Wir alle!

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Agnes, Helena und Edna saßen bereits an einem langen Tisch im hinteren Teil des parkähnlichen Gartens. "Ferienhaus" war eine absolute Untertreibung für das Anwesen der von Borckes bei Dublin.

Es war 19:02 Uhr und sie hatten begonnen die anwesenden Hexen zu begrüßen. Ohne weitere Umschweife ließ Kilian den Staubsaugerroboter direkt vor den drei Ältesten herabsinken. Der Flug hatte seine Glieder versteift, weshalb es für den sowieso schon ungelenkigen Jungen ein äußerst peinliches Unterfangen war, ächzend auf die Füße zu kommen, doch er ignorierte seine brennenden Wangen und stellte sich vor die Coven-Oberhäupter.

Das triumphierende Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zog, konnte er nur mit Mühe unterdrücken, doch er biss die Zähne zusammen und begrüßte schließlich so höflich, wie er konnte die drei Frauen:

"Guten Abend, werte Älteste, entschuldigt bitte die Unterbrechung, aber ich wollte meine Initiationsaufgabe als erfolgreich absolviert verkünden." Er wusste nicht, ob es zu viel war, aber er verbeugte sich zur Sicherheit noch ein wenig. Jemand in der Menge hinter ihm lachte laut auf.

Helena Bernauer, die wieder links von Edna saß, schürzte die faltigen Lippen und warf einen verächtlichen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. Sie zischte Edna von Borcke etwas ins Ohr und diese nickte langsam.

"Tja, du bist nur leider zu spät, Junge", verkündete sie und lächelte ihn mit falschem Mitleid an.

Die Worte hallten in seinem Kopf wider. Fassungslos starrte er sie an. "Was soll das heißen?"

"Nun, es ist schon drei Minuten nach neunzehn Uhr. Wir haben die Feierlichkeit bereits begonnen und du warst nicht anwesend", schnarrte Helena und Kilian musste tief einatmen, um nichts Unüberlegtes zu tun oder zu sagen.

"Ach kommt, ihr zwei. Das ist doch albern. Wir haben gerade erst die Begrüßung angefangen", tadelte Agnes Birgitta von Ednas rechter Seite ihre Covenschwestern und blickte sie über ihre Brillengläser hinweg streng an.

"Nein nein, Agnes. Ich denke schon, dass wir uns an die Regeln halten müssen." Edna schüttelte den Kopf, als würde sie es wirklich bedauern.

"Gut, dass wir uns da einig sind", sagte Kilian, dem ein möglicher Ausweg eingefallen war. Verblüfft rissen alle drei Ältesten ihre Augen auf und starrten ihn an. "Die Regeln besagen, dass ich das Schwert Gram finden und es bis Imbolg vor dem Coven präsentieren muss." Ein Raunen ging durch die hinter ihm versammelten Hexern. Etwa zweidutzend Stimmen zischten und flüsterten in seinem Rücken. Kilian hob das Kinn und sprach weiter: "Es ist Imbolg." Er zog das Schwert aus seinem Rucksack. "Hier ist Gram."

Helena keuchte auf, als er Gram erhob. Als würde er ihr gleich den Kopf abschlagen. Kilian fühlte sich wie Herkules, der gegen die dreiköpfige Hydra kämpfte. Ob Helena drei Köpfe nachwachsen würden? Der falschen, zischenden Schlange wäre es jedenfalls zuzutrauen.

Edna verzog derweil den Mund, als hätte sie eine Kröte verschluckt. "Wir werden in Zukunft unsere Anforderungen präziser formulieren müssen." Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge. "Sei's wie es sei. Schwörst du, dass du das Schwert ohne Hilfe von außen und ganz allein gefunden hast?"

Kilians Herz sank ihm in die Hose. Er könnte nun lügen. Autsch! Oder doch nicht. Schon der Gedanke, nicht die Wahrheit zu sagen, hatte seinen Kopf mit einem Schmerz durchzuckt, der selbst für den Sekundenbruchteil, den er angedauert hatte, nahezu unerträglich gewesen war. Ein Wahrheitszauber. Kilian musste gestehen, dass er Unterstützung gehabt hatte. Er würde jedoch versuchen, so wenige seiner Unterstützerinnen und Unterstützer mit hineinzuziehen.

"Es gab eine Prophezeiung, die besagt, dass das Schwert nur dann gefunden werden kann, wenn ein geschmiedetes und sechs ungeschmiedete Schwerter zusammenkommen. Ich hatte also keine andere Wahl, als sechs weitere magisch begabte Jungen zu finden und mit ihrer Hilfe das Schwert zu beschwören." Kein Schmerz. Teilwahrheiten zu erzählen, war also möglich. Kilian hatte sich schon so daran gewöhnt, dass Magie gleichgeschlechtlich verteilt war, dass er überrascht wurde von dem Tumult, der plötzlich losbrach.

Nicht nur die Ältesten sahen ihn alarmiert an und begannen eine hitzige Diskussion untereinander, auch hinter ihm herrschte mit einem Mal ein Stimmengewirr. Er wandte sich um und suchte nach vertrauten Gesichtern. Hinten, konnte er das rote Haar entdecken, das er gesucht hatte. Faina lächelte ihm aufmunternd zu. Er wünschte sich so sehr, seine Familie wäre hier. Da hielt Faina ihr Handy hoch und Kilian konnte Sally, Klara und Sarah und sogar Lu sehen, wie sie im Wohnzimmer auf der Couch saßen. Das war nicht dasselbe, wie sie hier dabeizuhaben, doch es beruhigte ihn trotzdem. Kilian drehte sich wieder zu den Ältesten um.

"Prophezeiung hin oder her. Die Initiationsaufgabe ist selbstständig zu erledigen", polterte Edna und ließ ihre Faust auf den Tisch krachen. Jegliche Fassade zivilen Umgangs war von ihr abgefallen und Kilian blickte in ihre wütenden Augen. Ihm wurde erneut klar, dass es hier nicht um das Schwert, nicht einmal um ihn selbst, sondern ums Prinzip ging. Edna wollte keine männlichen Hexen. "Kilian Henot wird heute sterben müssen. Ich habe gesprochen." Entsetztes Schweigen folgte Ednas Wutausbruch. Einige Momente lang traute sich absolut niemand, etwas zu sagen. Dann drang eine Stimme aus dem Lautsprecher.

"Nicht einmal ich habe meine Aufgabe ganz ohne Hilfe erledigt und die war vergleichsweise ein Kinderspiel", rief seine Schwester. Kilian fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Warum musste sie sich so in Gefahr bringen? Sein Gefühl der Vorahnung bestätigte sich, als Helena schnaubte: "Dann sterben beide Henot-Kinder!" Edna nickte. Agnes sah unschlüssig aus, aber erhob keinen Einwand.

"Wie bitte?", empörte sich Faina hinter ihm. "Ich hatte auch Unterstützung bei meiner Aufgabe. Das haben doch alle!"

"Faina Good? Willst du jetzt wirklich die Heldin spielen? Wir können beliebig viele Hexen aus dem Coven exilieren. Und diejenigen, die noch nicht fertig ausgebildet sind, müssen dann zusätzlich exekutiert werden. Willst du dieses Schicksal wirklich mit den Henot-Kindern teilen?" Helenas Stimme war fast ein Fauchen, so aufgebracht war sie. Nicht nur Agnes, sondern auch Edna blickten sie überrascht von der Seite an. "Was? Es ist doch wahr!", verteidigte sich die links sitzende Hexe und verengte die Augen zu Schlitzen.

"Wenn dieser Coven so engstirnig und penibel auf kleinsten Fehlern herumreitet und Zwist sät, statt einander schwesterlich zu unterstützen, dann will ich kein Teil mehr davon sein. Ich hatte Hilfe bei meiner Initiationsprüfung", erklärte Faina mit lauter Stimme. Kilian schloss die Augen. Nein. So hatte er sich das nicht vorgestellt.

"Ich auch", rief nun eine weitere Stimme. Überrascht drehte sich Kilian erneut um und erblickte Maya von Borcke. Mit trotzig in die Höhe gerecktem Kinn und verschränkten Armen stand sie dort und blickte ihre Großmutter herausfordern an. Ihre Mutter Larissa fasste sie grob am Oberarm und versuchte sie zurückzuziehen, doch Fainas Freundin blieb standhaft.

"Und wir wissen beide, wer mir geholfen hat, Oma", spuckte sie noch hinterher. Kilians Blick ruckte zu Edna, die kreidebleich ihre Enkelin anstarrte.

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