Ganz zwanglos

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Genau ein Jahr ist es her, dass ich Finnick gesehen habe. Die letzten Hungerspiele gewann der weibliche Tribut aus Distrikt 7, knapp eine Woche, nachdem Amalie und Fabius gestorben sind. Auch knapp eine Woche, in der Finnick und ich es hemmungslos und zu jeder erdenklichen Gelegenheit getrieben haben. Oder zumindest rumgemacht haben wir in jedem sich bietenden Moment in dem wir ungestört waren. Zu mehr kam es nur fünf oder sechs Mal.

Fünf oder sechs Mal zu viel für mein moralisch denkendes Gewissen. Aber kein einziges Mal zu viel für meinen Körper. Im Gegenteil. Diese kleinen Verräter namens Hormone, die mich der Kraft des logischen Denkens beraubten, verzehren sich mit jedem Kuss, jeder Berührung von dem eingebildeten Typ mit den blonden Haaren mehr nach ihm. Ich bin vollkommen machtlos.

Finnick ist im Kapitol geblieben, um Snows Wunsch nachzugehen. Ich nicht. Ich bin ich nach dem Sieg von Johanna zurück nach 12 gegangen, zu meiner Familie, zu Roxaine und zu Fjella, auf die ich seit Snows Drohung ein besonders wachsames Auge geworfen habe. Feige bin ich geflohen, um der Bedrohung dessen, was ich tun muss, noch ein wenig länger aus dem Weg zu gehen. Snow hat mich gewähren lassen, aber nur, weil er ahnte, dass diese „Freiheit" schlimmer war als jede Strafe, die er mir hätte geben können.

Und er hatte Recht. Jeden Tag bin ich aufgewacht und hab panisch um mich gesehen, konnte mich erst entspannen, wenn ich Fjella in der Küche hantierend, auf dem Sofa lesend oder noch schnarchend im Bett gefunden habe. Sie ist, um es mir mit meiner begründeten Paranoia leichter zu machen, zu mir ins Dorf der Sieger gezogen und seitdem teilen wir und meine Familie uns das große, luxuriöse Haus, abgetrennt vom Saum und dem Rest des Distrikts.

Zudem hat mich mein schlechtes Gewissen geplagt. Wegen Vielerlei Gründe. Ich habe Fjella in unnötige Gefahr gebracht, in dem ich das Jahr in 12 und nicht als Prostituierte im Kapitol verbracht habe, während Finnick genau das getan hat. Ich hatte ihm versprochen, dass wir für einander da sein würden, uns die langersehnten Pausen vom Alltag schenken würden. Und was habe ich getan? Ich bin davongelaufen. Habe ihn im Stich gelassen. Was bin ich doch für eine schlechte Freundin.

Mit klopfendem Herzen rausche ich mit dem Aufzug im neuen Trainingscenter hinauf, meinen Magen habe ich unten zurückgelassen. Gleich beginnt die Eröffnungsfeier und es wird von mir erwartet, dass ich mich schönmache. Aber vor allem werde ich gleich Finnick, zum ersten Mal seit einem Jahr, wiedersehen. Wie wird er reagieren? Wird er wütend sein, dass ich ihn verlassen habe? Ich könnte es ihm nicht übelnehmen.

In einem schwarzen, enggeschnittenen Kleid und mit offenen, wie immer leicht gewellten Haaren betrete ich die Lounge. Sie ist mit der aus dem vorherigen Trainingscenter fast absurd identisch. Das gleiche Mobiliar, die gleichen großen Leinwände, ja ich glaube sogar die gleichen Avoxe. Auch die Menschen die sich hier aufhalten sind dieselben. Nun, bis auf Johanna, die etwas verloren zwischen den erfahrenen Mentoren wirkt. Sie ist zwar selbstbewusst, weiß aber noch nicht, wie sich verhalten soll, das spüre ich.

Nervös huschen meine Augen umher, suchen nach dem vertrauten, jungenhaften Körper. Als ich ihn finde, hebt er den Kopf und unsere Blicke treffen sich für einen Moment. Einen sehr, sehr langen Moment. Zögernd hebe ich die Hand zum Gruß und lächele leicht. War das jetzt unangebracht?

Offenbar schon, denn Finnick presst die Lippen zusammen und wendet sich dann ab. Er ist definitiv wütend. Ich kann es ja verstehen, ich wäre es auch. Aber trotz meiner mentalen Vorbereitung und all dem Verständnis, trifft sein abweisendes Verhalten tief. „Streit?", fragt Haymitch süffisant als er neben mich tritt. Genervt verdrehe ich die Augen.

„Was interessiert dich mein... Liebesleben eigentlich so sehr?" Das richtige Wort für das was wir sind, habe ich noch nicht gefunden. Kann man das Liebesleben nennen? Haymitch zuckt die Schultern, greift nach dem Scotch um sich nachzuschenken, hebt nach kurzem Zögern dann aber kurzerhand die ganze Flasche an die Lippen und trinkt ein paar Ausgiebige Schlucke. Mit hochgezogener Augenbraue betrachte ich ihn.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt