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Ich brülle Kaidans Namen, voller Schmerz und Verzweiflung. Er liegt blutüberströmt vor mir, hebt den Arm, streckt sich nach mir aus. Seine Lippen bewegen sich, aber statt Worten kommt nur Blut über seine Lippen und verteilt sich auf seinem Kinn, seinem Hals, seiner Brust. Kaidan hebt den Kopf und starrt mich durchdringend an.
Als er diesmal spricht, höre ich, was er sagt, durch das rote Blut hindurch. Deine Schuld. Alles deine Schuld. Wo warst du, als ich dich brauchte? Die Worte hallen in meinem Kopf wieder, prallen tausendmal ab und regnen dann erneut auf mich ein, werden immer lauter und lauter, bis ich nichts Anderes mehr höre. Ich versuche mir die Ohren zuzuhalten, doch es bringt nichts. Es ist in mir. Ich kann es nicht bekämpfen. Schluchzend versuche ich zu Kaidan zu rennen, doch ich kann nicht. Als ich an mir hinunterblicke, sehe ich, dass ich knöcheltief in Beton stehe.
Der Boden um ihn herum beginnt sich rot zu färben, dann knickt sein Kopf plötzlich ab und fällt einfach ab. Oder nein... es ist nicht sein Kopf. Es ist der von Trehna. Neben ihr liegt die Axt, mit der ich sie getötet habe. Ich sehe eine Gestalt, die über Trehnas Leiche steigt und auf mich zugestürmt kommt. In ihrer Hand hält sie einen Ziegelstein. Jeresmy.
Tränen benetzen meine Wangen, mein Herz rast vor Angst. Ich schreie erneut auf, versuche zu rennen, doch es geht nicht. Alles was ich erreiche, ist ein unkontrolliertes Straucheln und Taumeln des Oberkörpers, aber ich stehe noch immer an der gleichen Stelle wie vorher. Jeresmy erreicht mich und holt aus. Einmal, zweimal, dreimal. Jeden seine Schläge spüre ich und von Mal zu Mal wird es schlimmer. Der Stein glänzt rubinrot.
Aus der Wunde an meiner Stirn sprudelt das Blut, wie aus einer unerschöpflichen Wasserquelle, es fließt und fließt, an meinem Körper hinunter, breitet sich aus, umspült meine einbetonierten Füße, erreicht meine Knöchel. Jeresmy prügelt noch immer auf mich ein, ich schreie und weine noch immer vor Schmerz und Angst. Die Sintflut aus Blut erreicht meine Hüfte, dann meine Brüste, benetzt schließlich meinen Hals und meinen Kiefer. Dann läuft die zähe Flüssigkeit in meinen Mund und erstickt meine Schreie. Es schmeckt bleiern und schwer.
Verzweifelt versuche ich mich zu befreien, schlage wild um mich, strampele und ziehe, aber der Beton gibt nicht nach. Ich bin gefangen. Mein Atem wird knapp. Jeresmy lässt den Stein fallen und packt mich an den Schultern, schüttelt mich, brüllt mich an. Was sagt er? Ich kann ihn nicht verstehen, dass Blut schluckt jeden Laut. Novalee! Novalee! Mein Name. Warum sagt er meinen Namen? Feuer, Novalee, Feuer! Es brennt? Wo? Alles was ich sehe ist dunkles, undurchdringliches Blut. Katniss! Katniss ist hier? Ich sehe mich um, kann sie aber nirgends entdecken. Verständnislos blicke ich Jeresmy an. Sie schicken Katniss einen Waldbrand! Wach auf, verdammt!
Mit einem Keuchen schrecke ich aus dem Albtraum hoch. Mein Atem geht unregelmäßig und ich japse Regelrecht nach Luft. Kein Blut. Nur mein Zimmer im Kontrollzentrum. Es rüttelt tatsächlich jemand an meiner Schulter, aber nicht Jeresmy, sondern Haymitch. Sein Haar ist noch unordentlicher als sonst, er sieht müde und zerknittert aus und er trägt eine Jogginghose und ein ausgeleiertes, graues Shirt, Dinge, die er für gewöhnlich zum Schlafen trägt. Es ist 05:13, dass verrät mir ein flüchtiger Blick auf meinen Nachttischwecker. Erst jetzt realisiere ich, was er da eben gesagt hat. Sie schicken Katniss einen Waldbrand.
Mit einem Schlag bin ich hellwach. Ich springe aus meinem Bett und stürme aus der Tür, Haymitch dicht hinter mir. „Was ist passiert?", frage ich, ohne stehen zu bleiben. Wir hechten durch die menschenleeren Gänge, das Licht ist um diese Zeit zu einem beruhigenden Gelb hinunter gedimmt. Leider bin ich alles andere als ruhig. „Ich hab keine Ahnung. Ich hab die Nachtwache gehalten, alles war ruhig, bis auf einmal ein Teil des Waldes, ganz in ihrer Nähe zu brennen begonnen hat. Es hat sich rasend schnell ausgebreitet, also hat es ganz sicher keinen natürlichen Ursprung", erklärt er.
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The second mentor- DieTributeVonPanem
أدب الهواةNiemand hätte gedacht, dass ausgerechnet die unscheinbare Novalee aus Distrikt 12 den Mut aufbringen würde, sich für die 66. Hungerspiele freiwillig zu melden. Sie selbst auch nicht. Aber als ihre beste Freundin in den Tod geschickt werden soll, gib...