Der letzte Abend

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Der nächste Tag ist eine komplette Zeitverschwendung. Lieber hätte ich ihn mit einem letzten Trainingstag verbracht, doch laut den Regeln müssen ich und Kaidan ein mehrstündiges Training für die Interviews über uns ergehen lassen, auch noch getrennt. So kann ich mich nicht mal durch seine aufmunternden Worte beruhigen lassen. Im Gegenteil. Andrina meckert pausenlos an mir herum, korrigiert meine Haltung, mein Lächeln, mein kokettes Nicken... welch belanglose Banalitäten. Ich glaube, von ihren hohen Übungsschuhen habe ich Blasen bekommen. Das wird morgen sicher lustig, wenn ich in der Arena um mein Leben laufen muss.

Der Gedanke an das drohende Grauen, dass mich erwartet, macht mich nervös und bringt mich noch mehr zum Stolpern. Andrina schnalzt nur mit der Zunge. Die nächsten Stunden über muss ich Haymitch ertragen. Er hat sich mal wieder völlig dem Alkohol überlassen und ist mehr ein Schatten seiner selbst. Eine geschlagene halbe Stunde sitzen wir uns schweigend gegenüber, er schläft alle paar Sekunden ein und schreckt dann wieder auf, ich weiß nicht, wohin mit meinen Augen und Händen.

Schließlich räuspere ich mich. „Haymitch?" Er sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. „Haben wir endlich mal eine Taktik?" Er schüttelt nur den Kopf. Ich seufze und hätte ihn am liebsten geschlagen, dass ihm der Kopf wegfliegt. Doch das tue ich nicht, denn ich brauche ihn noch. „Du bist doch nicht dumm Kleine", murmelt er dann. „Überleg dir selbst, wie du dich präsentieren willst. Gefährlich, oder süß oder unnahbar. Du wirst da oben stehen, nicht ich".

„Aber was ist am schlausten? Du hast viele Jahre lang die Hungerspiele verfolgt, du wirst doch wissen, was am besten punktet". Er lacht nur verbittert. „Natürlich. Aber ich kann dir nicht sagen, was du spielen sollst, sonst ist es nicht echt. Du musst das selbst entscheiden Kleine". Ich denke über seine Woche nach und muss mir eingestehen, dass er recht hat. Ich schlucke. Was für ein Druck. „Ich weiß nicht, wer ich bin", bringe ich schließlich heraus.

Als ich mich traue, Haymitch ins Gesicht zu sehen, nickt er bedächtig. „Soll ich dir sagen, wie ich dich wahrgenommen habe? Als naiv und nicht sehr vertrauenserweckend". Diese Worte treffen mich tief ins Herz und ich muss wieder wegsehen. „Aber auch als stark, unnachgiebig, entschlossen und leidenschaftlich. Und du bist sehr, sehr mutig. Allein das du dich für die süße Fjella freiwillig gemeldet hast. Das sagt schon viel aus. Ich habe dich als potentielle Siegerin wahrgenommen. Kaidan auch. Ihr seid beide Anwärter auf den diesjährigen Throhn. Aber das wissen die Leute da ja draußen nicht. Sie kennen euch kaum. Stell dich ihnen vor. Bring sie dazu, dich zu lieben, zu vergöttern und gleichzeitig zu fürchten".

Na sieh mal einer an. Haymitch kann tatsächlich hilfreich sein. Ich nicke zustimmend. Dann kaue ich auf meiner Lippe herum. „Weist du... es würde mir sehr viel leichter fallen, mich zu präsentieren, wenn ich wüsste, dass es auch etwas bringt". „Wie meinst du das?", fragt er misstrauisch und nippt an seinem Cognac.

„Wenn ich wüsste, dass du dich auch bemühst, das Sponsorengeld, dass ich und Kaidan eintreiben, sinnvoll an uns zu schicken, hätte ich eine höhere Motivation", sage ich eindringlich und mit einem bedrohlichen Unterton. „Du hast gesagt, wir seien Anwärter auf den Thron? Dann sorg dafür, dass wir ihn erreichen. Dass wenigstens einer von uns sein Versprechen halten kann!" Während meiner dramatischen Rede, wurden Haymitchs Augen wacher und aufmerksamer, was mich sehr erstaunt. Habe ich ihn tatsächlich erreicht?

Er zieht seine Unterlippe zwischen die Zähne und mustert mich anerkennend. „Ich mag dich. Du hast da ein Feuer in dir, das gefällt mir. Was hälst du davon; Ich gebe dir mein Wort, dass ich alles mir Mögliche dafür tun werde, einen von euch da wieder rauszubringen. Dann müssen wir alle drei ein Versprechen halten. Falls ich euch nicht da rausbringen kann, müsste ich mit der Schuld leben, einen Schwur gebrochen zu haben und Kleine... darauf habe ich so gar keinen Bock". Ein leises Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. „Deal", sage ich.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt