Kapitel 3 [überarbeitet]

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Ich schlief den Rest der Nacht unruhig und war mehr wach als am Schlafen. Noch einmal einen solchen Traum hatte ich nicht, aber jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, hatte ich Angst wieder an diesen Ort zurück zu kehren, an dem die vielen Menschen tot auf dem Waldboden lagen, oder aber ich sah wieder mich und wie ich an mir herabblickte und diesen seltsamen Anzug auf meiner Haut spürte.

Mum bemutterte mich als sie am nächsten Tag sah was für Augenringe ich hatte, aber ich zwang mich dazu so fröhlich zu gucken wie es nur möglich war und schminkte später so gut es ging alles weg, dass meine anstrengende Nacht und meine Schlaflosigkeit verriet.

Ich hatte nicht vor heute in die Schule zu gehen, auch wenn ich vielleicht so tat als ob. Ich ging mit meinem Ranzen aus dem Haus, doch darin befanden sich alles andere als Schulsachen. Stattdessen hatte ich mir eine Kaffeekanne mitgenommen, meine Zeichensachen und etwas zu essen. Calum hatte ich die Spiegelreflexkamera stibitzt, in der Hoffnung er würde es nicht merken. Mein einziges Problem war bei meinem Plan jedoch der andere Zwilling. Wir gingen normalerweise immer zu dritt zur Schule, doch Calum schrieb eine Klausur und musste deswegen früher los. So blieben wir beide übrig, und ich hatte wirklich keine Ahnung wie ich ihn loswerden konnte. Jegliche Ausreden von wegen das ich später los musste oder einen Umweg gehen wollte wurden direkt von ihm zerschlagen.

Letztendlich lief es darauf hinaus, dass sich Harry an mich heftete. So gingen wir zusammen in die entgegengesetzte Richtung, als es unser Schulweg verlangt hätte.

***

Eine halbe Stunde später strichen wir schweigend nebeneinander her durch den Wald. Meine Tasche war schwer durch die ganzen Bücher und bald tat mir der Rücken weh, doch ich beklagte mich nicht. Das Einzig wirklich blöde war die pochende Wunde an meinem Bein.

Ich wusste nicht wie ich die Stille zwischen uns interpretieren sollte. Emmas Auftreten am gestrigen Tag hatte etwas bewirkt, das ich so noch nicht fassen und beschreiben konnte, genauso wusste ich nicht ob es nun positiv oder negativ war. Ich traute mich aber auch nicht etwas zu sagen. Seit jeher ging ich Konflikten so gut es ging aus dem Weg.

Die Kälte legte sich um uns wie ein Tuch. Ab und zu versuchte ich sie abzuschütteln, doch sie streckte ihre Finger alsbald wieder nach mir aus, und so akzeptierte ich dann das Frösteln auf meiner Haut.

Nach etwa einer halben Stunde – wir waren längst vom Weg abgekommen – sah ich in etwa hundert Meter Entfernung eine kleine Lichtung. Sie war umrundet von Tannen und in ihrer Mitte war alles mit Moos bewachsen. Zielsicher ging ich darauf zu, nicht darauf achtend ob Harry mir folgte. Dort angekommen setzte ich mich im Schneidersitz auf den feuchten Boden. Von oben herab spürte ich den seltsamen Blick von Harry. Ich seufzte.

„Mir geht es gut", klärte ich ihn etwas genervt auf und wandte meinem Blick ihm zu. Mit verschränkten Armen musterte er mich. Dann nickte er in Richtung des Rucksacks.

„Was ist da drin?", fragte er. Ich verengte die Augen zu zwei Schlitzen, zog den Reißverschluss jedoch auf und holte die Kaffeekanne heraus.

„Diane, was soll das?", sagte Harry und setzte sich mir gegenüber auf seine Regenjacke. „Wofür schwänzen wir hier gerade die Schule?"

„Du hättest ja nicht mitkommen müssen", antwortete ich bissig und verstaute die Kanne wieder in dem Rucksack.

Ganz ehrlich gesagt wusste ich selbst nicht was ich hier wollte. Ich wusste nur, dass ich irgendwie herausfinden musste was hier passierte, denn etwas stimmte momentan nicht.

„Irgendetwas geht hier gerade vor", ließ ich mich jetzt endlich auf Harry ein und beugte mich zu ihm nach vorne.

„Und es nervt mich, dass ich die Einzige bin die nicht weiß, was."

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt