Alarm!

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Als er die Augen wieder öffnete, befand er sich vor dem Tresen in der Mondbibliothek, obwohl er noch spüren konnte, dass er in einem Schlafsack auf dem Boden lag. Da es ihm Übelkeit bereitete, sich auf dieses paradoxe Gefühl zu fokussieren, konzentrierte er sich auf die Umgebung, in der sein Geist sich gerade befand. Die Bibliothek war nur spärlich beleuchtet, wobei Kilian nicht ausmachen konnte, woher das diffuse Licht kam. Er sah keine Lampen oder sonstige Lichtquellen.

Er blickte sich weiter um und erschrak kurz, als Faina neben ihm sichtbar wurde. Wie ein Nebel wurde ihre Erscheinung immer dichter. Vollständig sichtbar wurde sie aber nicht. Etwas unscharf an den Rändern und leicht transparent. Er hob seine Hände vors Gesicht und stellte verblüfft fest, dass er selbst auch leicht durchsichtig war.

"Das ist dein Astralleib. Er ist nur pseudophysisch. Das heißt für Nicht-Astralreisende bist du aktuell unsichtbar, kannst aber auch nichts bewegen. Mit etwas Konzentration kannst du Gegenstände berühren, wirst dann aber auch sichtbar."

"Okay. Wir werden sehen. Wo sollen wir anfangen?", fragte Kilian und ließ den Blick über die endlosen Reihen von Bücherregalen schweifen.

"Die Bücher sind wie gesagt unter Verschluss. Wir müssen also ins Büro des Greifen gelangen." Faina klang wesentlich sicherer, als er sich dabei fühlte. Allein der Gedanke an den riesigen Schnabel des Greifen ließ ihn schaudern.

„Weißt du, wo sich das Büro befindet?", fragte er sie, doch sie verneinte.
„Aber ich habe ein paar Ideen".

"Komm mit", sagte Faina schlicht und schwebte voran. Kilian folgte ihr am Tresen vorbei und durch die geschlossene Tür hindurch, die sich dahinter befand. Doch hier befanden sich nur Aktenschränke.

Zugegebenermaßen sehr beeindruckende Aktenschränke. Aus dunklem Holz gearbeitet und so hoch, dass ein Mensch eine Leiter bräuchte, doch der Greif setzte sich wahrscheinlich auf die Messingstangen, die alle paar Meter angebracht waren.

Sein Erbfaible für alten Kram - so nannte Lu seine Faszination für Antiquitäten - wollte ihn dazu bewegen, hier zu bleiben und die Schnitzereien und auch die Mechanik der Schänke zu studieren, doch sie mussten weitersuchen.

Also schwebten sie zurück durch die Tür.
„Du hast gesagt, du hättest ein paar Ideen. Welche ist die nächste?"
„Am End Endes Ganges ist eine große Flügeltür", sagte Faina und ging voran. Kilian folgte ihr und sah sich in dem enormen Saal um. Die Regalreihen türmten sich über ihm auf und tausende von Büchern drängten sich darin.

Er hörte ein leises Rascheln und blieb erschrocken stehen. Es kam aus der Richtung, in die sie sich bewegten. Er versuchte Faina anzutippen, doch seine Hand glitt direkt durch ihre Schulter hindurch. Also flüsterte er so leise er konnte ihren Namen. Sie drehte den Kopf und Kilian sah ihr direkt ins Gesicht. Einen kurzen Augenblick lang konnte er nicht sprechen. Er war gebannt von ihren grünen Augen. Dann hörte er wieder das Rascheln und sein Blick huschte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Faina schien es auch zu hören, denn sie nickte. Langsamer als vorher bewegten sie sich den Gang entlang. Bei jedem Bücherregal lugten sie zuerst vorsichtig um die Ecke, bevor sie weitergingen.

Das Geräusch kam aus der vorletzten Reihe vor der Wand mit der Flügeltür. Ein Buch lag geöffnet auf einem Tisch und ein Luftzug blätterte hin und wieder eine Seite um.

Kilian atmete auf. Faina nickte zu der großen Tür und sie bewegten sich darauf zu. Kilian wollte schon nach der Klinke greifen, als ihm einfiel, dass er ja einfach hindurchgleiten konnte. Pseudophysikalität hatte wirklich Vorteile.

Hinter der Tür befanden sich: Noch mehr Bücher. Die Regale hier waren jedoch nicht so hoch, sodass man als Mensch mit kleinen bereitgestellten Trittleitern an das oberste Bord herankam. Außerdem waren es nicht so viele wie in dem anderen Raum. Was nicht bedeutete, dass es nicht viele waren. Kilian schätzte, dass der Raum etwa so groß war, wie die Universitätsbibliothek, in der er mit Lu recherchiert hatte. Er fasste also immer noch tausende von Büchern.

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