Kilians Herz raste so, dass er nicht in der Lage war darüber nachzudenken, was geschah. Mechanisch befolgte er die Anweisung und sank mit erhobenen Händen auf die Knie. Der Kies bohrte sich in seine Schienbeine und klärte seinen schockierten Geist so weit, dass ein Gedanke durchdringen konnte: Kilian war froh, dass er seine Hose angezogen hatte.
Der zweite Gedanke war, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmen konnte, wenn sein erster Gedanke in so einer Situation so banal war.
Mit dem dritten Gedanken fokussierte er sich auf die Situation. Er schluckte.
Die Stimme hinter Kilian blaffte ihn an: „Wer bist du und was willst du hier?"
Kilians Herz raste immer noch, doch zusätzlich begann nun auch sein Hirn auf Hochtouren zu arbeiten. Was sollte er sagen? Er entschied sich für die Wahrheit: „Mein Name ist Kilian und ich suche ein Schwert." Sie klang selbst in seinen Ohren unsinnig. Zumindest ohne Erläuterung. Aber das kalte spitze Etwas in seinem Rücken schien nicht nach langer Erklärung zu fragen.„Warum kommst du nach Woda, um ein Schwert zu suchen?"
Woda? War das der Name des Orts, an dem er sich befand? Kilian verschob diese Frage auf später und stellte eine andere, die ihm gerade sinnvoller erschien:
„Das ist eine lange Geschichte. Darf ich sie in Ruhe erzählen?"„Bist du bewaffnet?"
„Nein?" Kilian machte eine unbestimmte Zeigebewegung auf seinen Körper. Er hätte nirgends eine Waffe verstecken können. Vielleicht ein Taschenmesser. Aber in seinen Händen würde das sicherlich nicht als gefährlich durchgehen. Außer vielleicht für ihn selbst.Der Schmerz zwischen seinen Schulterblättern ließ nach und die Stimme bedeutete ihm aufzustehen und sich umzudrehen. Kilian tat, wie ihm geheißen und wendete den Blick vom See ab.
Hinter ihm standen drei Erwachsene, die in selbst hergestellte Kleidung aus Fellen und Lederkleidung gehüllt waren. Ihre Gesichter trugen komplexe Bemalungen in Erdfarben. Kilian wunderte sich zwar über ihre Aufmachung, doch er hielt es für ratsam, in seiner Situation keine Kommentare über die modischen Entscheidungen seiner Gesprächspartner zu machen. Und auch seine Fragen -und davon hatte er gerade sehr viele - behielt er erst einmal für sich.Die Frau, die mit ihm gesprochen hatte, erkannte er an dem Speer in ihrer Hand. Federn und Gräser waren in ihr langes braunes Haar geflochten, außerdem trug sie eine Kette aus Holzperlen, an der ein Rabenschädel hing. Die anderen beiden waren Männer. Ein alter Mann mit langem grauen Haar und weißem Rauschebart, der eine ähnliche Kette mit einem Widderhorn trug und ein jüngerer Mann mit kurzem rotem Haar, auf dem eine Kappe aus Lederflicken saß. Die drei musterten Kilian mit ihren bemalten Gesichtern eindringlich. Doch, wie er feststellen musste, nicht feindselig.
„Also, Kilian Schwertsucher, dann lass uns einen Ort zum Erzählen aufsuchen", brummte der Alte, bevor er sich umdrehte und in den Wald hineinging. Der junge Mann folgte ihm, die Frau ließ Kilian den Vortritt und bildete das Schlusslicht. Ob zum Schutz oder zur Bewachung, konnte er nicht sagen, denn ihre Augen huschten stetig wachsam zwischen den Bäumen und Sträuchern hin und her.
Der dichte Nebel, der sich am Seeufer zwischendurch etwas gelichtet hatte, hing im Wald noch schwerfällig im Gehölz. Kilian konnte nur wenige Meter weit sehen, doch er spürte den Wald in seiner Gänze. Nicht nur der würzige Geruch nach frischen Blättern und feuchter Rinde, sondern auch das typische Knacken und Knarren des Waldes und das Rascheln und Rumpeln der eigenen Schritte sagten ganz eindeutig: WALD.
Aber es war auch etwas tief in ihm, das genau diesen Wald wiedererkannte.
Sie erreichten eine Lichtung, auf der einige große Steine im Kreis um eine Feuerstelle lagen. An den Seiten waren sie mit Moos bewachsen, doch die blankpolierte Oberseite zeigte eindeutig, dass hier regelmäßig jemand im Kreis saß.
Der Alte ließ sich auf einem der Steine nieder und gestikulierte einladend in Richtung eines Steins gegenüber. Kilian setzte sich und auch der Rothaarige und die Frau nahmen Platz.
„Nun, Kilian. Erzähl uns deine Geschichte", brummte der alte Mann und entfachte mit einem Fingerschnippen das Feuer in der Mitte. Kilian zuckte überrascht zurück.
„Das ist Magie? Aber du bist ein Mann!", rief er aus. Die drei Anwesenden musterten ihn mit interessierten Mienen. Kilian verstand, wie sich Tiere im Zoo fühlen mussten.„Ich glaube, das wird eine spannende Geschichte", murmelte der Rothaarige und nickte Kilian auffordernd zu. Der Alte lächelte. Zumindest vermutete Kilian das, da es bei dem dichten weißen Bart gar nicht so klar erkennbar war. Seine Gesichtsbehaarung zuckte jedenfalls und um die Augen bildeten sich kleine Fältchen.
Also begann Kilian zu erzählen und berichtete von seinem Geburtstag, seiner Aufgabe und seinem Weg hierher. Weitere Details ließ er erst einmal aus. Ergänzen konnte er später immer noch.
„Und warum suchst du gerade Woda auf, um dein Schwert zu finden?" Es war die Frau, die sprach. Dieses Mal war ihre Stimme aber wesentlich freundlicher als zuvor.
„Woda?", fragte Kilian verdutzt. Sie zeigte lediglich auf die umstehenden Bäume, doch er verstand, dass es der Name des Waldes sein musste.
„Mein Vater, also sein Geist, hat mir gesagt, ich sollte hier mit meiner Suche ansetzen. Aber-" Kilian stockte , unschlüssig, wie er weitersprechen sollte. Er räusperte sich.
„Ich dachte dieser Ort existiert nur in meinen Träumen", sagte er schließlich und blickte in die Runde. Er wusste nicht, welche Reaktion er erwartet hatte. Vielleicht Spott oder Empörung. Aber seine Zuhörer runzelten lediglich die Stirn.
„Warum?" Der alte Mann legte den Kopf schief und musterte Kilian.
„Ich habe immer wieder von ihm geträumt, aber er ist so unwirklich. Dieser Wald ist so anders als alle anderen die ich kenne."
„Vielleicht hast nicht du von Woda geträumt, sondern Woda von dir. Woda ist nicht irgendein Wald. Woda ist der Wald."
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Witchboy
FantasyIn der Nacht zum sechzehnten Geburtstag zeigt sich, ob ein Mädchen eine Hexe ist oder nicht. Das ist die Nacht, in der sich ihre Kräfte offenbaren. Gut, dass Kilian kein Mädchen ist. Als einziger Junge in einem Hexenhaushalt will er so wenig wie mög...