Traumbesuch

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Sieben Tage.

Eine Woche blieb Kilian noch, um Gram zu finden. Nun, da er den Zugang zu seiner Magie gefunden hatte, fühlte er sich zwar, als hätte er einen Schritt vorwärts gemacht, doch er wusste immer noch nicht, wohin eigentlich.

Er musste das Schwert finden, irgendwie wieder nach Hause kommen und rechtzeitig am Abend des ersten Februars vor dem Coven erscheinen. Kilian dachte an seinen kleinen Plastiksiegfried, den er als Talisman mitgenommen hatte, um wieder nach Hause zu kommen. Würde er ohne ihn überhaupt zurückfinden? Als er diese Bedenken gegenüber Moran äußerte, lächelte der alte Druide ihn milde an und brummte:

"Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wird es sich fügen."

Mehr konnte Kilian aus ihm nicht herausquetschen. Er würde Radha gerne um Rat fragen, doch sie war unterwegs in einem abgelegenen Teil des Waldes, um ihren Geist zu reinigen. Oder so ähnlich. Kilian dabei zu helfen, sein drittes Auge zu öffnen, hatte sie viel Kraft gekostet. Also machte sich Kilian erst einmal nützlich, wo er konnte und half den Druiden bei ihren täglichen Geschäften: Holz sammeln, Feuer schüren, Gemüse schälen und schneiden, kochen, spülen und so fort, bis zum Abend.

Gemeinsam mit Flynn saß er am Lagerfeuer. Sie unterhielten sich über das Leben im Einklang mit Woda, wobei Kilian auffiel, dass Flynn immer wieder zu Bryanna hinüberschielte, die etwas abseits saß und gedankenverloren Pfeile schnitzte. Es war ganz offensichtlich, dass Flynn an ihr interessiert war. Kilian musste schmunzeln. Flynn bemerkte seinen Gesichtsausdruck und Kilian konnte im Schein der Flammen sehen, wie seine Ohren rot anliefen.

Kilian nickte auffordernd in Bryannas Richtung: "Sprich sie doch an."

"Auf keinen Fall", zischte sein Gegenüber und schüttelte den Kopf. Fragend blickte Kilian ihn an. Flynn seufzte.

"Bryanna ist nicht an Männern interessiert. Sie und Radha-", sagte er schließlich und Kilian verstand.

"Oh. Das ist schlecht. Also für dich. Für die beiden ist es natürlich schön."

"Und wie siehts bei dir aus? Hat Kilian der Schwertsucher ein Mädchen?" Verschmitzt grinste Flynn ihn an.

Verlegen kratzte sich Kilian am Kopf.

"Nein. Oder doch? Ich weiß nicht so recht. Es gab einen Streit", stammelte er und spürte nun, wie er selbst errötete. Er sprach sonst fast nur mit Frauen. Mit einem anderen jungen Mann zu sprechen war - anders.

"Oh oh. Das klingt ja kompliziert. Das heißt, du musst schnell zurückkehren und diese Sache klären."

Kilian nickte. Er wusste nur noch nicht, wie er wieder nach Hause kommen sollte, doch das Bedürfnis mit Faina zu sprechen war in diesem Moment so groß, dass er bereute sein Handy nicht dabeizuhaben. Zu gern hätte er sie angerufen.

Eine Idee. Kilian hatte eine Idee.

"Ich kann zwar jetzt nicht nach Hause, aber vielleicht kann ich trotzdem mit ihr sprechen. Flynn, kannst du mir helfen?"

*

„Zwei Schüsseln, eine mit Salz gefüllt, zwei Kerzen, Räucherbündel," zählte Flynn die Dinge auf, die er zu der Lichtung gebracht hatte, wo Kilian ihm, Moran und Bryanna seine Geschichte erzählt hatte. Kilian platzierte den Krug mit Wasser und das Säckchen voller Kiesel, die er am Seeufer gesammelt hatte, auf einem der Steine.

Dann breitete er eine Decke über die kalte, leergeräumte Feuerstelle und begann mit den Kieseln ein Pentagramm zu legen, das groß genug war, dass er sich in die Mitte legen konnte.

Kilian instruierte Flynn:

"Die Schale mit dem Salz wird an die nördliche Spitze gestellt, die andere nach Westen." Flynn platzierte die Schalen und Kilian goss in die leere Schüssel Wasser aus dem Krug.

"Nun eine Kerze an die südliche Spitze. Mist!", fluchte Kilian und erntete einen fragenden Blick.

"Wir haben gar nichts zum Anzünden dabei. Diese Kerze muss brennen. Vielleicht kann ich nochmal zum Lager-" Er wurde unterbrochen, als Flynn mit den Fingern schnippte und eine kleine Flamme auf seinem Zeigefinger balancierte. Das flackernde Licht beleuchtete sein schelmisches Grinsen von unten als würde er sich eine Taschenlampe unter das Gesicht halten, um eine Gruselgeschichte zu erzählen. Natürlich. Magie. Wie konnte er das immer wieder vergessen. Und das, wenn er gerade dabei war ein magisches Ritual vorzubereiten?

"Zauberei ist wirklich eine praktische Sache", sagte Kilian nun auch grinsend und ließ Flynn die südlich stehende Kerze anzünden.

"Nach Osten wird jetzt das Räucherbündel platziert und angezündet", fuhr er fort und gemeinsam legten sie das Bündel aus getrockneten Kräutern auf einen flachen Stein. Flynn steckte es in Brand und blies dann die Flamme aus, sodass es rauchte. Ein scharfer, aber angenehmer Duft verteilte sich in der Luft und mischte sich mit dem Aroma des nächtlichen Waldes.

An der letzten freien Spitze zwischen dem südlichen und der östlichen Zacken des Pentagrammsterns stellte Kilian schließlich die zweite Kerze ab.

Als alles vorbereitet war, ließ er sich auf die Decke in der Mitte sinken und atmete tief ein und aus und betrachtete eine Weile die Sterne, während er sich auf Faina konzentrierte. Irgendwann schloss er die Augen und ließ das Rauschen des Waldes um ihn herum in den Hintergrund treten.

Kilian hatte sich viele ungünstige Zeitpunkte ausgemalt, zu denen er Faina hätte antreffen können und von all diesen den am wenigsten Peinlichen erwischt: Sie schlief in ihrem Bett. Kilian betrachtete das Mädchen, das in seinen Gedanken so viel Raum einnahm: Rote Haare, zu einem Zopf geflochten, Sommersprossen, die vollen Lippen leicht geöffnet. Sie sah jung aus. Viel jünger als sonst.

Kilian versuchte sie anzusprechen, doch sie reagierte nicht. Natürlich nicht, er war ja nur in seinem Astralkörper hier und nicht sicht- und hörbar. Wie sollte er denn nun mit ihre sprechen? Was hatte er sich dabei gedacht? Frustriert kniff er die Augen zusammen und dachte angestrengt nach.

Dann hatte er eine Idee. Kilian konzentrierte sich darauf, den Schalter an ihrer Nachttischlampe umzulegen und nach ein paar Versuchen klickte es und das Licht erleuchtete den Raum.

Doch Faina regte sich immer noch nicht.

Kilian fasste sich ein Herz, konzentrierte sich und streckte die Hand zu Fainas Arm aus. Doch statt sie einfach zu berühren, hatte er das Gefühl zu fallen und fand sich plötzlich auf einer Wiese wieder. Er blickte sich verwundert um und entdeckte Faina, die auf einer Wiese saß. Sie riss die Augen überrascht auf.

"Kilian?" Sie blinzelte mehrfach.

"Faina", entfuhr es ihm unwillkürlich. Er war so froh sie zu sehen und gleichzeitig verwirrt. Was war passiert? Wo waren sie?

"Ist das hier ein Traum?", fragte er sie, während er versuchte mehr von der Umgebung auszumachen, doch alles in der Ferne entzog sich seltsam seiner Wahrnehmung. Nur Faina und die Wiese um sie herum waren erkennbar.

"Wenn du so fragst, vermutlich schon?" Nachdenklich brummte sie und zog die Augenbrauen kraus.

"Ich bin per Astralprojektion zu dir gekommen und habe dich schlafend vorgefunden. Als ich dich wecken wollte, bin ich hier gelandet", klärte Kilian Faina auf. Doch er schien etwas Falsches gesagt zu haben. Fainas Gesicht verzog sich vor Schreck? Ekel? Er wusste es nicht genau und wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als sie ihn doch anlächelte.

"Du bist also in mein Zimmer astralprojiziert?"

Er nickte.

"Machst du das öfter?"

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