A Forest

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Obwohl ihm vermutlich bald schlecht werden würde, schaufelte Kilian noch eine Kugel Eis in seinen Mund. Lu hatte Recht. Es half irgendwie.

„Therapeutisches Eisessen!", hatte sie verkündet, als sie durch die Haustür in den Flur trat. Die Hände voll mit diversen Eisverpackungen, hatte sie ihre Sneaker von den Füßen gekickt und war in die Küche gestapft.

„Ich habe die Kuschelrocksammlung meiner Tante geplündert und die Liebesschnulzenfilme-Compilation konsultiert. Pizza habe ich für später bereits bestellt. Hier sind Taschentücher."

Kilian hätte gern versucht sie abzuwehren, doch er wusste, dass er keine Chance hatte. Lu hatte einen festen 5-Punkte-Plan gegen akuten Liebeskummer. Und im Gegensatz zu den letzten zwei Malen, wo sie dieses Ritual mit ihm durchexerziert hatte, fühlte er sich  tatsächlich so, als könnte er es gebrauchen.

Ryan Gosling und Emma Stone tanzten gerade frischverliebt und irgendwie bereitete es ihm heute ein grimmiges Vergnügen zu wissen, dass ihre Liebe scheitern würde.

„Eiscreme, Liebesfilm, schnulzige Songs, Taschentücher - Brüderchen, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, du hättest Liebeskummer? Aber dann würde es auch Pizza geben." Selena ließ sich neben ihm auf die Couch fallen und füllte sich eine Schale mit Eis.

„Boah, ich liebe diesen Film, aber das Ende ist furchtbar", stöhnte sie und blickte zu Kilian und Lu hinüber. Ihre Augenbrauen verschwanden in ihrem Haaransatz, als sie sah, dass Kilian Lu gerade den Mund zuhielt.

„Ich würde ja fragen. Aber meine Erfahrung mit euch beiden lehrt mich, dass ich es vermutlich nicht einmal wissen will", seufzte Sally und wandte den Blick eislöffelnd wieder dem Fernseher zu.

Kilian zog schmerzerfüllt keuchend seine Hand weg, nachdem Lu hineingebissen hatte. Feste.

„Was sollte das?", zischte sie ihn argwöhnisch an.

„Psht!", zischte er zurück und nickte mit dem Kopf in Richtung seiner Schwester. Lu schlug sich vor die Stirn. Sie schien selbst erschrocken über das laute Klatschen, das dabei entstand und rieb sich den roten Fleck, den der unsanfte Kontakt mit ihrer Hand hinterlassen hatte.

Kilian beäugte die Reaktion seiner Schwester, doch diese zog lediglich eine Augenbraue hoch, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden.

Als die letzte Klaviernote des Films verklungen war, drehte Sally sich schließlich zu ihm um und fragte:

„Also du und Faina Good, ja?

Kilian blickte ertappt auf seine Füße.

„Ich habe versucht dich zu warnen."

„Ich weiß", murmelte er verlegen.

„Vielleicht hätte ich dir erzählen sollen, weshalb ich dich warne. Spätestens als ich euch auf dem Friedhof erwischt habe. Aber da war es vermutlich schon zu spät?"

Kilian nickte.

„Sie ist einfach nicht mehr dieselbe, seit es passiert ist." Sally lächelte betreten.

Kilian hob verdutzt die Augenbrauen. Es? Passiert? Gleichgeschlechtliche Liebe war doch nichts, was „passiert".

„Ich bin mir nicht sicher, ob ihr von derselben Sache sprecht", warf Lu ein. Sally runzelte die Stirn.

„Was wisst ihr? Dann kann ich euch erzählen, was ich weiß." Seine Schwester sah die beiden prüfend an.

„Naja. Sie hat mit Maya von Borcke rumgemacht, als ich sie gestern besuchen wollte", Kilian sprach es schnell aus, damit es raus war.

„Oh. Das muss wirklich - unangenehm für dich gewesen sein." Sally stockte zwischendurch. Kilian war einfach froh, dass sie nicht lachte.

„Und, was ist das, was ,passiert' ist?", fragte er schließlich, als seine Schwester nicht weitersprach.

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