Fröhliches Julfest

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Kilian hatte jedoch gar keine Gelegenheit dazu, sich weiter mit Lu zu beschäftigen, da sein Handy klingelte. Kilians Herz machte einen Hüpfer, als er auf das Display schaute und Fainas Namen las.

„Hey, Kilian", flötete sie, noch bevor er etwas sagen konnte.

„Hey-", sagte er zurück, doch Faina sprach schon weiter.

„Du, ich wollte dich fragen, also du bist heute bestimmt mit deiner Familie beschäftigt, aber, hast du danach vielleicht ein bisschen Zeit für- eine kleine Feier? Ich, also es ist mein Geburtstag." Sie klang irgendwie nervös. War das eine Einladung zu einem Date? Warum sonst sollte sie so nervös sein? Es kribbelte in Kilians Bauch. Am liebsten würde er Lu nach einem Rat fragen, aber- naja.

„Ähm, klar", sagte er und fühlte sich wie ein Vollpfosten.

„Also, wir feiern abends mit der Familie, aber nur bis etwa zehn oder so, danach habe ich Zeit", versuchte er das Gestammel noch einmal zu retten. Er würde sich rausschleichen müssen. Mal wieder.

„Super! Ich schicke dir gleich den genauen Ort." Sie verabschiedeten sich und mit einem wesentlich besseren Gefühl als noch vor ein paar Minuten stand Kilian aus dem Bett auf. Das kleine, bunt eingewickelte Päckchen, das Lu dagelassen hatte, fiel dabei auf den Boden und rollte unter sein Bett, doch Kilian bemerkte es nicht und zog sich an.

Nach dem Frühstück begannen sie mit den Vorbereitungen für das Fest am Abend. Das ganze Haus wurde aufgeräumt und geputzt und die Waschmaschine und der Trockner liefen unaufhörlich, während der Rauhnächte durfte schließlich nicht gewaschen werden.
Kilian hatte das noch nie verstanden und alle Erklärungen, die er erhalten und auch selber recherchiert hatte, bezogen sich immer auf das Aufhängen von Wäsche. Die wilde Jagd sei draußen unterwegs und entführe Leute oder auch, umherstreifende Geister könnten sich in der Wäsche verfangen. Da sie aber im Keller einen Wäschetrockner hatten und niemand nach draußen gehen musste, um Wäsche zu waschen, fand er diesen Aberglauben einfach nur anstrengend. Immerhin war danach der Kleiderschrank erstmal wieder voll.

Gemeinsam mit seiner Großmutter band Kilian getrocknete Kräuter und Hölzer zum Räuchern zusammen. Die Reste verteilten sie in Räucherschalen auf dem Dachboden.
Dann schmückten sie den Altar mit Tannenzweigen und Bändern in rot und gelb. Schließlich stellten sie noch Kerzen auf. Es war das erste Mal, dass Kilian an diesen Vorbereitungen des Fests teilnahm, sonst hatte er immer nur beim Putzen und Kochen geholfen. Dieser Teil erschien ihm wesentlich weniger anstrengend.

Im restlichen Haus hatten seine Mutter und seine Schwester derweil Tannenzweige und Strohschmuck aufgehangen und sich an die Zubereitung des Essens gemacht. Das ganze Haus blitzte und es duftete herrlich.

Während das Festmahl im Ofen schmorte, machte es sich Familie Henot im Wohnzimmer mit Tee und Keksen gemütlich. Sie unterhielten sich über das vergangene Jahr und genossen die ausgelassene Stimmung. Kilian meinte jedoch zu spüren, dass es alle sehr sorgfältig vermieden über seine Aufgabe zu sprechen. Ihm war das ganz recht, er war schließlich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr weitergekommen. Er nahm sich noch einen Keks und konzentrierte sich auf das Gespräch.

Nach dem Essen machten sie sich auf dem Dachboden daran, ihre Wünsche für das nächste Jahr zu formulieren. Kilian überlegte, was er sich wünschte. Sein erster Gedanke galt jedoch nicht dem Schwert Gram, von dem sein Leben abhing, sondern rotem Haar, das durch seine Finger glitt.

Obwohl er sich der Unsinnigkeit bewusst war, schrieb er also „Faina" auf den kleinen Zettel, der vor ihm auf dem Boden lag. Dann faltete er den Zettel zusammen und strich etwas von der Ölmischung, die seine Mutter hergestellt hatte, darauf.

Verstohlen blickte er sich um. Die Frauen sahen ihn erwartungsvoll an.

„Lieber Kilian, du darfst heute zuerst", sagte seine Großmutter und reichte ihm die Streichhölzer, mit denen er die Kerze in der Mitte des Sitzkreises anzünden sollte. Kilian tat, was man von ihm erwartete,  nahm als erster seinen Zettel in die Hand und hielt ihn in die Flamme.
Das ölgetränkte Papier fing sofort Feuer und Kilian legte es auf dem Teller vor sich ab. Er beobachtete noch, wie die anderen es ihm gleichtaten, dann schlossen sie alle die Augen und meditierten ein wenig über ihren Wunsch. Falls man Kilians Fantasien davon, wie er durch Fainas Haare strich und sie küsste, meditieren nennen konnte.

Später wartete Kilian darauf, dass seine Familie im Bett verschwand und ließ noch eine halbe Stunde vergehen, bevor er sich aus dem Haus stahl. Mit dem Fahrrad radelte er zu dem angegebenen Treffpunkt, einem kleinen Club am Rand der Innenstadt. Er konnte Faina vor der Tür nicht entdecken. Hatte er etwas falsch verstanden? Ein kurzer Blick auf sein Handy versicherte ihm, dass er am richtigen Ort war. Da es draußen kalt war, schob er seine Zweifel beiseite und ging hinein.

Zwischen den vielen Menschen - es war zwar voll, aber nicht gedrängt - ließ er suchend den Blick umherschweifen. An der Bar konnte er Faina nicht entdecken, an den Stehtischen im Vorraum auch nicht. Seltsam. Verunsichert bewegte er sich weiter Richtung Tanzfläche, wo er sie entdeckte.

Inmitten einer Gruppe gleichaltriger Mädchen tanzte sie ausgelassen. Er ging das Gespräch am Morgen noch einmal in seinem Kopf durch und hätte sich am liebsten vor die Stirn geschlagen. Geburtstagsfeier. Natürlich kein Date. Zum Glück war bei der schummrigen bunten Beleuchtung nicht zu sehen, dass er rot anlief.

Faina entdeckte ihn und winkte ihn heran. Er schob sich zwischen den Tanzenden zu ihr und umarmte sie zur Begrüßung. Sie war vom Tanzen leicht verschwitzt und er musste den Impuls unterdrücken ihr die Haarsträhne, die an ihrer Stirn klebte, wegzustreichen.

„Da bist du ja endlich, wir haben auf dich gewartet!", rief sie ihm entgegen.

„Alles Gute zum Geburtstag", entgegnete er. Sie strahlte.

„Ich habe leider kein Geschenk für dich besorgen können", setzte er noch hinzu, doch Faina winkte ab.
„Hauptsache du bist da und feierst mit uns!" Mit diesen Worten begann sie wieder sich zu bewegen und Kilian hätte ihr am liebsten einfach nur zugesehen. Als er es nach einigen Momenten schaffte, seinen Blick von ihr zu lösen, musterte er die anderen Mädchen. Ein paar von ihnen kamen ihm bekannt vor, er erinnerte sich beispielsweise noch gut an Maya - die Enkelin der Covenältesten Edna, die sich an Samhain bei ihrer Großmutter für in eingesetzt hatte - und erwiderte ihr freundliches Lächeln.

Da Kilian daran gewöhnt war, die meiste Zeit seines Lebens in weiblicher Gesellschaft zu verbringen, machte es ihm nichts aus, dass er der einzige Junge in der Mädchengruppe war. Nach einer Weile hatte er die elf Mädchen, die Faina eingeladen hatte, alle kennengelernt und war sich sicher, dass keine von ihnen ihm feindlich gesinnt war. Interessant fand er, dass nur vier von ihnen zu demselben Coven gehörten, wie Faina und seine Familie - und er vielleicht auch demnächst - und die anderen aus einem weiteren Covens stammten, in dem Fainas Großmutter eine Älteste war.

Nach ein paar Songs ausgelassenen Tanzens spürte er eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. Faina bedeutete ihm, dass sie nach draußen gehen wollte, um Luft zu schnappen. Kilian folgte ihr. Zu zweit schlängelten sie sich durch die Leute und verließen den Club. Sie stellten sich vor eines der winterlich dekorierten Fenster.

„Ist irgendetwas?", fragte sie ihn und musterte ihn.
„Nein, wieso?", gab er zurück.
„Du sahst unglücklich aus, als du ankamst. Enttäuscht?"
„Ach das!" Kilian lachte verlegen und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Ich- Das war nichts."

„Bist du sicher? Du kannst mir alles sagen." Bei diesen Worten legte sie ihm die Hände auf die Schultern. Kilian schluckte.

„Es war nur- also ich dachte, naja", stammelte er. Dann holte er tief Luft: „dass die Einladung exklusiv ist?"

Faina musterte ihn und ihr wissendes kleines Lächeln breitete sich über ihren Lippen aus.

„Das erklärt deinen Gesichtsausdruck. Aber vielleicht heitert dich ein Blick nach oben ja etwas auf?"

Verdattert hob Kilian seinen Blick und entdeckte ein Bündel Mistelzweige, das über ihren Köpfen hing. Als er zu Faina zurückschaute, zog sie sich zu ihm heran und küsste ihn.

Kilian war einen Moment zu überrascht, um zu reagieren, dann legte er seine Arme um Faina und küsste sie zurück.

Als sie sich nach Luft schnappend von ihm löste, bemerkte er, dass ihr eine rote Haarsträhne im Gesicht klebte und er verspürte eine unverhältnismäßige Genugtuung dabei, sie aus ihrem Gesicht zu streichen.

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