Kapitel siebenundfünfzig

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Raphaels Sicht 

„He, wir müssen da auch nicht rein", ich stupse Gabriel an, der seit Minuten vor der Werkstatt steht. Und das, obwohl er den Ort in und auswendig kennt. Aber zugegeben, ich stand vor einer Woche auch ewig vor dem Dönerladen und habe mich beruhigen müssen. „Ich habe es dir versprochen und wenn ich jetzt kneife, stehe ich wie der Superloser da und bin total schwach", knurrt Gabriel mich an und schiebt meine Hand von seiner Schulter. Heute wollte er sich aus Prinzip extra dunkel anziehen – ein schwarzes Shirt, eine schwarze zerrissene Jeans und seine braunen Chucks passend zu seinen Lederarmbändern und den morbiden Ringen. Gott, sogar seine Lederjacke hat er aus Prinzip unter dem Arm, obwohl es total heiß ist. Hauptsache, er passt überhaupt nicht zu uns. Seufzend trete ich von einem Fuß auf den anderen und schiebe meine Hände in die Hosentaschen; scheinbar will er sich eh nicht von mir anfassen oder ansprechen lassen. „Fuck, du stimmst mir nicht mal zu", brummt er nach einer Weile, in der wir nur entfernt noch die Autos auf der Schnellstraße hören. „Warum sollte ich? Du beharrst immer auf deine krasse Männlichkeit. Und es ist nicht immer gleich alles schwach. Wenn du dich nicht wohlfühlst ...", deute ich an, Gabriel funkelt mich an und haut aggressiv auf die Klingel. Gut, so war es nicht geplant, aber wenn er meint. Keine Sekunde später erscheint Mercedes im Türrahmen neben dem Tor und grinst breit einen ihrer besten Freunde an. Gabriel entspannt sich ebenfalls sichtlich und schlägt lässig mit ihr ein, bevor sie sich verbal begrüßen. „Endlich! Ich wusste es", Mercedes grinst ihn breit an, er zeigt ihr den Mittelfinger und sie lacht dunkel. Ein wenig ist es schade, dass ich ihn nur so mit den Frauen erlebe und nicht auch mit Andy und Terra, aber es ist okay. Wir gehen einen Schritt nach dem anderen und ich werde ihn keinesfalls unter Druck setzen. „Hi, Raph! Ich feiere es echt, wen du da mitgebracht hast", Mercedes grinst mich an und schlägt ebenfalls mit mir ein – nur normal, nicht mit der Faust wie mit Gabriel. „Denke ich mir. Weißt du, ich hatte schon echt Mitleid mit dir und musste dir einfach einen Gefallen tun ...", schmunzele ich und sie boxt mich lachend, ehe sie beiseite geht und noch das Tor hochfährt, damit der Rest nicht mehr klingeln muss. „Marv ist hinten, oder?", ich schaue mich um, als ich innerhalb der riesigen Garage nichts aufgebaut sehe. „Jep, beinahe hätte er die Planen angezündet", Mercedes gluckst schadenfroh, auch wenn es sich um ihr Zeug handelt. „Hä? Ich dachte, er wäre ein ach so krasser Koch und so", Gabriel schaut skeptisch und verschränkt die Arme. „Ist er ja auch!", ruft Mercedes sofort und wendet sich von uns ab, um laut mit dem Tor zu scheppern; ich deute Gabriel an, dass wir schon einmal hintergehen. „Ja, nur grillen wir hier nie. Eigentlich sind wir immer bei Maze und Deli, weil sie einfach den meisten Platz haben und wir uns da alle wohlfühlen. Und notfalls sind wir bei Jannis und Iasmin, wenn sie uns alle auf einmal in ihrer Wohnung tolerieren. Also ...", deute ich an, Gabriel hält an: „Warte. Wir sind nur hier, weil es für mich der beste Ort ist? Weil ich hier kein feindliches Gebiet betrete – von wegen Maze und