Ernte

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1: Die Tributin


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Der Hunger nagt in meinem Bauch, schmerzhaft, doch nicht schlimmer als sonst. Inzwischen bin ich es beinahe schon gewöhnt. Sosehr, wie man sich eben an Hunger gewöhnen kann. Wie zur Bestätigung, knurrt mein Magen und beinahe hätte ich gelacht. Doch das Gefühl der Leere, holt mich ein, bevor ich amüsiert sein kann. Amüsiert sind die wenigsten Menschen in Distrikt 12. Wir sind der hungernde Distrikt, man könnte beinahe meinen, es sei ein ungeschriebenes Gesetz.

Zusätzlich zu dem Hunger, kommt die Erschöpfung durch die Arbeit und allem vor ran, Angst. Angst, dass man seine einzige Einnahme Quelle verliert und auf der Straße sterben muss. Angst, dass der Familie etwas zustößt. Angst, vor den Hungerspielen. Gerade diese Furcht hat in den letzten Wochen enorm zugenommen, wie jedes Jahr, wenn die Ernte näher rückt. Auch ich kann nicht leugnen, dass ich beim Gedanken an den morgigen Tag weiche Knie bekomme.

Ganze vierzehn Mal ist mein Name in die Lostrommel gewandert, als ich elf Tesserasteine beantragte. Zusätzlich dazu kommen die drei Lose meines Alters, 15. Ich muss darauf vertrauen, dass das Glück steht's bei mir sein wird, wie Andrina Dankworth es jedes Jahr fröhlich verkündet. Ja, sie hat leicht reden. Sie sie ist ja nicht dem Tod geweiht. Ich schließe die Augen und versuche die Gedanken an die Hungerspiele zu verdrängen. Es wird schon alles gut gehen, sage ich mir, so zuversichtlich wie ich eben in der Lage bin.

Der einzige Ort, an dem ich jegliche Angst ablegen kann, ist bei meiner besten und einzigen Freundin, Fjella Hernandèz, dem süßesten, schüchternsten und zugleich aufgewecktesten Mädchen, dass ich kenne. Fjella, mit ihrem dichten goldblondem Haar, den großen blauen Augen und den vollen Lippen, ist eines der begehrtesten Mädchen unseres Alters, aber viel zu unsicher, um auf solche Flirtversuche einzugehen. So sind wir beide single, ich jedoch einfach aus der Überzeugung, keinen Jungen zu brauchen.

Auch meine beste Freundin ist 15 Jahre alt, hatte es aber im Gegensatz zu mir nicht nötig, Anspruch auf Tesserasteine zu erheben, denn ihre Familie ist für Distrikt 12- Verhältnisse wohlhabend. Um sie mache ich mir kaum Sorgen, mit drei Losen in der Schüssel, besteht doch eher eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass sie gezogen wird.

Fjella wäre komplett ungeeignet für die Spiele. Sie ist zurückhaltend, kann keiner Fliege etwas zu leide tun und ist wehrlos. Sie könnte sich weder effektiv verteidigen, noch die „natürlichen" Gefahren der Arena überleben. Vermutlich wäre sie nach Beginn der Spiele schon tot.

Bei dem Gedanken daran, wird mir ganz anders. Ich kuschele mich noch enger an sie und tröste mich mit ihrem Duft und ihrer Wärme. Sie ist nicht tot, sie ist hier bei mir, und da wird sie auch bleiben, mein kleiner Hamster. Ich nenne sie oft Hamsterchen, denn nicht nur ihr rundes Gesicht hat Ähnlichkeit mit dem der flauschigen Nagetiere, auch ihr Verhalten ähnelt ihnen.

„Alles in Ordnung, Nova?", fragt sie mich besorgt. Ich nicke und lächele. Allein durch den Klang ihrer, etwas zu kindlichen Stimme, beruhige ich mich und vergesse die morgige Auslosung. So ist das immer mit Fjella. Sie vertreibt einfach jede Art von Sorgen, allein mit ihrer Art, ihrem Lächeln oder ihrer Stimme. Was würde ich nur ohne meinen Hamster tun?

Am Morgen der Ernte wache ich mit einem grummeligen Gefühl im Bauch auf. Nicht wie der Hunger, den ich sonst verspüre. Es ist Besorgnis, bis hin zu blanker Angst. Mein Herz pocht den ganzen Tag über so laut und so schnell, dass meine Mom es unmöglich überhören kann. Außerdem zittern meine Hände bei der Arbeit sosehr, dass sie mir irgendwann Nadel und Faden entzieht und mir beinahe befiehlt, beim Bäcker einen Laib Brot zu kaufen, eine willkommene Abwechslung, die ich dringend nötig habe.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt