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Ich hatte Elle noch geschrieben, sie solle mir bitte sagen, wo sie auf mich warten würde, denn mir war von vornerein klar, dass ich mich hier nicht zurechtfinden würde.

Selbstverständlich hatte ich recht.

Ich habe mich mit meinem Koffer zum Haupteingang gekämpft und stehe nun hier, um mich herum hunderte von Menschen, die mit ihrer Outfitwahl alles richtig gemacht zu haben scheinen.

Ich hingegen habe immer noch meinen dicken Wollpullover an und spüre, wie einzelne Schweißtropfen langsam meinen Oberkörper herunterlaufen und vom Bund meiner Skinny Jeans eingesogen werden wie Wasser von einem Schwamm.

Mit meinem Flugticket wedele ich mir Luft zu, während ich nach Elle Ausschau halte.

Doch von ihr fehlt jede Spur.

Ich kann sie auch nicht anrufen, mein Handyakku ist leer und ich bin so dämlich gewesen und habe nur eine aufgeladene Powerbank mitgenommen.

Mir wird keine Beachtung geschenkt, was auch besser so ist, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit, das Gesprächsthema am Abendbrottisch zu sein, um einiges geringer.

Oder Mittag? Ich habe gerade gar keine Ahnung, wie spät es überhaupt ist.

Die Sonnenstrahlen scheinen durch die großen Fensterscheiben, direkt auf mich rauf, und tränken das ganze Gebäude in grellem Licht.

Ich glaube, wenn die mich hier abgeholt haben, habe ich schon einen Sonnenbrand.

Meine englische Haut ist wirklich sehr empfindlich. Man möge meinen, ich bin ein Vampir.

Ich hoffe das ändert sich hier.

Frustriert setze ich mich auf meinen Koffer und starre den Haupteingang einfach nur an.

Vielleicht sind sie schon etliche Male an mir vorbeigelaufen, aber ich habe sie nicht erkannt und sie mich nicht, weil wir uns so lange nicht gesehen haben.

Dabei fällt mir ein, dass ich Elle das letzte Mal vorgestern über Facetime gesehen habe, und, wenn mein Gedächtnis von der Sonne noch nicht ausgetrocknet wurde, dann kann ich mich noch ziemlich gut an ihr Gesicht erinnern.

Und keiner hier sieht aus wie sie.

Mit der Frustration steigt die Anspannung und vor allem die Nervosität, und ich beginne zu denken, dass heute gar nicht mein Ankunftstag ist.

Schnell schlage ich mir diesen Gedanken wieder aus dem Kopf.

Ich will gerade aufgeben und einen Passanten um Hilfe bitten, als ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf höre, die meinen Namen ruft.

Ruckartig drehe ich mich um und suche die Quelle der vermeintlichen Stimme, doch sehe niemanden, der auch nur ansatzweise in meine Richtung schaut.

Skeptisch lege ich meine Stirn in Falten, und drehe mich wieder nach vorne, aber wieder ruft dieselbe Stimme meinen Namen, diesmal nur viel lauter.

Ich stehe auf und suche weiter.

Zwischen all den herumirrenden Menschen, steht ein kleiner Mensch mit braunen, hochgebundenen Haaren und wedelnden Armen, die genau in meine Richtung winken.

Plötzlich fängt mein Herz an zu rasen und dieses unbeschreibliche Kribbeln macht sich in meinem Magen breit.

»Elle«, hauche ich.

Sofort lasse ich alle Taschen zu Boden fallen und renne auf sie zu, als sie auf mich zu rennt.

Ich dränge mich durch die Menschen, die mir leise hinterherfluchen, dass ich doch bitte aufpassen solle, doch alles was ich sehe ist Elle, die immer näher auf mich zukommt, bis wir uns in der Mitte treffen.

My Best Friend's Brother [l.s.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt