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Inzwischen verstehe ich nicht mehr so recht, woher meine Abneigung gegen Annie kam, als ich sie zum ersten Mal sah. Die Eifersucht hat mich blind für den Menschen gemacht, auf den sich meine Wut richtete. Ich sah nur die Bedrohung und nicht das Mädchen. Aber jetzt, da ich sie besser kenne, habe ich sie ins Herz geschlossen und verstehe, warum Finnick ihr Wohl so wichtig war.

Nachdem ich sie vor dem Schicksal als Prostituierte bewahrte, kamen wir gut miteinander klar und zum heutigen Zeitpunkt, würde ich sogar so weit gehen, und sie als meine beste, weibliche Freundin bezeichnen. Zumindest im Kapitol. Fjella ist und bleibt meine Nummer eins.

Mein bester männlicher Freund ist natürlich der dauerbetrunkene Haymitch, um den ich mir in letzter Zeit Sorgen mache, weil sein nüchterner Zustand mehr und mehr einer Ausnahme gleicht. Auch seine Scherze sind nicht mehr so unbekümmert, wie damals nach meinen Spielen, als er mich mit Finnick aufgezogen hat. Pessimistisch war er schon immer, aber langsam wird er immer verbitterter und das gefällt mir nicht.

Und Finnick... keine Ahnung was er ist. Ein Freund, eine Affäre, ein Geliebter, ein Partner... Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er mir wichtig ist und dass ich ihn vermisst habe.

Ich hauche einen Kuss auf Fjellas Stirn und drücke sie ganz fest an meine Brust. „Du musst mich bald wieder besuchen kommen Hamsterchen", sage ich und nehme ihre kleinen Hände in Meine. Sie lächelt und zuckt mit den Schultern. „Komm du doch nach hier". „Du weißt warum ich nicht kann", murmele ich und sie zieht mich erneut in eine innige Umarmung. „Ich ruf dich an, versprochen", flüstert sie mir ins Ohr.

„Du wirst mir fehlen". „Und du mir erst", beschwert sie sich und zieht einen Schmollmund. Als wir uns endlich trennen können, küsse ich Roxaine noch flüchtig auf die Wange, eine irgendwie traurige aber normale Geste zwischen uns. „Ihr beide, ich erwarte euch", fordere ich, bevor ich in den Zug steige. „Ich hab euch lieb!", kann ich noch rufen, dann schließen sich die Türen mit einem Zischen. Ihre Erwiderung höre ich nicht mehr.

Ich trete erst vom Fenster weg, als meine Familie, sowie Fjella und Roxaine zu winzig kleinen, winkenden Punkten verblasst sind. „Na Klammeraffe? Fehlen sie dir schon?", witzelt Haymitch, auf seine typisch ironische Art und verzieht das Gesicht zu einer Rehaugen-Schmollmund-Fratze. Ich stöhne auf. „Da gewinnt man schon diese verdammten Spiele und wozu? Ich sehe meine Liebsten ja doch nur ganz selten".

„Das hat mich jetzt sehr getroffen". Haymitch versucht vergeblich, eine verletzte Miene aufzusetzen, aber wir müssen beide nach kurzer Zeit loslachen. „Nein, du, Finnick und Annie, euch hab ich auch lieb", beschwichtige ich ihn, noch immer mit diesem ironischen Unterton in der Stimme. „Da bin ich aber beruhigt. Komm, Effie stirbt gerade den Ekel-Tod, dass willst du dir bestimmt nicht entgehen lassen".

Ein wenig schadenfroh beobachten wir, wie Effie versucht unsere diesjährigen Tribute vom Schlingen abzuhalten. „Manieren, ich bitte euch, wo sind eure Manieren? Wir haben das Besteck nicht zu Zierde hier hingelegt", eschauffiert sie sich und fuchtelt mit einem Löffel vor den Augen von Levke herum, die ihre Suppe direkt aus der Schale trinkt und ihr dreckiges Erntekleid gleich mit ernähren will, wie es scheint. Die Brühe tropft an ihrem Kinn herunter und färbt den ausgewaschenen Stoff des rosa Kleides. Tomatensuppe.

Ich kann mir das Grinsen nur sehr schwer verkneifen. Effie rauft sich die Perücke. „Hallo, junger Mann! Mit mehr als zehn Gramm im Mund wird nicht gesprochen und die Zunge wiegt schon neun!", fährt sie Keno an, der aussieht wie ein Hamster, weil er sich so viel Brot auf einmal in den Mund gestopft hat und nun versucht, Levke irgendwas mitzuteilen.

Grinsend schlendere ich zum Tisch hinüber, nehme mir gelassen ein Stück Brot und beiße lässig davon ab. „Effie, die kommen aus dem Saum. Bisher hattest du nur Tribute aus der Stadt, richtig?" Etwas verwirrt nickt Effie und zuckt gleichzeitig die Schultern. „Dann hattest du Glück. Willkommen im wahren Distrikt 12", sage ich mit gesenkter Stimme. Haymitch grunzt hinter mir. Er amüsiert sich also. Ich kann es ihm nicht verübeln, Effies entsetzter und zugleich erschöpfter Gesichtsausdruck ist zum Schießen.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt