Abigail, the red nose girl

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Der letzte Schultag vor den Ferien. Ich hatte aufgehört die Tage seit Henrys Flucht zu zählen, es waren zu viele. Nun stand Weihnachten vor der Tür und die Schüler und Schülerinnen des Internats fuhren nach Hause um mit ihrer Familie Weihnachten und Silvester zu feiern. Jeder freute sich, mit Ausnahme von mir. Dieses Fest war zwar erträglicher als alle anderen, aber trotzdem konnte ich mir schöneres vorstellen. Zum Beispiel sich wie Tiffany und Leigh zu freuen, dass es in Kalifornien nie wirklich kalt wurde. Stattdessen würde ich im kalten Staat Washington jede Menge Essen in mich hineinstopfen, um möglichst wenig mit meiner Familie reden zu müssen.
Ich konnte nur hoffen, dass meine Mutter die Nachbarn nicht eingeladen hatte wie an Thanksgiving. Und mit Nachbarn meinte ich nicht die netten alten Leute im Haus links von uns. Nein. Ich meinte Henry Robert und seine Familie. Der Junge, der mir das Herz gestohlen hatte und es einfach nicht wieder rausrückte.

"Und damit danke ich euch für ein weiteres schönes Jahr an unserem Internat. Ein Jahr, das voller neuer Freundschaften, Liebe" Irrte ich mich, oder sah Mrs Humphrey dabei in meine Richtung? "Und Erfahrungen war. Ich wünsche euch ein gesegnetes Weihnachtsfest, ein frohes neues Jahr und dass ihr alle in zwei Wochen genauso gesund und fröhlich wieder herkommt, wie ihr nach Hause gefahren seid." Applaus brandete auf. Mrs Humphrey war eine der beliebtesten Lehrerinnen dieser Schule, die beste Direktorin, die man sich wünschen kann, und einfach eine herzensgute Frau. Sie war perfekt für dieses Internat, mit ihrer Autorität, ihrem Verstand und ihrem Herzen. Und genau deswegen wurde sie von ihren Schülern geliebt.

"Zum Abschluss bitte ich Tiffany Davis, unsere charmante Schülersprecherin, auf die Bühne." Unsere Direktorin überließ meiner Mitbewohnerin den Platz am Pult und Tiffany begann mit einem professionellen Lächeln ihre Weihnachtsrede.

"Bevor ich anfange, habe ich noch eine Ankündigung bezüglich des Schneeflockenballs zu machen. Anlässlich des mangelnden Schnees wird der Ball auf den dreiundzwanzigsten Dezember gelegt, denn wenn man dem Wetterbericht trauen kann, wird es zu diesem Zeitpunkt wunderschönen Pulverschnee geben. Also, Jungs, die noch kein Date haben, schnappt euch die noch freien Mädchen! Einen Ball wie diesen wird es für einige von euch nie mehr geben." Tiffany machte eine Kunstpause, um das Gesprochene sacken zu lassen. "Und nun zum eigentlichen Thema. Weihnachten, das Fest der Liebe. Weihnachten, das Fest der Familie. Weihnachten, das Fest des Zusammenkommens. Jedes Jahr dasselbe, Advent, Vorweihnachtszeit, Heiligabend, Weihnachten. Doch lieben wir diese Tradition und auch unseren alljährlichen Ball..." Ich begann abzuschalten. Tiffanys Reden waren zwar nie wirklich langweilig, aber interessieren taten sie mich auch nicht.

"Und damit mir meine geliebte Mitbewohnerin Abby nicht gleich vor Langeweile vom Stuhl fällt, mache ich jetzt Schluss. Frohe Weihnachten und bis zum Schneeflockenball!" Gosh, wie peinlich. Tiffany Davis, du bist eindeutig tot. Alle lachten, ich wurde rot, wollte im Erdboden versinken.

Nach der Rede gab es Mittagessen und dann ging es auch schon los. Schülerströme stürmten das Schultor, fielen ihren Familienangehörigen in die Arme, überall glückliche Gesichter.

"Kopf hoch, Abby! Wir sehen uns in fünf Tagen doch schon wieder!" Tröstete mich Tiffany, als ich mit einem gequälten Gesichtsausdruck meinen Trolley die Stufen hinunterwuchtete.

"Ich meine nicht...Weihnachten, sondern..." Schnaufte ich. "Sondern die Treppe." Wer hätte gedacht, dass schmutzige und saubere Wäsche so viel wogen. In meiner Schultasche, die jetzt nicht mehr als Schultasche diente, befanden sich zwei Bücher, die ich in den zwei Wochen lesen wollte, meine Brille, Schminke und mein Ticket. Mein Ticket für die Bahn nach Marysville, meiner Heimatstadt in Washington in der Nähe von Seattle in direkter Anbindung an die Route 5, welche geradewegs nach Salem führte.

"Wir sehen uns in fünf Tagen." Verabschiedete sich Tiffany, die ihrem Bruder schon ihre Koffer in die Hand gedrückt hatte.

"Abby, tu mir einen Gefallen." Sie sah mich eindringlich an.

"Was denn?"

"Überlebe." Sie grinste wieder und stieg dann in den Aston Martin.

"Mach's gut, Davis!" Riefen Leigh und ich ihr hinterher.

