Abwarten und Tee trinken

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Kilian und Faina trafen sich also am nächsten Tag in dem Café, das Faina ausgesucht hatte. In Beige- und Brauntönen gehaltene Wände und Dekoration, verschiedene Holztische und bunt zusammengewürfelte Stühle und Sessel ergaben zusammen mit dem Duft von Kaffee und Kuchen eine gemütliche Atmosphäre.

Faina steuerte eine Ecke an, die durch ein Bücherregal etwas vom restlichen Raum getrennt war und ließ sich in einen der Sessel fallen, die um den kleinen Kaffeetisch gruppiert waren. Kilian legte seinen Rucksack und seine Jacke auf einen und setze sich auf einen dritten Sessel.

Faina zog ihre safrangelbe Pudelmütze und ihren farblich passenden Wollmantel aus und legte sie auf Kilians Sachen ab. Es war zwar seltsam, aber irgendwie gab es Kilian ein Gefühl von Vertrautheit, dass sie ihre Kleidung so selbstverständlich auf seine stapelte.

Die Kellnerin kam vorbei. Kilian bestellte einen großen Kaffee und Faina eine Kanne grünen Tee.
Während sie auf ihre Getränke warteten, packte Kilian aus seinem Rucksack sein Notizbuch und seinen Laptop aus, um Faina seine bisherigen Rechercheergebnisse zu zeigen.

"Hmm. Das ist zwar viel, aber wenig davon ist wirklich brauchbar, oder?", sagte sie und zog die Stirn kraus.
"Ja, das ist das Problem. Es gibt schon wirklich wenig Informationen über dieses Schwert und die paar, die es gibt, sind vor allem Mythen und Spinnerei." Kilian seufzte.
"Glaubst du, dass es existiert?", fragte sie ihn und sah ihm direkt in die Augen. Kilian überlegte kurz, was er sagen sollte und entschied sich für die Wahrheit:
"Ich weiß es nicht."

Nach kurzem Schweigen fuhr er fort:
"Das Nibelungenlied ist wie schon gesagt eindeutig ein fiktiver Text, hat aber auch sichere Bezugspunkte. Also ist es nicht unmöglich, dass auch Siegfrieds Schwert wirklich existiert hat. Aber als Sohn einer Antiquitätenhändlerin weiß ich auch, dass Gegenstände verlorengehen, Metall rostet oder auch neu eingeschmolzen wird. Falls es dieses Schwert also gab, heißt das nicht, dass es noch auffindbar ist." Kilian fuhr sich durch die Haare.

"Ich denke nicht, dass die Ältesten dir die Aufgabe gegeben hätten, wenn dieses Schwert nie existiert hätte. Deine Aufgabe ist zwar absurd schwierig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so einen spezifischen Auftrag formuliert hätten, wenn es völlig unmöglich wäre", gab Faina zu bedenken und verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. Kilian spürte so etwas wie Hoffnung.

Hoffentlich hatte sie Recht.

Die Getränke kamen an und als Kilian nach seinem Kaffee greifen wollte, hob Faina die Hand, um ihn zu stoppen.
"Du musst Tee trinken, mein Lieber. Ich nehme gern deinen Kaffee", schmunzelte sie und das Funkeln in ihren Augen verhieß, dass gleich etwas passieren würde.
"Ich werde sehen, was die Teeblätter über deine Zukunft verraten", fügte sie hinzu und Kilian hatte einen unerklärlichen Impuls, den Vorschlag abzulehnen und zu gehen. So schnell, wie das Gefühl gekommen war, verflog es jedoch wieder und machte einer aufgeregten Spannung Platz.

Faina löffelte etwas aus der Dose mit den Teeblättern in die Tasse und goss dann heißes Wasser aus dem bereitgestellten Kännchen dazu.

In seiner Hosentasche vibrierte sein Handy. Er zog es ein Stück heraus, um auf das Display zu linsen. Eine Nachricht von Lu. Er hatte ganz vergessen sie abends noch anzurufen. Aber jetzt war der Zeitpunkt zum Antworten auch unpassend, weshalb er das Handy in seinem Rucksack verschwinden ließ.

Als der Tee fertig war, setzte er die Tasse an die Lippen und nippte. Der Tee war zwar heiß, aber nicht kochend.
„Grünen Tee darf man nicht zu heiß aufbrühen", hatte ihm schon seine Oma immer gesagt. Also nahm er noch einen vorsichtigen Schluck.

„Du musst die Tasse nun austrinken, bis sie fast leer ist. Einen kleinen Restschluck brauchen wir, damit die Blätter sich noch frei bewegen können."
„Also abwarten und Teetrinken", gab Kilian von sich und erntete ein kleines Lächeln von Faina.

Als Kilian die Tasse so weit geleert hatte, dass Faina zufrieden war, reichte er sie ihr. Sie nahm die Tasse in die Hand und schwenkte sie einige Male im Kreis, bevor sie sie wieder auf die Untertasse stellte. Gebannt betrachtete sie, wie die Teeblätter in der Tasse umherwirbelten. Kilian hätte sich vielleicht auch auf die Blätter konzentrieren sollen, war aber so fasziniert von Fainas konzentrierter Miene, dass er erst in die Tasse schaute, als sie ihn dazu aufforderte.

„Was siehst du?", fragte sie ihn mit hochgezogener Augenbraue. Er wollte einfach „Blätter" antworten, doch verkniff sich den lahmen Witz und konzentrierte sich stattdessen. Er versuchte Formen zu erkennen und allmählich konnte er etwas sehen.

„Das dort sieht aus wie eine Schnur oder eine Linie? Mit ein paar Wellen?", sagte er zögerlich und Faina nickte langsam. Er hatte gehofft, dass sie ihm direkt etwas dazu sagen würde, doch er wurde enttäuscht.
„Weiter", forderte sie ihn auf.

„Das könnte ein Beil sein?"
Faina bedeutete ihm fortzufahren.
„Da sehe ich ein Kreuz. Oder eher eine Schere."
Wieder nickte sie.

„Und dann ist da dieser Wirbel. Ein Strudel oder ein Tornado?"
„Was umgibt ihn?", fragte Faina und Kilian betrachtete die Spirale genauer.
„Ich denke Vierecke. Kleine Quadrate", schloss er seine Deutung ab.

„Puh", machte Faina. Kilian sah sie alarmiert an.
„Sieht es sehr schlimm aus? Ich werde scheitern und sterben, oder?"

Faina schloss die Augen und begann zu sprechen, wobei ihre Stimme etwas tiefer war als sonst.

„Dir steht eine Reise bevor. Der Weg wird nicht immer klar zu erkennen sein und du wirst dich immer wieder in Sackgassen wiederfinden. Eine Gefahr bedroht dein bisheriges Leben und ein großer Streit steht ins Haus. Überprüfe deine Beziehungen, denn turbulente Zeiten warten und nur mit der richtigen Unterstützung wirst du sie heil überstehen."

Faina öffnete die Augen wieder und blinzelte ein paarmal.
„Was habe ich gesagt?", fragte sie ihn immer noch blinzelnd.
Kilian betrachtete sie unsicher.
„Ich verfalle beim Orakeln manchmal in Trance", klärte sie ihn auf.
„Ach so", brummte Kilian und fasst zusammen, was sie gesagt hatte.

„Puh", machte sie erneut.
„Ja, das sagtest du bereits", sagte Kilian und grinste.
„Es stimmt ja auch immer noch", gab sie zurück und streckte ihm die Zunge raus, bevor sie einen Schluck Kaffee trank.

Sie saßen noch eine Weile zusammen und unterhielten sich. Faina wollte aus der Bibliothek ihrer Eltern einige Bücher über Rituale wälzen und sich morgen wieder mit ihm treffen, um ein paar Möglichkeiten durchzugehen.

„Irgendwo muss es Informationen geben und wir werden sie finden", sagte sie ihm beim Abschied, bevor sie ihn umarmte und sich auf den Weg machte.

Kilian kramte sein Handy aus dem Rucksack und überflog die Flut an Nachrichten, die er von Lu erhalten hatte.

Mit schlechtem gewissen schrieb er ihr:
„Hey"
„Selber hey"
„Ich war heute mit Faina verabredet, deshalb kein Lebenszeichen"
„Uuuuuh ein Date!"
„Nicht so verabredet, sondern zur Recherche"
„Und was habt ihr herausgefunden?"
„Im Wesentlichen, dass ich todgeweiht bin"
„Also alles beim Alten"
„Jep"

Kilian verabschiedete sich und machte sich auf den Heimweg.

Zu Hause angekommen setzte er sich an den Esstisch, den seine Großmutter gerade gedeckt hatte. Sie und seine Mutter nahmen ebenfalls Platz.

„Wie geht die Informationssuche voran?", fragte seine Großmutter und Kilian hätte fast von den Treffen mit Faina erzählt. Er wollte sie jedoch nicht in Schwierigkeiten bringen und sich selbst auch nicht, weshalb er vorgab mit Lu in der Bibliothek gewesen zu sein. Seine Mutter nickte nachdenklich.

„Ich habe schon versucht meine Quellen anzuzapfen, doch alle sind sehr sehr vorsichtig und niemand will die Ältesten verärgern, weshalb ich bisher leider nichts herausfinden konnte", gab sie zu, bevor sie ein Stück Kartoffel aufspießte.
Kilian sah zu seiner Großmutter.

„Ich habe noch einmal darüber nachgedacht, ob ich dir nicht doch erlauben soll, in die Mondbibliothek zu gehen", sagte sie und Kilian verschluckte sich. Als sein Hustenanfall vorüber war, fuhr sie fort.
„Ich halte es immer noch für sehr gefährlich, aber ich könnte dich ja begleiten."
„Ach, weißt du, das ist gar nicht nötig, Oma", gab er kauend von sich. Klara legte den Kopf schief und musterte ihren Enkel.

„Sally hat dort schon ein wenig für mich gesucht und nichts Brauchbares gefunden", log er schnell und machte sich eine mentale Notiz, seine Schwester unbedingt darüber zu unterrichten, dass sie ihm diesen Gefallen angeblich getan hatte.

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