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Ich weiche von Louis zurück und drehe mich ruckartig um.

Fuck.

»ELLE?!«

Dort steht sie, meine beste Freundin, direkt vor mir, mit einem Blick, der mehr als tausend Worte sagt.

Die Musik hämmert weiter in meiner Brust und der Boden unter uns vibriert noch stärker als vorher.

»Was-«, beginnt sie und geht einen Schritt auf uns zu.

Ihr Blick springt zwischen Louis und mir hin und her.

Ich lasse langsam von Louis' Kragen ab und gehe auf sie zu.

»Es ist nicht das, was du denkst«, versuche ich mich rauszureden, doch weiß selbst, dass das nichts bringen wird.

Sie hat uns erwischt. Eiskalt.

Ich weiß gar nicht, was ich sonst sagen soll.

Mein Kopf bringt gar keine richtigen Sätze zusammen; er hat gerade verlernt, wie man nochmal richtig Wörter sagt, und das ausgerechnet jetzt, wo ich doch so viele brauche, um ihr eine passende Erklärung zu liefern für das, was sie hier sieht.

Sie steht einfach nur da, ihre Augen sind glasig und nass, auf ihrem blassen Gesicht spiegeln sich die bunten Lichter der Scheinwerfer wider und ihre Lippen zittern.

»NICHT DAS, WAS ICH DENKE?!«, schreit sie.

Ich zucke zusammen, bleibe abrupt stehen.

Eine erdrückende Stille fällt übe uns herab, mir bleibt eine passende Antwort fern, weshalb ich einfach nur dastehe, sie ansehe und hoffe, dass ich gleich aus meinem Alptraum aufwache.

Aber ich wache nicht auf.

Elle sieht zu mir, Tränen laufen ihr über die Wangen und es zerreißt mir das Herz, sie so am Boden zerstört zu sehen, als sie mit zerbrechlicher und zittriger Stimme fragt: »Wie lange schon?«

Ich sehe zu Louis, der seinen Blick gesenkt hat, und nervös mit seiner Unterlippe spielt.

Ich versuche etwas zu sagen, doch der Kloß in meinem Hals hält mich vom Sprechen ab.

»WIE LANGE SCHON?!«

»Etwas mehr als eine Woche«, antworte ich wahrheitsgemäß.

Sie schüttelt nur den Kopf.

»Wieso?«, schluchzt sie. »WIESO TUST DU MIR DAS AN!«

»Bitte, Elle, hör mir zu, ich-«

»LASS MICH IN RUHE!«

Sie schlägt meine Hand weg. »ICH HABE DIR VERDAMMT NOCHMAL MEIN HERZ AUSGESCHÜTTET! HABE DIR ALLES ERZÄHLT! UND DIR FÄLLT NICHTS ANDERES EIN ALS MICH SO DREIST ZU BELÜGEN?!«

Inzwischen hat sich ein Kreis aus Mengen um uns herum gebildet, die das Spektakel interessiert beobachten.

»Bitte«, flehe ich an und gehe noch einen Schritt auf sie zu, »bitte, können wir das in Ruhe klären?«

»WAS WILLST DU KLÄREN, HM?! VERDAMMT HARRY! DU HAST MICH ANGELOGEN! UND DANN AUCH NOCH LOUIS?! ERNSTHAFT?! DU MACHST DIHC HINTER MEINEM RÜCKEN AN MEINEN BRUDER RAN, OBWOHL DU MIR VERSPROCHEN HAST, DASS DU ES NIEMALS TUN WÜRDEST?!«

»Ich kann das erklären-«

»DA GIBT ES NICHTS ZU ERKLÄREN, HARRY! DU WARST ALLES FÜR MICH! VERDAMMT ICH LIEBE DICH, DU BIST MEIN BESTER FREUND, WIESO TUST DU MIR SOWAS AN?! UND DU LOUIS?! AUSGERECNET DU?! WIESO TUST DU SOWAS?!«

Louis schweigt, weiß genauso wenig wie ich, was er dazu sagen soll, denn sie hat Recht.

Tränen steigen mir in die Augen. »Bitte, ich will-«

»Nein, Harry«, sagt sie und schüttelt den Kopf, »weißt du was? Du kannst nachhause. Ich will dich nicht mehr sehen. Nie wieder.«

Ich muss schlucken, und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Sie hat Recht. Es war doch klar, dass das passiert. Früher oder später wäre es eh dazu gekommen.

»Elle, bitte...«

In Elles Augen lodert das Feuer und noch nie habe ich einen so finsteren Blick von ihr bekommen. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter.

Elle dreht sich von mir weg.

»Elle, bitte, wir können darüber sprechen.«

Aber dann dreht sie sich wieder zu mir, mit einem frischen Drink in der Hand, bevor sie einen Schritt auf mich zu geht und mir das ganze Getränk über den Kopf schüttet.

Die Zuschauer um uns herum ziehen scharf die Luft an, die ersten zücken bestimmt ihre Handys und stellen die Bilder ins Internet, während der kalte Cocktail über meine Augen und Lippen, unter mein T-Shirt, in sämtliche Körperregionen läuft und von meiner Kleidung eingesaugt wird.

Dann sieht sie mich wieder an, mit dem leeren Glas in ihrer Hand, und sie sagt etwas, was sie noch nie zuvor mit so einer Ernsthaftigkeit gesagt hat: »Ich wünschte, du wärst niemals hergekommen. Ich hasse dich.«

Mit einem starken Wurf, schmeißt sie mir das Glas vor die Füße und es zerbricht in Millionen kleine Einzelteile, so wie ihr Herz, welches ich gerade gebrochen habe.

Und egal, wie viel ich versuche, die kleinen Teile wieder zu einem großen zusammenzusetzen, die Risse und Narben werden für immer bleiben. Und nichts wird mehr so, wie es mal war.

Sie geht weg, drängt sich durch den Zuschauerkreis raus aus dieser Szene, ohne mich noch einmal anzusehen.

Und dann herrscht Schweigen. Niemand sagt etwas, selbst die Musik ist leiser geworden, und ich bin mal wieder der Mittelpunkt der Szene.

Der Druck in meiner Brust wird größer, jede Faser meines Körpers schmerzt, bis in Fingerspitzen und ich muss mich zusammenreißen, nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen.

Nicht vor all den Handykameras, die auf mich gerichtet sind.

Ich schließe die Augen, versuche mich zu sammeln, doch plötzlich legt Louis seine Hand auf meine Schulter und sagt sanft: »Harry...«

Aus Reflex schlage ich seine Hand von meiner Schulter und schreie ihn an: »LASS MICH IN RUHE! DAS IST ALLES NUR DEINE SCHULD!«

Langsam senkt er seinen Arm und sein Gesichtsausdruck verwandelt sich von bedrückt zu wütend.

»Schon klar«, sagt er leise, bevor auch er an mir vorbeihuscht und mich, ohne mich anzusehen, verlässt.

»LOUIS WARTE!«, rufe ich ihm hinterher und will loslaufen, als ein stechender Schmerz auf einmal meinen ganzen Körper vom Fuß aus durchfährt.

Ich muss dabei zu sehen, wie Louis sich durch die Menge kämpft und ertrinkt.

Was habe ich getan...  



My Best Friend's Brother [l.s.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt