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„Oh Gott, ich kann gar nicht hinsehen". Ich vergrabe mein Gesicht an Finnicks Brust, als Daxtons Kopf über den Boden rollt. Zum Glück höre ich nur Annies verzweifelten Schrei und muss ihre entsetzten Augen nicht mit ansehen. „Lauf Annie", murmelt Finnick und ich spüre die Vibration seines Atems an meiner Wange.
Daxton war dieses Jahr der männliche Tribut aus Distrikt vier, Annie der weibliche. Sie sind beide keine typischen Karrieros, sondern eher schwächlich und zart besaitet, für jemanden aus vier zumindest. Ich kann nicht prahlen, Lilith und Alvron waren nur Haut und Knochen, als sie ausgelost wurden. Sie sind beide bereits tot. Alvron ist verhungert und Lilith wurde von Runa aus Zwei aufgespießt, sie war zu geschwächt um zu kämpfen.
So langsam beginne ich zu verstehen, warum Haymitch sich im Alkohol ertränkt. Es ist verlockend, den Kummer einfach zu betäuben. Die Frustration, jedes Jahr aufs Neue junge Menschen darauf vorzubereiten, in den Tod zu gehen. Aber ich habe Finnick, deshalb bin ich stark genug, die Finger von Rauschmitteln zu lassen.
Da meine Tribute bereits verendet sind, liege ich zusammen mit Finnick auf einer Couch und hoffe für seine Tribute. Haymitch und ich haben ihnen sogar vom übrigen Sponsoren Geld für unsere Tribute etwas zu Essen geschickt. Aber die Chancen auf den Sieg stehen nicht gut. Daxton war ja noch muskulös, bis das Mädchen aus sieben seine Axt auf seinen Hals niedersausen lies, aber Annie...
Finnick streicht mir beruhigend übers Haar. „Kannst wieder hinsehen. Annie ist entkommen, sie haben die Leiche abgeholt". Zögernd drehe ich meinen Kopf wieder Richtung Bildschirm. Da kauert sie, das rote Haar zerzaust und vom herumspritzenden Blut verklebt, versteckt in einer Höhle oder unter einem Felsen. Sie weint. Das ist nicht gut für die Sponsoren, aber ich kann es verstehen. Ich habe damals auch geweint, als Kaidan gestorben ist.
„Glaubst du, sie kann gewinnen?", frage ich. Finnick presst die Lippen zusammen und sieht auf mich hinab. „Nein, nicht wirklich. Aber ich werde alles versuchen". Er holt seine Manschette hervor und tippt darauf herum, ich kann nicht erkennen, welchen Betrag er aufgibt. Kurz darauf bekommt Annie einen Korb, gefüllt mit Essen zugestellt. Distrikt 4 kann es sich leisten.
Vier Tage später sind nur noch neun Tribute übrig, Annie ist noch immer unter ihnen. Das ist schon mehr als ich erwartet habe. Ich sitze in der Lounge und beobachte wie Maureen aus 10 von den Karrieros aus eins und zwei die Kehle aufgeschlitzt wird. „Schönes Fernsehprogramm heute", sage ich und deute auf den Bildschirm, als sich Finnick mit zwei alkoholfreien Drinks in der Hand zu mir setzt.
„Uh, eklig. Ist sonst irgendwas passiert?" Ich schüttele den Kopf und nippe an der Limonade. Ich bin verliebt in Limonade, seit ich sie das erste Mal getrunken habe und es rührt mich, dass Finnick sich daran erinnert.
Eine Weile betrachten wir schweigend Maureens Leiche, dann herumwandernde Tribute. Plötzlich richtet sich Finnick leicht auf. „Was zum...", fragend sehe ich ihn an, doch als ich wieder zum Geschehen der Spiele zurückblicke, weiß ich was er meint. In einem der Kamerafelder erkennt man wie einer der großen Dämme, hinter denen sich Unmengen an Wasser befinden, Risse bildet. Ein Erdbeben bringt die massiven Mauern ins Wanken. Meine Augen weiten sich vor Angst, als ich mich an das Beben meiner Spiele erinnere.
Als der Stein auseinanderbricht, fließen gigantische Bäche an Wasser heraus, reißen Bäume, Sträucher und kleinere Felsen mit sich, zerstören alles was ihnen in den Weg kommt. Der erste Tribut, das Mädchen aus sechs glaube ich, wird von der Flut überrollt. Kurz darauf höre ich die Kanone, sie ist tot.
In den anderen Feldern kann man jetzt erkennen, wie auch die restlichen drei Dämme brechen. Erregtes Gemurmel bricht in der Lounge aus, und alle Mentoren versammeln sich um den nächstbesten Bildschirm um ja nichts zu verpassen. Von allen Seiten strömt Wasser in die Arena, Tribute fliehen, aber vergebens. Ich verliere den Überblick und zähle an den Fingern mit, wenn ein donnernder Kanonenschlag mich bis auf die Knochen zum Erzittern bringt.
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The second mentor- DieTributeVonPanem
FanfictionNiemand hätte gedacht, dass ausgerechnet die unscheinbare Novalee aus Distrikt 12 den Mut aufbringen würde, sich für die 66. Hungerspiele freiwillig zu melden. Sie selbst auch nicht. Aber als ihre beste Freundin in den Tod geschickt werden soll, gib...