Jannis – und weil wir hier sonst immer zu sechst sind?" „Richtig. Es ist ja kein großes Ding, aber du hast darauf bestanden, dass es nicht bei Maze oder Jannis daheim ist. Und zu uns wolltest du auch nicht, damit du jederzeit gehen kannst", erinnere ich ihn, mein Freund brummt etwas Unverständliches und verpasst dem Metalltisch mit den Werkzeugen einen Tritt, bevor er hinter mir nach draußen geht. Ein kleines Dé-jà-vu überkommt mich schon, als wir uns im Hinterhof befinden. Fragend sehe ich zu meinem Freund, der auch schief grinst, als er in die Ecke neben der Tür schaut, in der wir vor Monaten saßen und unser erstes vollständiges Date ausgemacht haben. „Uhhh, sehe ich da etwa jemanden mit seinem ersten Freund?", Marvin wirft achtlos sein Grillbesteck auf die Bierbank und stürmt zu mir, um hart mit mir per High Five einzuschlagen. „Ha ha, sagt der, der ebenfalls mit seiner ersten Freundin zusammenwohnt", ich strecke ihm lachend die Zunge raus und mein bester Freund strahlt: „Ach ja, upsi. Aber es ist zu süß!" „Hast du Penner mich gerade als süß bezeichnet? Oder uns", knurrt Gabriel ihn an und ballt seine Faust, ich werfe ihm einen beruhigenden Blick zu. „Nein! Nein, natürlich nicht", stammelt Marvin und schaut zerknirscht, beinahe eingeschüchtert. „Gut, du Trottel", Gabriel mustert ihn verächtlich und sieht sich nach Mercedes um, die immerhin wieder zu uns stößt. Als sie bemerkt, wie mies die Stimmung ist, stützt sie sich auf Gabriels Schultern ab und raunt ihm etwas zu, ich versuche mir die Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. Ich meine, ich bin nicht eifersüchtig oder so etwas, sondern eher traurig, dass Gabriel sie eher an sich heranlässt. Aber ich schätze, damit muss ich heute wohl klarkommen. „He, guck mal, ich habe versucht Pommes in Formen zu machen", Marvin tippt mich an und hält mir eine Schüssel hin, während er die erste Fuhre Fleisch auf dem Grill wendet. Lachend hebe ich vorsichtig ein paar Pommes an und schüttele die bunte Schale, um den Rest zu betrachten. „Ein Fußball? Das ist einfach", lache ich ihn aus, er schmollt und deutet auf den Rest. „Warte, soll das ein Skateboard sein?", hake ich nach und lege den Kopf schief. „Ja! Oh mein Gott, du hast es erkannt! Da sind auch voll viele Motorräder und Bierflaschen drinnen!", ruft er begeistert und johlt, Mercedes lacht auf und kommt zu ihm, um ihn zu küssen und ihm stolz durch die Haare zu wuscheln. „Babe, du bist echt scharf, wenn du so stolz bist", kichert sie und schlingt die Arme um ihn, während er seine Hand an ihren Hintern wandern lässt und sie eng an sich zieht. Genervt wirft Gabriel mir einen angewiderten als-ob-sie-echt-auf-den-steht-Blick zu und stellt sich mit einem Abstand neben mich, um den Tisch anzustarren. „Aha. Was sind das bitte für Teller?", brummt er und schaut mich kurz an. Wenn er jetzt schon so distanziert ist, obwohl wir in so einer kleinen und für ihn noch bestmöglichen Runde sind, wird der Abend ja lustig. „Grillteller?", ich ziehe die Augenbrauen hoch und rücke näher an ihn. Immerhin rutscht er nicht weg, sondern wirft seine Jacke auf die Bierbank und greift nach einem der Teller. „Na ja, du hast halt diese genialen Fächer. Das war immer super praktisch, vor allem, wenn wir so viel Soßen gemacht haben", schmunzele ich und er nickt: „Aha. Lass mich raten, die Teller stammen aus eurer WG." „Jep. Genau wie die Bierbank und der Grill", grinse ich und entlocke meinem Freund ein amüsiertes Lächeln. „Boa, seid ihr steif zusammen. Und das meine ich jetzt echt nicht sexuell", Mercedes lacht und stellt sich zwischen uns, um jeweils einen Arm um uns zu legen. „Fick dich, Mercedes", brummt Gabriel und erntet einen Klaps auf den Kopf. „Komm schon, Gab. Mach dich locker, das wird ein geiler Abend. Nicht ganz so geil wie mit Andy, Terra, Pat und Felix, aber gut. Und es gibt viel Bier, Fleisch und gute Musik. Lass uns Musik aussuchen gehen!", verkündet sie und zieht meinen Freund am Ärmel mit in eine Ecke, in der sie einen alten Player aufgebaut haben. „Hallo! Ich dachte, ich darf die Musik bestimmen!", plärrt Marvin und schaut mich hilflos an, ich lache. „Vielleicht ist es wirklich besser, wenn die beiden entscheiden. Ich denke, Deli und Iasmin wollen nicht nur Rockmusik hören", tröste ich ihn und tätschele seinen Arm spielerisch. „Aber komischen Rap oder was auch immer die beiden da zusammen hören", mault er und wendet genervt das Fleisch, sodass das Öl und die Marinade in alle Richtungen spritzen. Dazu kommt ein spitzer Schrei – Iasmin. Sie weicht gerade dem fliegenden Fett aus und streicht ihre weiße bauchfreie Bluse glatt, die schon einen Fleck abbekommen hat. Jannis neben ihr weiß nicht, ob er grinsen soll oder nicht. Schnell entscheidet er sich dafür, zu uns zu sehen und sich seine schicke Sonnenbrille in die Haare zu schieben. „Na, wie läuft es so?", begrüßt er uns gut gelaunt und schlägt etwas sehr grinsend mit mir ein, ehe er sich wieder – mit gefasster Miene – zu Iasmin dreht, die sich umschaut. „Na toll, wo kann man den Salat abstellen?", sie hält Marvin die Schüssel hin und grinst, als er verdattert schaut. „Ich habe doch gesagt, dass nur ich für das Essen sorge!", er betrachtet argwöhnisch die Schale und hält sie von sich weg, sodass ich lachend den Deckel abnehme und daran schnuppere. „Riecht aber vegetarisch und gesund", gebe ich zu bedenken, Iasmin nickt: „Eben. Und du hast nur so deftige Sachen – nichts für ungut. Aber dein Grillkäse schmeckt wirklich göttlich." Nach dem Zwinkern von Iasmin lächelt Marvin wieder selig und schnuppert ebenfalls an dem grünen Salat, um dann mit den Schultern zu zucken. „Oh, und ich habe Wein reingekippt", raunt Jannis mir zu und wir lachen, während Marvin uns nur fragend anschaut. Anders als Iasmin, die sofort nach hinten geht und Gabriel antippt – die beiden umarmen sich und reden über etwas, woraufhin sie und Gabriel lachen, sogar Mercedes grinst und beschäftigt sich weiterhin mit der Musikanlage. „Ich sage es ja nur ungern, Raph, aber dein Freund ist ein echter Frauenmagnet", Marvin seufzt und klopft mir auf die Schulter, wobei er fast den Salat fallen lässt. „Ich weiß. Richtig ätzend", schmunzele ich und lehne mich an Jannis, der brastig zu Iasmin und Gabriel schaut. „Oh ja. Flirten die beiden etwa? Doch wohl nicht, oder?", regt er sich leise auf, „außerdem könnte man auch sagen, dass er halt viele weibliche Freunde hat. Irgendwie macht ihn das weniger bad." Ich lache bei seinem Kommentar und stoße ihn in die Seite. „Entspanne dich mal. Oder ist da etwa jemand eifersüchtig?", ich klimpere gespielt mit den Wimpern und mein bester Freund rempelt mich an: „Nein! Ich doch nicht! Außerdem würde Iasmin mich nie wieder betrügen. Hoffe ich." Er wendet sich von dem Anblick seiner Freundin ab und zieht sich wieder seine Sonnenbrille auf. Marvin und ich brauchen nur einen Blick auszutauschen, dann prusten wir los und schieben Jannis zur Bierbank, wo ich mit ihm die Bierflaschen öffne und verteile, während Marvin sich um den Grill kümmert. Diesmal schießt er die Neuankömmlinge nicht ab, als Maze und Deli vorsichtig in den Hinterhof finden. Als erstes weht ihr das kleine geblümte Kleid hoch, dann quiekt und lacht sie, als Maze die Arme um sie schlingt. „Ups, so war der Auftritt nicht geplant! Bonjour", begrüßt sie uns und drückt Jannis einen Teller mit Kuchen in die Hand, um mich zu umarmen. „He, na, wieso kamt ihr zu spät?", lache ich und wirbele sie einmal herum, Deli lacht ausgelassen und Maze schmunzelt verliebt, ehe er mit Marvin einschlägt und die beiden danach tauschen. Jannis stellt genervt den Kuchen ab und schiebt sich dann auch dazwischen, genau wie Iasmin, die mit Mercedes und Gabriel im Schlepptau ankommt, um ihre beste Freundin zu umarmen. Im Hintergrund läuft irgendein Popsong – auch gut. „Weil Deli sich noch die Schokoglasur aufs Kleid gekippt hat und sich umziehen musste", brummt Maze als Antwort auf meine Frage, Deli wird rot und lächelt, als Iasmin den Arm um sie legt: „Ach, meine kleine tollpatschige beste Freundin. Marvin fand dafür meinen Salat doof." „Was, echt?", Deli schaut groß und funkelt Marvin an, der lachend die Arme hebt: „Stimmt gar nicht!" Sofort diskutieren er und Iasmin wieder, wobei Jannis seiner Freundin zur seite steht. Maze und ich setzen uns schon auf die Bank und gegenüber von Deli, die neben Gabriel rutscht und ihn fest umarmt. Es sieht niedlich aus, wie klein und quirlig sie ist – und dass er sogar lächelt und ihr etwas ins Ohr flüstert, was sie erröten lässt. Kopfschüttelnd grinse ich die beiden an und will etwas sagen, als Mercedes bereits das Wort ergreift: „Babe, ich hab Hunger! Und das Fleisch ist doch eh schon fertig!" „Oh ja, dann fangen wir an. Ed kommt sicher gleich und euer Käse ist eh noch nicht fertig, Mädels", Marvin lacht verlegen und verteilt schnell das Fleisch auf den Tellern. Besonders Mercedes und Gabriel laden sich ihre Teller voll und schaufeln sich Soßen und Brot in die verschiedenen Fächer. Auf Gabriels anderer Seite sitzen Iasmin und Deli – schön weit entfernt vom Grill und machen sich solange über den Salat her. Als Maze und Jannis nicht auch etwas davon nehmen, schauen sie beleidigt, was uns alle lachen lässt; also schnappen die beiden Jungs sich auch noch etwas und reichen mir die Schüssel, damit ich auch noch die Reste rauskratzen kann. Als ich sie Marvin zu meiner Linken gebe, ist sie bereits leer. „Euer Ernst? Dabei grille ich doch die ganze Zeit!", meckert er und erntet ein gemeinschaftliches Ohhh. Sogar Gabriel macht mit, was mich wundert. Aber er taut langsam auf, jedenfalls solange er zwischen den drei Frauen sitzt und sich mit ihnen gegen uns andere gegenüber verbündet. Wenn sein Blick mal meinen kurz streift – wir sitzen ja nicht umsonst direkt gegenüber voneinander – schaut er schnell wieder weg oder grinst mal schief, um sich dann wieder abzuwenden oder zu essen.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt