66
Unter Gejubel und den Augen der Kameras verlassen wir den Zug. Das Kapitol feiert die Ankunft seiner Tribute, auch, wenn man die Menge von Distrikt 12, nicht mit der von Distrikt 1 oder 2 vergleichen kann. Die scheinen geradezu in einer Flut von Menschen, Fragen und Fotoaufforderungen zu ertrinken. Eigentlich bin ich ganz froh, dass wir keine verhältnismäßig große Aufmerksamkeit bekommen. Ich lächele so gut es geht und versuche charmant zu wirken. Haymitch hat weder mir noch Kaidan gesagt, wie wir uns zu verhalten haben, deshalb entwickele ich jetzt einfach meine eigene Strategie.
Zumindest denke ich, dass er nicht mit Kaidan gesprochen hat. Andernfalls würde ich mich verraten fühlen. Wir werden in ein großes Gebäude geleitet, in dem unsere Stylisten bereits auf uns warten um uns für die Eröffnung herzurichten. Bei der Eröffnungsfeier geht es darum, das Handelsgut seines jeweiligen Distrikts in Form von Kleidung treffend darzustellen. Meistens kommt Distrikt 12 nicht so gut dabei weg. Wir stehen für Kohle Abbau, und was will man da schon groß aufhübschen können?
In einzelnen Räumen kümmern sich Vorbereitungsteams um den Grundschliff, Fazit, wir werden gebadet, enthaart und unser Haar zum Glänzen gebracht. Ich lasse alles über mich ergehen und schäme mich nicht einmal für meine Nacktheit vor fremden Leuten. Schließlich scheinen die drei wuseligen Gestalten mit ulkigen Frisuren zufrieden mit mir und ich werde, nur mit einem flauschigen Bademantel bekleidet, an meinen persönlichen Stylisten weitergeleitet.
Lennox ist ein schlaksiger junger Mann mit taubenblauem Haar, dass ihm in sanften Wellen bis zu den Schultern reicht, aufgespritzten Lippen und einem freundlichen Lächeln, welches von seinem violetten Eyeliner betont wird. „Hallo, Novalee", begrüßt er mich und nimmt mich dann ohne Vorwarnung in den Arm. Überrumpelt erwidere ich sie.
„Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg", sagt Lennox heiter und reckt seine Faust in Siegerpose in die Höhe. Ich weiß noch nicht, ob ich ihn mögen soll oder nicht. Ich werde abwarten, ob er mich in die üblichen Bergarbeiterkostüme steckt, oder sich etwas noch Demütigenderes wird einfallen lassen.
„Lass dich ansehen, lass dich ansehen, Kind, gute Arbeit hat das Vorbereitungsteam geleitet. Mein Gott, du bist ja bildhübsch! Ich sag ja immer, man muss nur den schmutzigen Stein aufbrechen, dann kommt ein wunderschöner Kristall zum Vorschein". Ich erröte wegen des Lobes und lächele erfreut. Bildhübsch, hatte mich noch nie jemand genannt. Außer vielleicht meine Eltern.
„Dann wollen wir mal dafür sorgen, dass so eine gutaussehende junge Frau auch Eindruck hinterlässt. Komm, meine Liebe, sieh dir an, was ich mir ausgedacht habe". Ich folge ihm in zu einer weißen Kleiderhülle, die mit einem Reißverschluss zugezogen wurde und verhüllt, was ich werde tragen müssen. Bedächtig faltet Lennox die Hände über einander und sieht mich selbstsicher an.
„Ich muss gestehen, ich war etwas enttäuscht, als ich nur Distrikt 12 zugeteilt bekam. All die schnöden Bauarbeiterkostüme, damit kann ein Stylist nicht viel anfangen. Aber, und ich preise mein Genie an dieser Stelle, ich habe mir viele Gedanken gemacht und bekam einen brillanten Einfall. Auch Distrikt 12 kann hübsch aussehen, das verspreche ich dir". Ich übergehe die Stichelleien über meinen Distrikt, denn Lennox hat meine Neugier geweckt. Als Tochter einer Schneiderin, interessiere ich mich ein wenig für besondere Mode und ausgefallene Designs. Solange es nicht zu ausgefallen wird. So manches was die im Kapitol tragen, lässt es mir eiskalt den Rücken runter laufen.
Mit dramatischer Geste enthüllt mein Stylist einen Haufen aus schwarzem Stoff. Vorsichtig und bedächtig legt er es auf einem Tisch ab. „Rauch", sagt er dann stolz. „Kohlenstaub und Rauch. Ihre Schönheit wird so dermaßen unterschätzt".
Ich betrachte mich vor dem mannshohen Spiegel. Ich trage ein pechschwarzes Kleid, dass meine Knöchel umspielt. Genau wie bei dem Kleid, dass meine Mutter für den Tag der Ernte genäht hatte, sind ganze Stoffbahnen und einzelne Ornamente aus dunklem, grauen und schwarzem Tüll an dem Kleid befestigt, die mich wie eine zarte Wolke umgeben. Mein Haar fällt offen und frei über die Schultern, an ihnen hatte Lennox nichts auszusetzen.
DU LIEST GERADE
The second mentor- DieTributeVonPanem
FanfictionNiemand hätte gedacht, dass ausgerechnet die unscheinbare Novalee aus Distrikt 12 den Mut aufbringen würde, sich für die 66. Hungerspiele freiwillig zu melden. Sie selbst auch nicht. Aber als ihre beste Freundin in den Tod geschickt werden soll, gib...