Hoffnunglos

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 2: Die Geliebte

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Ich betrachte die in menschliche Spitzhacken verwandelten Tribute aus Distrikt 12 über den großen Bildschirm. Ihre Haut schimmert silbern und die scharfkantigen Ecken des Kostüms verleihen dem ganzen etwas bedrohlich Abstraktes.

Ich sehe zu Haymitch hinüber, der neben mir steht. Als er mich ansieht weiß ich, dass wir der gleichen Meinung sind. „Bei euch war dieser Kerl eindeutig besser". Ich zucke die Schultern. Dieses Rauchkostüm das Lennox im letzten Jahr für mich und Kaidan gezaubert hat war nun mal wirklich unglaublich. Aber er hat Recht. Dieses Mal ist es zu kurios. Sie werden vermutlich nur über uns lachen.

„Kaidan und du, ihr hattet die Sponsoren von Anfang an. Hier wird es schwer, noch etwas rauszukriegen. Verdammter Lennox, dass diese Stylisten es immer übertreiben müssen", flucht Haymitch. Bei der Erwähnung von Kaidans Namen zucke ich kurz zusammen. Die Erinnerung schmerzt mich noch immer. Auch an Roxaine muss ich denken. Ich werde den Moment nie vergessen, in dem ich Zuhause ankam, mein Versprechen einlöste und diesem Mädchen das ich kaum kannte, einen sanften Kuss auf die Stirn gab.

Ein weiser Mensch, oder besser gesagt ein Hamstermädchen, hat einmal zu mir gesagt, Stirnküsse bedeuten für immer. Und das ist die reine Wahrheit. Kaidan wird für immer nur dieses Mädchen lieben. Es fällt ihr schwer mit mir zu sprechen oder mir in die Augen zu schauen. Würde es mir an ihrer Stelle auch. Schließlich bin ich genaugenommen seine Mörderin. Zumindest wenn man nach meiner Tabelle geht. Ich hatte Recht, Kaidan wurde wirklich zu den Menschen gezählt, die ich umgebracht habe.

Es waren generell erschreckend viele ich getötet habe. 6 unschuldige Kinder verloren durch meine Hand ihr Leben. An diesen Gedanken musste ich mich erst einmal gewöhnen. Und hier im Kapitol feiern sie mich dafür. Absurd, einfach absurd.

Ich spüre, dass jemand hinter mich tritt und sehe mich um. Es ist Finnick Odair. Sofort muss ich an unsere Begegnung letztes Jahr nach den Hungerspielen denken. Wie er mir einen formvollendeten Handkuss gegeben hatte. Mir versicherte, wie froh er sei, dass ich es in den Kreis der Sieger geschafft habe. Ich wollte damals so schnell wie möglich nach Hause zu meiner überglücklichen Familie und zu Fjella. Aber ich habe die letzten Monate oft an ihn gedacht.

An sein unbedarftes Handeln vor dem Beginn, der sechsundsechzigsten Spiele. Meinen Spielen. „Novalee". „Finnick", sage ich knapp. Irgendwie ist diese Situation seltsam. „So sieht man sich wieder". Ich kann hören, dass er grinst. „Die Freude ist ganz meinerseits". Wieso klinge ich so kühl?

Ich spüre seinen Atem an meinem Ohr und meine Nackenhaare stellen sich auf. „Erinnerst du dich eigentlich noch daran, was ich damals zu dir gesagt habe, bevor du dein Leben riskiert hast?" Ich schnaube. Fragt er mich das gerade wirklich? „Das Angebot steht noch", wispert er. Wie eine lästige Fliege scheuche ich ihn fort und kichernd verzieht er sich. „Wärest du nicht so unverfroren, würde ich vielleicht ja sogar drüber nachdenken", schleudere ich ihm an den Kopf und verdrehe die Augen. Keine Ahnung, ob ich das gerade ernst gemeint habe.

„Gut, dann weiß ich ja jetzt was ich machen muss", sagt er und wirft mir eine Kusshand zu, dann verschwindet er. Ich schüttele den Kopf, muss aber ein kleines bisschen Grinsen.

Ich bemerke wie Haymitch mich amüsiert betrachtet. „Was?" Ich wende mich wieder dem Bildschirm zu, aber Snows Rede zu lauschen ist viel zu langweilig. „Du willst den Kerl, oder?" Entsetzt starre ich ihn an. „Was? Finnick, nein wie kommst du darauf?" Er zuckt die Schultern. „Dein Körper reagiert auf ihn". Ich runzele die Stirn. „Das bildest du dir ein". „Sicher nicht".

Nach einer kurzen unbehaglichen Pause ringe ich mich dazu durch, doch noch etwas zu sagen. „Außerdem ist er ein solcher Idiot. Ein fürchterlich ungehobelter Flegel. Er hat mir das schon mal gesagt, und zwar eine Minute bevor ich in die Spiele musste. Stell dir das mal vor!" Haymitch verzieht keine Miene. „Klingt wirklich nach einem Mistkerl. Aber ich sag ja auch nur, was ich gesehen habe. Ich sag's dir, ihr beide landet sicher noch im Bett. Früher oder später".

Ich muss lachen, beinahe hysterisch. „Ja klar. Und die Hungerspiele finden dieses Jahr nicht statt. Seit wann bist du denn so ein Beziehungsexperte Haymitch?" Ich habe ihn im letzten Jahr nie mit einer Frau gesehen, abgesehen von mir natürlich. Seit wir Nachbarn sind, verstehen wir uns erstaunlich gut. Aber ich werde mir von ihm dennoch bestimmt nicht sagen lassen, was ich will und was nicht.

Er zuckt die Schultern. „Ich bin nun mal vielseitig begabt. Du unterschätzt mich immer, Nova". Er sagt das so ernst, dass ich ihn nur anstarren kann. Als er den Blick wieder zu mir wendet, prusten wir beide los. Dennoch ist es schwer für mich, seine Worte zu vergessen.


„Bitte, ich kann ihnen versichern, dass Amalie und Fabius nicht hoffnungslos sind. Sehen Sie, nur, weil sie aus Distrikt 12 sind, sind sie nicht verloren, schließlich stehe ich vor Ihnen". Breit grinsend stehe ich vor dem Kapitol Bewohner mit den tiefvioletten Augen und Lippen und versuche mir, die Verzweiflung nicht ansehen zu lassen.

Die Lady zieht einer ihrer schwarzen, geschwungenen Augenbrauen unter ihren weiß, rosa gestreiften Pony und mustert mich. „Nun gut", gibt sie schließlich nach, holt ihr Handy hervor und sendet einen Betrag auf das Konto von 12. Ich bedanke mich mehrfach und entferne mich dann. Ein Blick auf meine Mailmanschette und ich verdrehe die Augen.

Glückwunsch! Miss Tiana Mavelis hat deinem Tribut 10 Dollar gespendet! Setze es klug ein.

Ich atme tief ein und aus. 10 Dollar. 10 Dollar! Will die mich verarschen? Davon kann ich vielleicht eine Scheibe trockenes, altes Brot kaufen. Wenn überhaupt. Diese Leute haben Geld wie Heu und bringen es nicht mal über sich, mehr als wenige Dollar davon abzutreten. Sie sind die wahren Monster. Aberleider haben sie viel Macht. Ich lasse die Schultern hängen. Es steht nicht gutfür Amalie und Fabius.


The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt