Kapitel 43 [überarbeitet]

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Auf dem Rückweg in den Süden war es still. Hunter und Serena wichen nicht von unserer Seite und irgendwann trafen auch die anderen Träger auf uns. Sie ritten auf großen Hirschen mit enormen Geweihen und ritten mit einer solchen Erhabenheit neben uns her, dass es mich fast einschüchterte. Früher hätte es das sicherlich getan, mich eingeschüchtert. Doch als nachdem ich mir bewusst darüber war, dass keiner von ihnen vor mir ritt, sondern ich die Spitze bildete beruhigten sich meine wirren Gedanken ein wenig. Ich folgte nicht ihnen. Sie folgten mir.

Ich war mir sicher, dass Hailey verstanden hatte. Ihr Blick, ihre prüfenden Augen, hatten sich auf mich gelegt und eine ganze Weile nicht mehr losgelassen. Doch ich war nicht in der Lage gewesen zu reden, nicht mir ihr, nicht mit Flynn, mit niemandem.

Die kleine Tinktur in der Tasche meines Umhanges schien mich auf den Boden ziehen zu wollen. Unfassbar schwer lag sie in dem Stoff, verborgen vor den Augen meiner Begleiter. Das Gedicht über die Bibliothek hingegen schien leicht wie eine Feder.

Oanahs Worte machten mir Angst, auch wenn ich mir das nicht eingestehen wollte. Sie hatte mir vor Augen geführt, dass die Prophezeiung eventuell nicht das war, was ich in ihr sah. Pure Hoffnung. Viel mehr war es eine dunkle Geschichte mit einem Ende, das ich nicht wahrhaben wollte. Ich war nicht bereit zu akzeptieren, dass niedergeschriebene Worte unser aller Schicksal bilden würde, doch ich musste verstehen, dass sie momentan unser einziger Weg war ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen. Die Seherin war intelligent. Sie spielte mit der Geduld ihrer Gäste, der Freundschaft mit Serena und den Gestalten, die sie annehmen konnte, aber trotz all ihren Spielen war ihr bewusst, was auf dem Spiel stand.

Irgendwann, als wir den Schnee größtenteils hinter uns gelassen, trat Serena zu mir. Ich war gerade dabei gewesen, Claras und mein Lager aufzubauen, als sie sich mit nachdenklichem Gesicht neben mich setzte und mir schweigend zusah. Nach einigen Minuten seufzte ich laut und genervt auf, fuhr zu ihr herum und fuhr sie an, weswegen sie mich beobachtete.

„Ich mache mir Sorgen", sagte sie. „Was hat Oanah Euch gesagt, während wir draußen warteten?"

„Wusstet Ihr über Flynn Bescheid?", antwortete ich mit einer Gegenfrage und sah meine Trainerin leicht zusammenzucken. „Also ja." Kopfschüttelnd sah ich hinab auf die Decken zu meinen Füßen, sah Clara im Augenwinkel, wie sie sich auf den Boden gesetzt hatte und uns beobachtete.

„Ich wusste, dass Myronel ein zweites Kind hat. Ich war mir nie darüber bewusst, dass es Flynn sein würde. Ihr habt mir nie davon erzählt, dass er während des Baumlesens die Bilder kontrollieren konnte." Ich antwortete nicht. Ich hörte Oanah wieder in meinem Kopf, wie sie in dieser männlichen Stimme zu mir sagte, dass das Baumlesen doch nur eine andere Art der Traumkontrolle war.

„Serena", setzte ich an, als sich die Urwäldlerin gerade erhoben hatte. „Ich bin nicht sauer. Ich verstehe nur nicht, was vor sich geht. Was ist, wenn ich nicht die Flamme bin? Wenn sich alles auf mich stützt aber in Wirklichkeit..."

„Ich verspreche Euch", unterbrach Serena mich. „Ihr seid die Flamme. Was ich nicht weiß ist, was Flynn für eine Rolle spielt. Vielleicht keine. Vielleicht eine größere, als wir ahnen können. Aber Ihr seid es und Ihr solltet aufhören an Euch zu zweifeln, denn wenn Ihr beginnt Euch nicht als das zu sehen was Ihr seid, wer soll es dann tun?"

Das war die einzige Unterhaltung, die ich innerhalb einer Woche geführt hatte. Clara und ich wechselten immer wieder ein paar Worte, doch die meiste Zeit war auch das kleine Mädchen vor mir still, beobachtete wachsam die Umgebung und nickte ab und zu im regelmäßigen Trott des Tieres unter uns ein. Doch ich wusste, dass ihr Schlaf nie lange anhielt. Viel zu schnell breiteten sich die Alpträume wieder in ihre aus und rissen sie zurück in die gleiche Grausamkeit der Gegenwart. Doch wenigstens war sie dort nicht alleine.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt