Die Vergangenheit holt dich ein

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Kilian erwachte mitten in der Nacht und war zuerst orientierungslos. Der Boden unter ihm war hart, ihm war kalt und es roch seltsam nach Kräutern. Kurz dachte er, er wäre wieder in seinem Traumwald, doch als er die Augen öffnete, fand er sich auf dem Boden des Speichers wieder. Sally lag ein kleines Stück von ihm entfernt.

Er stupste seine Schwester an. Sie regte sich, schlief aber weiter. Kilian schüttelte sie ein wenig an der Schulter, bis sie die Augen aufschlug:
„Lass mich schlafen", murmelte sie und drehte sich um. Dabei schien sie zu merken, dass sie nicht in ihrem weichen Bett, sondern auf hartem Holz lag, denn sie richtete sich langsam auf und blinzelte schläfrig in den Raum.

„Oh", sagte sie schließlich und „richtig." Dann stand sie auf und reichte Kilian eine Hand, um ihm aufzuhelfen. Er nahm das Angebot gern an. Gemeinsam tapsten sie in ihre Zimmer, um sich für den Rest der Nacht in ihre bequemen Betten zu begeben. Doch als Kilian sein Zimmer betrat, sah er im hereinscheinenden Mondlicht etwas Funkelndes unter seinem Bett.

Verwundert hockte er sich hin und fand ein kleines Päckchen. Es war in buntes Geschenkpapier eingewickelt und das, was geglänzt hatte, war die silberne Schleife gewesen. Nach einem kleinen schläfrigen Moment klickte es in seinem Kopf und er erinnerte sich an das Julfest und seinen Streit mit Lu. Das Geschenk hatte er gar nicht geöffnet und danach total vergessen.

Langsam, ganz vorsichtig - warum wusste er selbst nicht so genau, aber es fühlte sich richtig an - wickelte er das Päckchen aus und fand eine Playmobilfigur. Es war ein Ritter mit einem goldenen Helm und ebenso goldenem Schwert, Dazu gehörte auch noch ein feuerspeiender Drache. Siegfried von Xanten.

Er nahm den kleinen Plastiksiegfried in die Hand und musterte ihn. Seine Brust schien sich zusammenzuziehen, als ihm klar wurde, wie lange er nicht mehr mit Lu gesprochen hatte. Am liebsten hätte er sie sofort angerufen, doch es war kurz nach drei Uhr morgens und um so eine Zeit würde er sie nur anrufen, wenn es einen absoluten Notfall gäbe. Wobei -

Kurzentschlossen stellte er Siegfried und seinen Drachen auf die Fensterbank, nahm sein Handy und knipste ein dramatisches Foto eines epischen Vollbild-Kampfes im Mondlicht. Kilian schickte es Lu. Er überlegte, ob er noch etwas dazu schreiben sollte, beließ es aber erst einmal dabei. Lu würde ihn auch ohne Worte verstehen.

Anschließend legte er sich ins Bett und schlief ein.

*
„Ich könnte dich erwürgen"

Das war die Antwort, die Kilian am Morgen auf seinem Handydisplay erwartete.

„Dafür bist du nicht groß genug"

Schrieb er zurück und grinste breit, als sie antwortete:

„Du bist tief genug gesunken, dass ich deinen Hals bequem erreichen kann"

Kilian nahm den kleinen Siegfried vom Fensterbrett und richtete dessen goldenes Miniaturschwert so aus, dass es ihm in den Hals piekte. Er schickte Lu dieses Selfie.

Sein Handy klingelte, es war natürlich Lu.

„Ist ja gut, ich nehme deine Entschuldigung an", lachte sie ihm durch den Hörer entgegen und Kilian musste erleichtert mitlachen.
„Deine Fotos erinnern mich zu sehr an unsere Dungeons and Dragons-Phase", witzelte sie. Kilian stöhnte theatralisch auf: „Erinner mich bloß nicht daran!"
Vor zwei Jahren hatten sie mit ein paar Leuten aus der Schule Pen and Paper-Rollenspiele ausprobiert, jedoch war relativ schnell klar geworden, dass Kilian und Lu zu albern waren, um so etwas ernsthaft zu betreiben. Die beiden hatten zwar sehr viel Spaß gehabt, wurden aber irgendwann nicht mehr eingeladen.

„Ich habe damals gedacht, wir wären fertig mit diesem ganzen Rollenspielkram. Quests, Magie, verzauberte Gegenstände, die man finden muss, um das Spiel zu gewinnen", seufzte Lu und Kilian nickte unwillkürlich, obwohl sie es nicht sehen konnte.

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