"Leigh, kommst du? Wir müssen auch los." Meinte Sullivan, der sich soeben noch von Cameron verabschiedet hatte und nun zu uns getreten war.

"Tschüss, Abby. Bis in fünf Tagen." Beide umarmten mich, ehe sie Hand in Hand zu Sullivans Vater gingen, der die beiden abholte.

Von meinen Freundinnen verlassen, machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof, der in der Nähe der Stadt lag. Es war kalt, ich fror ein wenig und mein Gepäck schlug dauernd gegen mein Bein. Trotzdem würde ich niemals Tiffany anrufen und sie fragen, ob sie für mich einen Umweg machen würden und mich zum Bahnhof brachten.

Endlich erreichte ich das große Gebäude mit der Aufschrift 'Salem Central Station' und ging sofort ohne weitere Zeit zu verschwenden zum Gleis.
Zumindest hatte ich das vorgehabt. Stattdessen führte mich mein Weg zum Bahnhof Starbucks, wo ich mir einen Kakao und einen Muffin kaufte. Zufrieden mit meinem Proviant, den ich in einem kleinen Deli dann doch noch um ein Brötchen und eine Banane aufstockte, setzte ich mich auf meinen Platz im Zug und wartete auf die Abfahrt.

In Marysville angekommen, stand ich mit meinem Gepäck vor dem Eingang des Bahnhofs und wartete auf das Auto meiner Eltern.
Aber es kam nicht.
War ja klar.
Noch keine halbe Stunde in der Heimat und schon wünschte ich mir, nie hergekommen zu sein.

Genervt, halb erfroren und mit voller Blase nahm ich den Bus, der mich allerdings nur in die ungefähre Richtung meines Zuhauses brachte.
Also musste ich auch noch zehn Minuten laufen, was für mein Bedürfnis nach einer Toilette nicht besonders förderlich war.

"Frohe Weihnachten." Zischte ich mehr zu mir selber, als ich das bestimmt tausendste Weihnachtsplakat sah. Meine Stimmung war auf dem Tiefpunkt angekommen.

Und dann stand ich endlich vor unserem Haus. Es leuchtete quasi schon aus der Ferne, geschmückt im typsich amerikanischen Stil. Ich klingelte und betete gleichzeitig, dass jemand da war.
Meine Schwester Britt öffnete mir die Tür.
"Oh, du bist es." Sagte sie, als sie mich erblickte.
"Hi." Gab ich knapp zurück.
"Britt, wer ist es?" Rief meine Mutter von der Küche aus.
"Abigail mit der roten Nase!" Lachte Britt und verschwand wieder im Wohnzimmer.
Willkommen in der Weihnachtshölle.

"Oh, Abigail-Schatz, dich hab ich ja ganz vergessen!" Begrüßte mich meine Mutter unschuldig lächelnd.
"Ist schon gut, Mom." Ich schälte mich aus meiner Jacke.
"Die Jacke kannst du gleich anbehalten, du musst mit Mercys Hund gehen!" Mit diesen Worten drückte sie mir die Leine mit passendem Hund in die Hand und ging dann zurück in die Küche. Ich hatte extra 'Leine mit passendem Hund' gesagt, denn dieses Vieh konnte man nicht als nennenswertes Etwas bezeichnen. Kläffend, stinkend, verzogen.

Aber um des lieben Friedens willen, tat ich wie mir befohlen und ging Gassi in der Eiseskälte mit dem Rotzlöffel an der Leine.

Als ich wieder in meine Straße einbog, bemerkte ich aus den Augenwinkeln eine Person in der Seitenstraße. Bei genauerem Hinsehen, erkannte ich sie.
Sie, Bree.
Henrys Mutter.
Und bevor sie mich entdecken konnte, war ich schnell mit dem Hund nach Hause geflüchtet.
Gott bewahre, wenn sie mich auf Henry angesprochen hätte.
Und das hätte sie getan, mit einer hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit.

"Abigail, rate mal, bei wem wir morgen zur Geburtstagsfeier eingeladen sind!" Meine Mutter nahm mir den Hund ab.

"Keine Ahnung?" Gab ich gelangweilt zurück.

"Bei den Roberts! Bree hat Geburtstag und hat dich, deinen Vater und mich eingeladen!" Sie strahlte. Bree und sie mussten ja wirklich beste Freundinnen sein.

"Na dann...und was machen Britt, Mercy und die anderen?"

"Die fahren nach Seattle, Britt zeigt ihnen ihre Wohnung." Mom stellte für den Hund, dessen Name ich noch nicht mal wusste, eine Schüssel Wasser hin.

Ein letztes Nicken, dann ging ich in mein Zimmer. Müde vom Tag, die lange Reise und der Spaziergang noch in den Knochen, zog ich mir eine kurze Hose und einen Kapuzenpulli an und verließ dann mein Zimmer, um ins Bad zu gehen.

Zurück in meinem Zimmer, blieb ich wie angewurzelt im Türrahmen stehen.

"H-Henry?"

"Hallo, Abby."

Ich habe Abbys Wohnort von Michigan auf Marysville verlegt, weil das realistischer ist, von der Entfernung her.
Ich hoffe, das Kapitel war nicht allzu langweilig und es hat euch gefallen. :)
XOXO

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