Freund, Sohn und Geliebter

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Ich weine hemmungslos, ziehe das Messer aus seiner Brust und schleudere es davon. Ich will es nicht mehr in meiner Nähe haben. Diese Waffe hat Kaidan das Leben genommen. Durch meine Hand. Den Anblick seiner leblosen Augen und das Gefühl der erschlaffenden Gliedmaßen in meinen Armen werde ich niemals vergessen. Niemals.

Ich wusste, dass es nicht leicht sein würde ihn töten zu müssen, sollte es dazu kommen, aber dass es so schmerzhaft sein würde... Ich breche über seinem toten Körper zusammen, klammere mich an ihm fest. Er war mein einziger Stützpunkt im Kapitol. In diesem Moment, fühle ich mich einsamer denn jeh.

Ich ertaste einen Rucksack an seinem Rücken und zerre ihn hervor. Er wird ihn nicht mehr brauchen und mir vielleicht helfen, meine ach so vielen Versprechen einzulösen. Nicht nur Fjella, sondern auch Kaidan habe ich nun etwas geschworen. Es war sein letzter Wunsch, dass ich nach Hause zurückkehre um für seine Roxy dazu sein. Das ist noch viel schwerwiegender als das, was ich bei Fjella hinterlassen habe.

Ich streiche sanft über das Gesicht der Leiche die ich festhalte. Er sieht so friedlich aus. Hätte ich ihn nicht selbst getötet, würde ich denken er schliefe bloß. Doch ich weiß es leider besser. Mich überkommt das Bedürfnis, etwas zu sagen. Ihm eine letzte Würde zu schenken, wenn sein Ende doch unter dem Überleben des Siegers untergehen wird. Das verdient er.

„Er war mein Freund! Er hatte Familie der er wichtig war, und umgekehrt! Eine Mutter und ein Vater werden ihren Sohn nie wiedersehen und sie sind nicht die Einzigen! Er hatte Freunde! Eine Geliebte! Und all das ist jetzt zerstört", schreie ich mit aller Leidenschaft in der Stimme zum Himmel. Die Wut brennt in mir wie ein Lauffeuer, leckt an meinen Gedanken, bis sie verkohlt und schwarz vor Hass sind.

Doch bevor ich noch mehr Unheil anrichten kann, erscheint ein Hovercraft über meinem Kopf, bringt mit seinem Luftsog mein kurzes Haar dazu, wild umher zu flattern. Also beuge ich mich bloß vor und berühre mit meinen Lippen sanft seine verschwitzte Stirn. Dann lasse ich ihn los.

Schnell weiche ich zurück, greife nach Rucksack, Bündel und Messer und trete zurück, damit der Greifarm seinen Leichnam bergen und nach Hause schicken kann.

Ich nehme alles nur durch einen gedämpften Schleier war, als hätte man mir Morfix eingeflößt.

Ich werfe einen letzten schmerzerfüllten Blick auf das davonfliegende Hovercraft. Ich drehe mich um. Ich gehe. Gehe immer weiter. Apathisch. Nicht fähig mich um Nahrung oder Wasser oder sonst etwas zu kümmern. Sollte mich jetzt ein anderer Tribut finden, und sei es Zelda aus Distrikt 8, nach die schwächste noch Lebende, er oder sie könnte mich mühelos töten. Ich glaube kaum, dass ich in der Lage wäre, mich zu wehren. Zu tief sitzen Schock und Schmerz.

Ich habe noch nie eine solche Angst vor der Hymne gehabt. Sie wird Kaidans Tod für alle deutlich machen und ich weiß nicht, ob ich das werde aushalten können.

Die gefürchteten Geräusche ertönen und ich kauere mich zu einer Kugel zusammen gerollt hinter der Mauer zusammen, die ich zum Nachtlager degradiert habe. Zuerst wird Jeresmys Gesicht gezeigt, doch ich spüre keine Genugtuung. Ja, er war es, der Kaidan beinahe totgeschlagen hätte, aber genauso war ich es, die ihm das Leben genommen hat. Wir sind quitt.

Ich habe mich getäuscht. Zelda Acafall wäre nicht in der Lage mich zu töten, wenn sie auf mich treffen würde. Sie ist nämlich vor mir abgetreten. Ich blicke betreten zum Himmel auf.

Und dann erscheint das Bildnis meines einzigen Freundes in dieser Arena des Grauens am schwarzen Zelt der Nacht und raubt mir den Atem. Er ist fort. Fort, wahrhaftig tot, für immer. Er wird nie wieder nach Hause zurückkehren können. Nie wieder. Das Ausmaß dieser Worte muss ich erst einmal begreifen.

Wenn ich könnte, würde ich weinen, aber ich habe keine Tränen mehr übrig. Also lege ich meine drei mittleren Finger an meine Lippen und zeige dann damit zu der Simulation eines Nachthimmels, an der Kaidan gerade verschwindet.

Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich eine Mörderin bin. Nicht nur Jeresmy habe ich notgedrungen umgebracht, sondern auch meinen Freund. Es wird vermutlich auf meine Skala gerechnet werden. Dabei ist es das Letzte was ich will, auch wenn es mir Sponsoren einbringen wird. Jetzt wird es auch noch als etwas Bemerkenswertes angesehen, dass ich gemordet habe.

Vor lauter Wut stoße ich einen kurzen Schrei aus und trete gegen einen Geröllhaufen zu meinen Füßen. Die Steine lösen sich und kullern rasselnd über den Boden, während das Geräusch meiner Stimme zwischen den Wänden verhallt. Ich erstarre. Das war dumm. Das hätte ich nicht tun dürfen. Falls ein Tribut hier in der Nähe war, wird er mich jetzt mit Sicherheit entdecken.

Doch es ist zu spät um wegzulaufen. Ich höre bereits energische, selbstsichere Schritte, die definitiv in meine Richtung kommen.


The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt