Magie hat ihren Preis

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„Ich habe ein Buch gefunden, in dem wir etwas Nützliches finden könnten", sagte Faina zwischen zwei Keksen.

Kilian blickte von seinem Kaffee auf.

„Aber es ist wirklich fortgeschrittene Magie", knusperte sie und lehnte sich in ihrem Sessel zurück.

„Was genau meinst du mit ,fortgeschritten'?" Ihm schwante Unheil.

„Naja... Es ist etwas düster, könnte man sagen." Kilian kannte Faina mittlerweile gut genug, um zu erkennen, dass sie die Leichtigkeit nur simulierte, mit der sie sprach.

„Das klingt sehr ominös. Worum geht es?"

Sie zeigte ihm auf ihrem Handy ein Foto von der Beschreibung des Rituals.

„Auf keinen Fall", rief er empört, bevor er überhaupt nachdenken konnte.

„Kilian, beruhig dich bitte", zischte sie ihm zu. Doch Kilians Gedanken rasten. Er fuhr sich durch die Haare und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen, wo er das Gesicht in den Händen vergrub.

„Das ist richtig gestört", sagte er schließlich.

„Ich glaube, wir haben keine andere Möglichkeit. Zumindest habe ich keine gefunden", erwiderte Faina ernst schürzte die Lippen.

„Ich brauche Zeit, um darüber erst nachdenken", seufzte er, doch Faina ließ nicht locker:

"Ich bin mir nicht sicher, ob du diese Zeit hast. Morgen ist schon Silvester", sagte sie nachdrücklich. Sie runzelte die Stirn und musterte ihn. So hatte er sie noch nicht erlebt.

"Wieso machst du jetzt plötzlich so einen Stress? Ich habe doch gesagt, ich werde es mir überlegen", gab er etwas schärfer als beabsichtigt zurück. Fainas Augen weiteten sich. Den stummen Vorwurf konnte er nicht ignorieren.

"Entschuldige. Ich wollte dich nicht so anfahren, aber dieses Ritual ist für mich wirklich heftig. Ich muss das erstmal sacken lassen", beschwichtigte er sie und griff nach ihrer Hand.

Faina lächelte ihr kleines Lächeln und stand aus ihrem Sessel auf, um sich auf seinen Schoß zu setzen. Als sie ihn küsste, war jegliches Problem wie weggeblasen. Kilian strich ihr durch ihre flammenden Locken und fühlte ihr Grinsen auf seinen Lippen.

*

Kilian lag auf der Couch im Wohnzimmer und grübelte. Er las sich die Beschreibung des Rituals mehrfach durch in der Hoffnung, dass es weniger makaber werden würde, doch er täuschte sich. Das Ritual verlor nicht an Schrecken, sondern wurde mit jedem Mal haarsträubender:

Die Hand des Ruhms

Kann Türen öffnen, Menschen immobilisieren und versteckte Schätze offenbaren.

Für die Herstellung der Hand des Ruhms wird die abgetrennte Hand eines Kriminellen in ein Leichentuch gewickelt mit einem Balsam aus Salz, langem Pfeffer, Salpeter und Zimat für mindestens sieben, besser dreizehn Tage in einer Urne auf einem angemessen vorbereiteten Altar mumifiziert.

Sobald sie ordnungsgemäß präpariert ist, kann eine Kerze in der Hand des Ruhms platziert und ein der erwünschten Wirkung entsprechender Zauber gewirkt werden.

Hinweis: Eine Kerze, die aus dem Körperfett des Kriminellen hergestellt wird, verleiht der Hand des Ruhms besonders viel Macht.

Nicht nur die grausigen Details machten Kilian dabei zu schaffen, sondern auch die vielen offenen Fragen. Welche Art von Kriminellen wurden benötigt? Diebe? Mörder? Schwarzfahrer?

Was langer Pfeffer war, hatte er herausgefunden, aber was war Zimat? Eine Internetrecherche ergab nichts Sinnvolles, die einzige Spur war ein Allergiemittel. Aber konnte das wirklich gemeint sein? Wie bereitete man den Altar angemessen für so etwas vor? Welche entsprechenden Zauber waren gemeint? Die Frage, die er sich am wenigsten stellen wollte: Wie stellte man eine Kerze aus Körperfett her? Die Antwort wollte er vermutlich nicht wissen, weshalb er gar nicht erst recherchierte. Die wichtigste Frage blieb jedoch: Woher sollte er die Hand eines Kriminellen bekommen? Im Mittelalter wäre das kein großes Problem gewesen, da wurden Dieben noch die Hände abgehackt, wenn man sie erwischte. Aber heutzutage? Ihm schwante Unheilvolles.

Doch er hatte zum ersten Mal seit dem Tagebuch in der Mondbibliothek das Gefühl, eine Spur zu haben. Er konnte es nicht genau bestimmen, aber er spürte, dass er mit der Hand des Ruhms Gram finden könnte. Er ließ den Blick durch den Raum und das Fenster zum Garten schweifen. Auf dem Gewächshaus seiner Großmutter saß eine Krähe. Sie legte den Kopf schief. Kilian setzte sich langsam auf, doch als er aufstehen wollte, ertönte ein lautes Krächzen und der Vogel flatterte davon.

Kilian wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens nahm er sein Handy in die Hand und verständigte Faina. Sie begannen zu planen.

*

Am siebten Januar war es schließlich so weit. Die Raunächte waren vorbei, es war aber auch noch nicht Zeit für Imbolg. Eine gute Zeit also für Exhumierungen.

Kilian und Faina gingen ihren Plan ein letztes Mal durch. Zuerst überprüften sie, ob sie alles beisammen hatten, was sie benötigen würden.

"Klappspaten?", fragte Faina, ohne von dem Notizbuch in ihrer Hand aufzublicken.

"Jep", antwortete Kilian und legte ihn in den Rucksack. Zum Glück war der Winter aktuell sehr mild, sodass der Boden nicht gefroren war. Eine Hacke würde sich nicht so gut transportieren lassen.

"Handschuhe?"

"Hier. Zwei Paar."

"Taschenlampen?"

"Zwei Stück."

"Säge?"

"Mhmm", brummte Kilian. An den Zweck der Säge wollte er am liebsten gar nicht denken.

"Salz?"

"Salz ist drin."

"Langer Pfeffer?"

"Auch."

"Salpeter?"

"Frisch von der Kellerwand gekratzt." Bei diesen Worten warf Faina Kilian einen verwirrten Blick zu. Er zuckte mit den Schultern: "Ist echt so."

"Okay? Wie auch immer. Allergietabletten?" Sie hatten nach langem Suchen und Nachfrage in der Apotheke beschlossen, dass es nichts Anderes sein konnte.

"Ebenfalls drin."

"Urne und Leinentuch?" Kilian bejahte, während er die Teedose aus Messing und das Geschirrtuch aus Leinen, beides aus der Küche geklaut, in den Rucksack packte. Die Teedose war zwar etwas angelaufen, aber das sollte hoffentlich kein Problem sein. Es war das, was einer Urne am nächsten kam. Seine Großmutter hatte ihm schon häufig gesagt, dass es bei Magie nicht um genaue Worte und auch selten um bestimmte Zutaten ging, sondern dass Intention und ein starker Wille am wichtigsten waren.

"Kerze? Und Feuerzeug?"

"Beides da." Kilian hatte sich resolut geweigert, eine Kerze aus Körperfett herzustellen. Wenn sie nicht gerade einen ehemaligen Gefängnisinsassen fänden, der bei einer Fettabsaugung verstorben war, war die Extraktion des Körperfetts einfach zu widerlich. Und dann auch noch eine Kerze daraus gießen? Diese Grenze wollte er nicht auch noch überschreiten.

Faina hatte mittels Astralprojektion herausgefunden, dass in der städtischen Justizvollzugsanstalt Anfang Januar ein Insasse verstorben war. Seine Leiche wurde der Staatsanwaltschaft zur Obduktion übergeben und nach der Untersuchung von einem Bestatter abgeholt, der heute für die Beerdigung sorgen würde.

Sie hatten alle anderen Optionen durchgespielt, sie hätten weder in die Pathologie einbrechen und eine Hand stehlen können, noch in den Kühlraum des Bestattungsinstituts. Da es sich um eine Bestattung aus öffentlicher Hand handelte, gab es auch keine Trauerfeier, sondern eine unzeremonielle Beerdigung in einem Reihengrab, das heißt die Leiche wurde auch nicht aufgebahrt oder am Friedhof zwischengelagert.

Sie würden tatsächlich das Grab wieder ausheben und den Sarg öffnen müssen.

Kilian packte noch Tabletten gegen Übelkeit mit ein. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass er sie brauchen würde.

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