Oh ja, sonst hätte ich dafür gesorgt. Raph, du wirst jetzt nicht aufgeben", fängt Jannis wieder damit an. Seit drei Stunden meint er, er müsste sich ganz besonders um mich kümmern, weil er das mit Iasmin am besten kennt. Vermutlich hat er recht und andererseits erstaunt es mich, dass er unsere Erfahrungen gleichsetzt. Ich selbst würde Jannis und Iasmin als wesentlich emotionalere und härtere tatsächliche Trennung bezeichnen, aber Jannis würde es vermutlich lieber haben, dass meine Gefühle für Gabriel tiefer waren als seine für Iasmin. Kopfschüttelnd verpasse ich Jannis einen leichten Tritt gegen das Schienbein unter dem Tisch, er grinst nur und schlüpft an seiner Cola Zero. „Das stimmt. Der Kerl ist ein Idiot, wenn er dich nicht gut behandelt und dich jetzt verloren hat", pflichtet Eden ihm bei und baumelt mit den Füßen in der Luft. Nicht umsonst haben wir uns extra an den Bartisch gesetzt, unseren Stammplatz, wenn wir drinnen essen. Von hier aus haben wir den perfekten Blick auf den Außenbereich, wo wir vor ein paar Monaten zum letzten Mal saßen. Schmunzelnd denke ich an unseren Sommer zurück, in dem wir so oft in den Bergen und am See waren, dass es für die nächsten Monate reicht. „Alfo verfeist du ihm nichf?", nuschelt Marvin und krümelt in seinen Schoß; wir anderen lachen ihn liebevoll aus. „Keine Ahnung", ich zucke mit den Schultern und grinse meine Freunde dankbar an. Besonders Maze, der heute sofort seine Verabredung mit seiner Freundin abgesagt hat. Kurz haben wir überlegt, ob Deli nicht einfach mitkommen sollte, vor allem, weil ich sie auch gerne mag, aber die anderen haben recht: Ich brauche jetzt ausschließlich meine besten Freunde und nicht noch andere, so lieb Deli auch ist. „Sollen wir das Thema wechseln?", erkundigt Maze sich einfühlsam wie immer, ich nicke und recke den Daumen, weil mein Mund voll ist. Sofort fängt Marvin an von dem Essen auf der Party zu reden und sich zu beklagen, dass er seinen Bruder Levin nicht gefunden hat. Lachend lausche ich ihm und blende meine Erinnerungen an die Treppenstufen und Gabriel aus; danach klagt Eden darüber, wie schlecht es ihr ging und schenkt uns allen eine Pommes – typischer Eden-Humor – als Dankeschön dafür, dass wir sie heile nach Hause gebracht haben und sie ihren Rausch ausschlafen konnte. „Und du und Iasmin?", ich stupse Jannis in die Seite. Er kippt sich beinahe den Ketchup auf das weiße Sweatshirt und wirft mir vernichtende Blicke zu. Schon klar, ich übergehe unser Bündnis der gebrochenen Herzen. „Nichts. Ich habe sie zur Haustür gebracht, genau wie Maze Deli", er zuckt mit den Schultern, auch wenn seine Wangen rot werden. „Du liebst sie noch", rutscht es mir heraus. Marvin lacht und reckt die Faust: „Endlich sagt es jemand! Gut gemacht!" „Psht, die Leute schauen", murmelt Maze, Marvin und ich zucken nur mit den Schultern. Ist ja nicht so, als wäre das nicht menschlich und als würden wir die Leute jemals wiedersehen. „Vielleicht", seufzt Jannis und verdreht die Augen über uns. Das ist auch etwas, das ich an uns liebe: Wir sind alle wir selbst, jeder mit seiner hohlen Eigenart, aber wir lieben uns wie wird sind. Wir verstehen Jannis und verurteilen ihn nie für das, was er tut. „Also ich finde ja, Liebe ist Liebe. Scheiß drauf, dass sie dich betrogen hat. Es ist ein Jahr lang her", äußert Marvin und erntet eine Kopfnuss von Jannis, weil Marvin echt keine Ahnung von Beziehungen hat. „Bereust du das mit Terra?", will Eden wissen. Eine gute Frage, auf die ich auch hätte kommen müssen. „Irgendwie ja. Sie war toll und ich habe Iasmin echt eine reinwürgen können, aber ... ihr wisst schon", Jannis hält inne und hört kurz auf zu essen. „Das wird schon", versichert Maze ihm nur und wir legen unsere Arme um unseren besten Freund. Natürlich wird es wieder. Das wird es immer. Weil wir uns haben.
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Repressed Colours (Band 1)
RomanceBunt und düster. Warm und kalt. Frei und wild. Treu und loyal. Raphael und Gabriel. (Band 1) Unterschiedlicher könnten ihre Welten nicht sein und doch vermischen sie sich: online und im realen Leben. Das bunte Quintett der besten Freunde Raphael, Ma...