Kapitel neununddreißig

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Gabriels Sicht 

Etwas kitzelt mich an der Nase, ich niese und blinzele in grelles Sonnenlicht. Über mich hat sich irgendeine heiße Frau gebeugt – blond, blau-graue Augen, volle Lippen. Ich blinzele erneut. Fuck, das hier geht nicht weg. Und je länger ich sie anstarre, desto mehr tauchen wieder Bilder aus letzter Nacht in meinem Kopf auf. Ich habe sie gefickt, ganz eindeutig, ich erinnere mich, wie ich sie von hinten genommen habe, wie sie mir einen geblasen hat und wie ich sie nach ein paar Minuten wieder gefickt habe, obwohl mir schlecht war. „Willst du Kaffee? Noch eine Runde?", schnurrt sie und fährt sich durch die Haare, ich huste. „Nein! Ich – nein, ich muss los", würge ich hervor und versuche aufzustehen. Mein Rücken brennt und fühlt sich wie ein sperriges Brett an, durch das ich nicht hochkomme; meine Beinmuskeln ziehen sich schmerzhaft zusammen, als ich aufstehe und mich nach meinen Klamotten umsehe – Gott, wieso habe ich es nicht einmal geschafft, mich danach wieder anzuziehen? Fuck, selbst den Kodex habe ich verkackt – nicht, dass es noch einen gäbe, aber ich will das hier nicht. Ich hasse es, dass ich hier geschlafen habe, das habe ich noch nie (immerhin am Boden) und ich hasse es, dass sie mich nackt gesehen hat mit all den Tattoos und Narben. „Warte, geht es dir gut?", ihre zarten Finger krallen sich in meinem Arm fest und sie sieht mich verführerisch an. Als ich nicht antworte, lässt sie ihren geöffneten Bademantel zu Boden fallen und kommt mir näher. Aber alles in mir sträubt sich, es jetzt wieder zu versuchen. Dunkel erinnere ich mich, dass es nicht geklappt hat. „Oder bist du immer noch so besoffen, dass du ein Baby machen willst?", sie lacht und streift über meine Brust, ich schubse sie weg, „he, lass das! Ist das dein Ernst? Erst vögelst du mich, wie es noch keiner getan hat, und jetzt schubst du mich weg, weil ich dir gesagt habe, dass ich keine Kinder kriegen kann?" Gott sei Dank. Auch wenn ich es immer noch gerne geschafft hätte, nicht mit ihr. Fluchend wende ich mich von ihr ab, ignoriere sie und schlüpfe in meine stinkenden Klamotten und suche mein Handy panisch am Boden, bis ich damit nach draußen stürme. „Hey!", sie kreischt mir definitiv nach, aber ich lasse ihre Haustür hinter mir ins Schloss fallen und eile die Treppen dieses Hauses nach unten, bis ich die Tür sehe, die auf einen Hinterhof führt. Erleichtert stolpere ich nach draußen und schnappe nach Luft. Um mich herum sind kahle, kalte Wände, die von einer beißenden Sonne angestrahlt werden. Fuck, ich bin nicht mal ein paar Straßen von unserer Wohnung entfernt. Das hier ist definitiv noch dasselbe Viertel, fuck. „Fuck! Fuck! Fuck!", ich schreie los und trete die Mülltonnen und Fahrräder; alles, was ich zu fassen und zu treten kriege, um es zu verwüsten. Erst, als irgendwer das Fenster öffnet und mich anschreit, trotte ich vom Hof und laufe keuchend durch die engen, versifften Straßen. Einfach nur weiter, einfach nur weg, während die Bilder von letzter Nacht mich überfluten – oder sind das Einbildungen? Mein Kopf ist immer noch betäubt von dem vielen Alkohol und dem Rauch, aber was war echt? Habe ich wirklich so viele Frauen gefickt? Ich erinnere mich, wie ich irgendwelche Tabletten genommen habe und wie ich mich von einem Club in den nächsten geschleppt habe. Ich erinnere mich an all die nassen, gedehnten Körper mit der weichen, vollen Haut und den großen, wippenden Titten und den harten Nippeln – etwas, das mich fast kotzen lässt. Fuck, eigentlich ist so was geil, aber es ekelt mich nur noch an, so viele waren es. Moment. Eine Erinnerung schießt durch meinen brummenden Schädel und ich schnappe mir hastig mein Handy; noch habe ich achtzehn Prozent. Erleichtert klicke ich in die Galerie, um dann zu erschrecken. Immerhin hatte ich recht. Die letzten Selfies und Videos stammen alle von letzter Nacht. Es sind jedes Mal neue Frauen, mal eine, mal zwei, mit denen ich deutlich in die Kamera schaue und sie filme. Meistens vor dem Vögeln, damit ich ihr Gesicht sehe und immer filme ich etwas Markantes der Wohnung, wie etwa den Ausblick, die Adresse oder sonst etwas. Schluckend wische ich immer hektischer durch die vielen Videos, in denen ich immer beschissener aussehe und die Frauen immer weniger einem bestimmten Typ (rot und grau oder blond und blau) entsprechen, bis ich zu der Letzten komme. Erst dann traue ich mich, auf Whats'App zu gehen; ganz oben werden mir Felix und Pat angezeigt, aber beide mit einem grauen Hintergrund. Moment. Mit klopfendem Herzen rufe ich die Chats auf und schlucke. Natürlich haben beide lauter Nachrichten geschickt, von Entschuldigungen zu Vorwürfen; alles – Sprachnachrichten, Bilder, Texte, einzelne Buchstaben. Alles, um mich zurückzuholen, sich zu entschuldigen und wirklich verzweifelt zu klingen; doch scheinbar habe ich beide blockiert. Pat schon vor Mitternacht, Felix erst gegen drei Uhr, nachdem er gedroht hat, mich zu suchen. Wie es scheint, bin ich auch aus unserer Trio-Gruppe rausgegangen und habe auch den The Bad Ones-Chat mit den Frauen verlassen. Gott, sogar Andy, Terra und Mercedes habe ich blockiert. Dumm war ich ja nicht. Bis auf ... nein. Mein Puls rast erneut, als ich Instagram öffne und feststelle, dass ich dort auch Pat und Felix blockiert habe, um ihnen jede Möglichkeit zu nehmen, mich zu erreichen oder zu orten. Und, dass Raphael mich blockiert hat. Fuck. Ich sehe es sofort, dieses graue Bild und, dass meine Nachrichten nicht mehr angekommen sind. Nein, nein, nein. Nicht er. „Bitte nicht", flüstere ich in die Morgenluft und lehne mich keuchend an eine Hauswand. Nicht er, den ich jetzt brauche. Gebraucht habe, wenn ich mich erinnere. Dunkel meine ich seine Stimme im Ohr zu hören. Haben wir tatsächlich telefoniert? Kaum öffne ich den Chat, presst es mir die Luft aus den Lungen. Ich habe ihn regelrecht zugespammt. Stundenlang, von zwanzig Uhr bis vier Uhr nachts oder so, dann hat er mich plötzlich blockiert, nachdem er die Nachrichten nach dem Anruf ewig nicht mehr gelesen hat. Ich nehme an, er hat erst sein Handy weggeworfen, dafür ist er der Typ. Wetten, seine Freunden haben ihm dann gesagt, dass er mich blockieren soll? Oder hat er es selbst getan? Fuck, ich hätte es selbst auch getan. Schon alleine bei den paar Nachrichten, die ich lese, wird mir selber kotzübel.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt