Das Gemetzel

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Ich habe genau sechzig Sekunden Zeit um zu entscheiden, was ich mir hole und wohin ich laufe. Gerade mal eine Minute. Doch ich bleibe ganz ruhig, analysiere die Situation. Wir befinden uns in einer Art Tal. Um uns herum ragen zerklüftete Felsen auf, zu meiner linken ist bloß Stein und Gerölllandschaft, zu doch zu meiner rechten wächst eine bewaldete Gebirgskette scheinbar bis in den Himmel. Dorthin werde ich fliehen.

Um unsere Sockel herum befindet sich bloß nackter Stein, hier und da von Moos bedeckt. Graß wird man auf dieser Seite der Arena kaum finden können. In der Mitte des Kreises den wir alle ziehen befindet sich das gigantische Füllhorn, in dem sich Dinge stapeln, die uns allen das Überleben sichern könnten. Essen, Wasser, Möglichkeiten Wärme zu speichern und Waffen über Waffen. Für mich sind die essentiellen Dinge wichtig.

Die Uhr tickt nun von 20 hinunter. Ich muss mich entscheiden. Da fällt mein Blick auf Kaidan, ein paar Meter von mir entfernt. Er starrt ebenfalls auf das Horn. Als er mich bemerkt, treffen sich unsere Augen. Er nickt. Der Countdown läuft stetig. 10, 9, 8...

Ich muss mich jetzt entscheiden. Laufen? Oder mir etwas Essentielles holen. So oder so wird es gefährlich. Ich könnte gleich zu den Leichen gehören, die heute Abend, wenn das Gemetzel vorbei ist, geborgen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich es schaffe zu fliehen, ist äußerst gering. Doch wenn ich mir nichts hole, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich die heutige Nacht überlebe, besonders in dieser Gebirgslandschaft, noch viel geringer. 6, 5, 4...

Meine Augen huschen umher, mein Puls rast. Kurz blicke ich erneut zu Kaidan, in der Hoffnung, dass er mir sagt was ich tun soll. Doch er blickt starr auf den Timer und realisiert mich gar nicht. 2, 1...Der Gong ertönt.

Wie eine losgelassene Flutwelle hechten die anderen Tribute von ihren Podesten. Ich habe jetzt erst realisiert, dass die Mienen deaktiviert sind und springe so ungelenk von meinem Sockel, dass ich nur hoffen kann, dass die Kamera gerade nicht auf mich gerichtet war. Ich verheddere mich in meinen eigenen Füßen und stürze auf die Knie, wobei ich mir meine Handballen auf dem harten Gestein aufschürfe. Den Schmerz ignorierend rappele ich mich auf.

Mein Kopf zuckt hektisch umher, die anderen Tribute rennen in verschiedenste Richtungen, schnappen sich Vorräte und verschwinden im Wald oder greifen zu Waffen und beginnen hinter den Flüchtenden her zu hetzen. Ich sehe, wie der erste Junge abgestochen wird. Und ich... ich stehe hier wie bestellt und nicht abgeholt, vollkommen überfordert mit der Situation. Und dann sehe ich sie. Perlmutt, die unheimliche muskulöse Tributin aus Distrikt eins. Ihr rotes Haar umrahmt ihr Gesicht und ihre Augen funkeln, während sie genau auf mich zu läuft. Ich bin in ihrem Visier, in ihrer Hand liegt ein blutiges Schwert.

Endlich gewinne ich die Fassung wieder und renne so schnell ich kann. Wohin weiß ich nicht, bloß weg von diesem dämonischen Mädchen. Ich drehe einen Halbkreis um das Füllhorn, doch sie ist schnell und klebt mir an den Fersen. Beinahe kann ich schon ihren Atem in meinem Nacken, das Schwert in meinem Rücken spüren. Vor lauter Hektik stürze ich erneut und komme unsanft auf dem Boden auf.

Perlmutt ist nur noch einen Meter von mir entfernt. Mit vor Panik geweiteten Augen sehe ich meinem Ende entgegen. Das war's, denke ich. Jetzt bin ich tot. Ich taste mit meiner Hand wie benommen über die Raue Erdoberfläche in der Hoffnung, mich an irgendetwas festhalten zu können, wenn der Schmerz kommen wird.

Als meine Finger wirklich etwas in berühren, erschrecke ich mich zuerst, doch dann schließe ich sie um den Schaft einer Waffe. Mein Überlebenstrieb meldet sich und ich ziehe die blutige Machete hoch, die meine einzige Chance ist und stemme mich wieder auf die Beine. Mit einem Schrei stürze ich mich auf die rothaarige Bedrohung, die offensichtlich irritiert von meinem plötzlichen Sinneswandel ist.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt