Kapitel dreizehn

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Raphaels Sicht 

Ich liebe den Sommer. Oder eher die letzten Tage davon, die meistens die intensivsten sind. Die Sonne scheint warm in mein Gesicht und auf meinen Bauch, während ich einfach nur die Augen geschlossen habe und die Geräusche um mich herum genieße: In der Ferne kreischen und lachen Kinder, das Wasser des Sees ist leise schwappend bis hier zu hören, obwohl wir auf der leereren Seite des Sees liegen. Neben mir blättert Eden laut Buchseiten um, während Marvin kaut und flucht, als ihm das Eis in den Schoß, also auf seine Badehose fällt. Als ich trotz der geschlossenen Augen lache, boxt er mich auf den Brustkorb und steckt mir dann ein Eisstück in den Mund. Blinzelnd öffne ich die Augen, richte mich auf und kontrolliere erst, was er da im Becher hat (dieses Kaktuseis, na lecker) und lutsche dann auf dem prickelnden Etwas zwischen meinen Zähnen herum. „Toll, oder?", grinst er mich an und pustet sich in die orangenen Haare, die fast greller als seine gleichfarbige Badehose sind. „Klappe, ich lese!", zischt Eden und streicht sich ihre nassen Strähnen aus dem Gesicht. Mutig, dass sie nach unserer Wasserschlacht gleich wieder liest und das Leben ihres Buches riskiert, aber mir soll es recht sein. „Langweilerin!", schimpft Andy neben ihr und zieht sich einen der beiden Stöpsel aus dem Ohr. „Ich dachte, du hörst Musik", ziehe ich sie auf, sie lacht und zeigt mir den Mittelfinger – das scheint sie sich aus der Bar von den Jungs, na ja Männern mehr als abgeschaut zu haben. Danach lässt sie sich lachend neben Eden auf ihr Handtuch fallen und summt leise mit. Die beiden Mädels scheinen beide nicht weiter an einem Gespräch interessiert zu sein, stattdessen sonnen sie sich schweigsam nebeneinander und lassen sich die jeweils roten Haare in die Stirn fallen – es ist ein Wunder, dass ihre Bikinis nicht die gleiche Farbe haben. „Raph? Marvin? Wollt ihr nochmal mit mir ins Wasser? Ich will unbedingt mein aufblasbares Einhorn ausprobieren", ruft Deli auf einmal. Mit dem großen Gummitier unter dem Arm kommt sie zu uns strahlt uns an. „Erst muss ich aufessen", erklärt Marvin, als wäre es das Verständlichste der Welt. Deli kichert und blinzelt mich fragend an, während sie unsicher an ihrem gepunkteten Bikini zupft. Okay, an der Stelle würde ich Maze recht geben, dass sie jung wirkt. Wesentlich jünger als wir alle, was aber nicht zwingend ein Kriterium sein sollte. „Klar, ich komme gerne mit", schmunzele ich und klopfe mir die Badehose ab, dann folge ich ihr über das trockene Gras. „Maze wollte nicht mitkommen, weißt du, warum?", redet sie sofort darauf los und quiekt auf, als sie auf eine Wurzel steigt, danach kichert sie. „Das lag nicht an dir, er – hat er es dir nicht gesagt?", verwundert betrachte ich sie von der Seite und greife nach dem Einhorn, um es ihr abzunehmen, als sie wieder stolpert. „Ach, das musst du nicht. Ich kann das alleine, ich bin eine starke Frau", lacht sie gut gelaunt, ich nicke. „Oh ja, genau das würde Eden auch sagen. Aber das ist doch nur ein Gummitier, natürlich kannst du das tragen", lächele ich sie an und klemme mir dieses unhandliche Ding unter den Arm. „Okay. Lass mich raten, warum er nicht mitkommt! Er findet mich peinlich? Kindisch? Er will nicht mit dem Ding gesehen werden?", bohrt sie neugierig nach und wirft einen Blick über die Schulter. Seufzend tue ich es ihr gleich und fange Maze' Blick, wie er uns beinahe sorgenvoll mustert – ich strecke ihm die Zunge heraus und versichere ihm mit einem Blick, dass ich schon auf Deli aufpasse. Neben ihm liegen Jannis und Iasmin, die es erstaunlicherweise gemeinsam aushalten. Weil Deli unbedingt mitwollte, hat Iasmin sie nicht alleine gehen lassen. Aber wenn man mich fragt, hat sie auch erst ein Drama daraus gemacht, um es dann Jannis zu zeigen: Sie trägt einen unendlich knappen, engen Bikini, der ihre langen Beine und ihre Model-Figur betont. Dazu rekelt sie sich neben ihm in der Sonne und schießt ein paar Fotos mit ihrer Kamera. Im Grunde fotografiert sie alles und jeden, nur nicht Jannis, der sie schon den ganzen Nachmittag unter seiner Sonnenbrille beobachtet. Hätte der Idiot nicht aus Prinzip mit Terra geschlafen, wette ich, wäre das ehemalige Traumpaar längst in einer der Umkleiden verschwunden. Die Spannung zwischen ihnen ist beinahe greifbar – auch wenn sie damit Steph und Levin kaum Konkurrenz machen; die beiden turteln abseits von allen anderen Handtüchern herum. Ich glaube, wir sind alle ein bisschen eifersüchtig auf ihre Liebe. „Raph? Bitte sei ehrlich", holt Deli mich wieder zurück ans Wasser. Ach ja. „Nein, sorry, ich war in Gedanken. Maze hat – er hat Angst vor tiefem Wasser. Er ist als Kind mal fast in dem Pool von Jannis' Eltern ertrunken, wir anderen haben da noch geschlafen, glaube ich. Eden musste ihn dann retten und war total überfordert und – ja. Aber wehe du sagst ihm, dass ich das verraten habe", flüstere ich ihr verschwörerisch zu und rempele sie sanft in die Seite. Deli lacht leise und nickt dann verständnisvoll, als sie quietschend ins Wasser rennt. „Kann er also gar nicht schwimmen?", hakt sie nach. Beinahe hat sie ihr Einhorn vergessen, das ich aufs Wasser setze, erst dann wage ich mich auch nochmal in den lauwarmen See. „Doch, er mag es nur nicht. Wenn wir fünf alleine sind, dann traut er sich manchmal rein. Aber ich schätze, er würde sich nie vor dir blamieren wollen", rutschen mir die nächsten Worte raus. Das ist mir der Verrat an Maze wert, wenn ich Delis Strahlen sehe. Beflügelt lässt sie sich auf ihr Einhorn sinken, während ich sie weiter in den See schubse und gleichzeitig versuche zu reden und zu schwimmen. „Also mag er mich auch? Also schon so romantisch, meine ich?", fragt sie und strampelt mit den Füßen im Wasser, damit sie selber vorankommt und ich mich ebenfalls festhalten kann. Wir treiben noch ein Stückchen raus und ich halte mich an dem Einhorn fest und lasse mich von der glänzenden Reflexion des Wassers blenden. „Ja, er ... Er mag dich auch, er ist nur schüchtern", schmunzele ich. Sie lächelt breit und blinzelt dann. „Und du? Hast du jemanden, wenn ich schon fragen darf?", sie schaut erwartungsvoll und spritzt mich nass, als ich nicht sofort antworte: „Oh mein Gott, Raph!" „Nein, nein, ich habe niemanden. Ich finde nur online jemanden attraktiv. Glaube ich. Ach, vergiss es", winke ich ab, sie hält mich am Arm fest, als ich gerade abtauchen will. „Erzähl!" „Bloß nicht, das musste ich gefühlt schon hundertmal. Außerdem ist es nicht einmal sicher, wir haben ursprünglich nur über seine Bilder geschrieben –", setze ich an, da quietscht Deli bereits wieder los. Etwas, von dem Maze etwas mehr vertragen könnte und – ich gebe es zu – sie selbst vielleicht weniger, was sie nicht weniger niedlich macht. „Warte, er ist Maler? Wieso hast du das nicht gesagt?! Vielleicht ist er in meinem Studiengang! Manchmal habe ich auch Kontakt zu Älteren und –", redet sie darauf los, ich lache und versenke sie sanft. Sie prustet und kichert und schaut fragend: „Das werte ich als Nein? Du willst ihn nicht kennenlernen?" Mein Herz schlägt schneller. „Nein, erst einmal nicht. Es ist bisher gut so, wie es ist. Vielleicht bald", ich zucke mit den Schultern und füge dann hinzu, dass sie ihn gar nicht kennen kann, weil er nicht studiert. Eine Weile plätschert unser Gespräch weiter vor sich hin, bis wir wieder zu ihr und Maze zurückkehren und sie mich über ihn ausquetscht, bis ich mich weigere, sein ganzes Leben auszubreiten und sie stattdessen von Frankreich und der WG mit Iasmin schwärmt – ich gebe es zu, es ist schon ein schicksalhafter Zufall, dass die beiden mehr oder weniger Gefühle für zwei ebenfalls unverschämt reiche beste Freunde haben, was uns wieder lachen lässt.

Repressed Colours (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt