Wespen

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Ich schnappe nach Luft. „Wie lange ist sie schon dort?", murmelt Haymitch. Auch ich frage mich das. Wieso haben wir sie nicht bemerkt? Rue verschmilzt nahezu mit den Schatten der Nacht und den Zweigen. Doch die einzig wichtige Frage ist, ist sie eine Gefahr für Katniss? Eigentlich will ich das nicht glauben. Ein zartes, so junges und feinfühliges Mädchen wie Rue wäre doch nicht in der Lage, jemanden wie Katniss zu töten.

Andererseits hat die Todesangst der Spiele auch mich zur mehrfachen Mörderin gemacht. Und so viel älter als die Kleine bin ich nun auch nicht. Noch dazu ist Katniss verletzt. Schon wieder rast mein Herz. Diese ständige Nervosität wird mich eines Tages noch umbringen. Auch Katniss hat Rue inzwischen entdeckt. Voll 13 Sekunden, 13 lange, lange Sekunden, starren sie sich an. Dann hebt Rue die Hand.

Instinktiv suche ich nach einer Waffe, doch das ist nicht der Grund, warum sie sich entschieden hat, sich zu bewegen. Sie deutet auf etwas über Katniss. Ein Ablenkungsmanöver? Nein. Nein, es ist kein Ablenkungsmanöver. Als ich erkenne, was Rue ihr sagen will, bekomme ich erst Recht Panik.

„Diese Schweine", grummelt Haymitch. Finnicks Hand schließt sich um die meine und drückt sie fest. Ich klammere mich an ihn. „Oh nein", wispert Annie. Ihre Augen sind schreckgeweitet, doch ich sehe sicher nicht besser aus. „Jägerwespen", bestätigt Haymitch grimmig. „Sie scheinen es echt auf sie abgesehen zu haben". Er hat Recht. Doch wieso nur? Was hat sie dem Kapitol getan?

Doch das ist jetzt nicht das akute Problem. Ich frage mich, ob Katniss weiß, was das für Viecher sind. Sie betrachtet die Wespen genau, mit zusammengekniffenen Augen. Rue schwingt sich währenddessen leichtfüßig zum nächsten Ast, springt, und landet sicher im nächsten Baum. Ein sauberes, lautloses Manöver. Katniss hat es nicht mal bemerkt, denn als sie wieder zu Rue blickt, zeichnet sich kurz Verwirrung auf ihrem Gesicht ab. Bei den Interviews sagte Rue, sie sei schwer zu fangen. Offenbar hatte sie Recht.

„Beeindruckend", murmelt Finnick und seine Stimme vibriert an meiner Schulter. In diesem Moment scheint Katniss eine Entscheidung zu treffen, denn sie schlüpft aus dem Schlafsack und beginnt, mit schmerzverzerrtem Gesicht, die immer dünner werdenden Äste des Baumes zu erklimmen. „Was tut sie?", knurrt Haymitch frustriert und rauf sich die Haare. Dann setzt die Hymne des Kapitols ein. Ich zucke zusammen.

Gebannt beobachten wir, wie Katniss die Baumkrone erklimmt und, getarnt von den Geräuschen der Hymne, dass Messer über den Ast schabt, an dem das Wespennest hängt. „Dieses Genie", flüstert Haymitch schließlich, als er begriffen hat. Nanu, war das etwa Anerkennung? Ich verkneife mir den Kommentar dazu. „Was denn?", frage ich stattdessen. Er nickt in Richtung der Leinwand. „Sie will die Karrieros mit den Wespen vertreiben. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen sozusagen", erklärt er. Ich verstehe und beginne zu schmunzeln. Auf so eine Idee wäre ich nie gekommen.

Als die Hymne verklingt, hat Katniss drei Viertel des Astes durchschnitten. Er neigt sich zwar schon Richtung Boden, doch ich bezweifle das das reichen wird. Sie hält inne. Die auditive Tarnung durch die Hymne ist verschwunden. Die Karrieros würden nun ihr Messer hören. Auch daran hat sie gedacht. Nach kurzer Zeit klettert Katniss wieder hinunter und will sich in den Schlafsack zurücklegen, als sie die Kapsel findet.

„Endlich", stöhnt Haymitch genervt. Er war noch nie der geduldigste Typ. Katniss hat sich sehr gut geschlagen. Ihren Schmerz so gut es eben ging versteckend ist sie geflohen und hat nicht aufgegeben, hat jetzt sogar einen Angriffsplan. Das wird den Kapitolern gefallen. Umso mehr verdient sie die kleine Dose mit der Salbe, die wir so gerade von Aminas Geld besorgen konnten. Sie wirkt sofort schmerzlindernd und heilend und ist somit eine der neumodischen Rezepturen aus dem Kapitol. Genau was sie braucht. „Oh Haymitch. Danke Nova", flüstert sie, vor Erleichterung stehen ihr Tränen in den Augen.

The second mentor- DieTributeVonPanemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt