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Vor Schreck wäre ich beinahe von der Plattform gefallen. „Was geht dich das an?", erwidere ich der unbekannten Stimme, ohne mich umzudrehen. Sie ist männlich, rau und sanft, warm und scharf zugleich und hat auf mich die gleiche einlullende Wirkung wie warme Milch mit Honig an einem Winterabend. Vermutlich ist der Unbekannte einer der anderen Tribute, der versucht, sich bei mir einzuschleimen, mein Vertrauen zu gewinnen, um später leichtes Spiel zu haben. Aber nicht mit mir.
Beinahe überheblich recke ich mein Kinn, um Stärke vorzutäuschen, obwohl der Fremde mich vermutlich in einem meiner schwächsten Momente erwischt hat. „Nun, eigentlich nichts, da hast du recht. Das Training muss anstrengend für jemanden aus 12 sein". Trotz seines schmeichelnden Tons schürze ich beleidigt die Lippen und stoße abfällig die Luft aus. „Wie wenig man uns doch immer zutraut". Ein leises, tiefes Lachen hinter mir. „Nun ja, ausgehungert zu sein, kann man auch als Stärke sehen". Er verspottet mich. Ich spanne den Kiefer an.
„Ja kann man, auch wenn du mir nicht glaubst. Wir haben ein höheres Durchhaltevermögen als die Karriere Tribute. Schneidet man ihnen die Zufuhr zur Nahrung und Wasser ab, überleben sie keine zwei Tage. Wir schaffen es sicher etwas länger, denn in 12 ist man es gewohnt, auszuhalten". Mein Trotz bewegt mich dazu, einem potentiellen Feind solch brisante Informationen weiterzugeben, aber ich bin wütend. Erneut lacht der Junge hinter mir, doch diesmal beinahe anerkennend, und nicht höhnisch.
„Nun gut, so habe ich das noch nie gesehen. Es war auch eher ein Rat". Ich schnaube. „Warum solltest du mir helfen wollen?" Früher oder später wird er oder ein anderer mich töten müssen, hängt ganz davon ab, ob es sich bei dem Fremden um einen Karriero handelt oder um einen gewöhnlichen "Wegläufer".
„Warum sollte ich nicht? Ein kleiner Rat schadet doch nie". Ich zucke nur die Schultern. „Aber es ist zu nett. Du wirst mich schließlich töten müssen". „Warum sollte ich?", wiederholt er beinahe seine Aussage und ich höre das Lächeln in seiner Stimme. Ich verdrehe die Augen. Stellt der sich nur dumm, ist das seine Strategie, oder hat er wirklich keine Ahnung?
Ich drehe mich zu ihm um, will schon zu einer Erwiderung ansetzen, doch die Worte bleiben mir im Halse stecken. Vor mir steht ein blonder, ziemlich gutaussehender Junge mit blaugrünen Augen, die in der Dunkelheit des Dachgeschosses zu leuchten scheinen und aus seinem Gesicht herausstechen. Er trägt ähnlich wie ich, praktische, unauffällige Kleidung, die sich zum Trainieren eignet und eine schwarze Lederjacke, ein modisch im Kapitol nicht wirklich angesagtes Klamottenstück, unter der sich seine Muskeln abzeichnen. Er kann höchstens 16 sein und im ersten Moment gehe ich weiterhin davon aus, er sei ein Tribut, doch dann fällt mir auf, dass das nicht stimmen kann.
Ich mustere ihn genauer. Ich habe ihn irgendwo schon einmal gesehen, aber mit Sicherheit nicht bei den Ernte- Zusammenfassungen oder der Parade und auch nicht beim Training. Oder doch? Ja, aus dem Fernsehen, dass könnte sein. Aber er wäre mir mit Sicherheit aufgefallen. „Du bist kein Tribut". Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Er gluckst in sich hinein. „Nicht in diesen Spielen". Und da macht es Klick in meinem Kopf.
„Ein Sieger!", sage ich überrascht. Ein Grinsen zieht sich über das Gesicht des Jungen. „Aber du bist so jung...", setze ich an doch breche wieder ab. Erneut unterziehe ich den Sieger meiner Musterung. Doch, ich kenne ihn. „Letztes Jahr gewonnen", hilft er mir auf die Sprünge. Endlich fällt bei mir der Groschen. „Finnick Odair? Du hast mit 14 gewonnen, die 65 Hungerspiele, richtig?" „10 von 10 Punkten für die Kandidatin", scherzt er und beinahe lächele ich.
„Ja ich bin erst 15. Könnte quasi selbst noch ein Tribut sein", fügt er dann hinzu und lässt sich neben mir nieder, allerdings in den Schatten der Stahlträger. Um sich vor den Spielmachern zu verbergen? „Ich dachte du wärst einer", gestehe ich, Misstrauen in liegt in meiner Stimme. „Hat man gemerkt", schmunzelt er und ich verdrehe nur die Augen. „Was tust du hier? Ich dachte Mentoren bleiben nicht zum Training".
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The second mentor- DieTributeVonPanem
FanfictionNiemand hätte gedacht, dass ausgerechnet die unscheinbare Novalee aus Distrikt 12 den Mut aufbringen würde, sich für die 66. Hungerspiele freiwillig zu melden. Sie selbst auch nicht. Aber als ihre beste Freundin in den Tod geschickt werden soll, gib...