Zwei Tage nach unserem Trainingsbeginn und Calums Verstecken besuchte ich meinen Bruder im Wald. Ich landete einige Meter vor der Felswand und lief dann in Richtung der Höhle. Alessio kam sehr bald daraus hervorgetreten, groß und mit böse blitzenden Augen. Als er mich erkannte entspannte sich jedoch seine Haltung langsam und er lief in Richtung Fluss.
Calum trat ein paar Minuten später aus dem Dunkel der Höhle. Ich hatte mich an einen Stein gesetzt und für einen Moment die Augen geschlossen. Die Sonne schien warm vom Himmel, ungewöhnlich für die Jahreszeit. Nur ein leichter Wind kühlte die Lufttemperaturen ein wenig ab, was die dünnen, aber windundurchlässigen Umhänge der Waldläufer unersetzlich machte.
„Hey." Calum lächelte mir schwach entgegen und ich stand auf, um ihn in den Arm zu nehmen. Er war dünner geworden in den letzten Wochen, so wie Emma. Doch wo meine Schwester durch ihr zwanghaftes Training an Muskeln gewonnen hatte, hatte Calum seine nur verloren. Früher, in unserem alten Leben, war er wie Harry sehr sportlich gewesen, ging joggen, fuhr Fahrrad und war ein Mitglied in einem Karate Verein. Kaum jemand hatte dem dunkelhaarigen Jungen mit den hellen Augen das Wasser reichen können, der schon mit fünf Jahren angefangen hatte zu trainieren.
Doch nun war er nur noch ein Schatten seiner selbst.
Als wir uns voneinander lösten ließ ich all diese Gedanken fallen, doch es blieb ein kleiner Funken von Schuld in mir, der unaufhörlich glühte. Ich drehte mich um und hob eine große Stofftasche vom Boden, die ich mitgebracht hatte. Wortlos stand Calum daneben und beobachtete mich, wie Essen und Kleidung draus hervorzog und sie ihm gab.
„Danke", sagte er nur und hängte sich die Mäntel, Hosen und Shirts über den dünnen Arm. Die ledernen Beutel mit dem Essen hingen an seinen Fingern.
„Ich habe da noch etwas", sagte ich vorsichtig. Die Stimmung zwischen uns war seltsam. Ob er es mir übelnahm, dass ich ihn bei einem Bären im Wald versteckte? Dass ich nicht die ganze Zeit über bei ihm sein konnte? Was würde geschehen, wenn er erfuhr, dass ich fortgehen würde?
Themba und ich hatten noch einen Tag vorher in meinem Baumhaus über all das gesprochen, während ich die fließenden Übungen wiederholte die der Seher mir beigebracht hatte. Wir hatten beide wiederholt festgestellt, dass mich alle, die mich unterstützten, davon überzeugen wollten das Dorf zu verlassen. Im gleichen Atemzug jedoch war klar, dass ich noch warten musste. Ich konnte nicht gehen und ein Dorf zurücklassen, in welchem sich die Waldläufer gerade erst wiederfanden. Ich bekam selbstverständlich mit, dass es langsam ein Umdenken gab, wobei ich dabei nicht ganz unbeteiligt war. Ich selbst stellte fest, dass ich damit begann mir Sorgen um die hier lebenden Menschen zu machen. Bree, Clara, meine Freunde, der Blättersammler, der entgegen all seiner Bestimmungen den ersten Schritt gemacht und gefragt hatte, ob er mit uns trainieren dürfe. Nach ihm waren noch mehr gekommen, sodass wir mittlerweile fast eine Zwölfköpfige Gruppe waren. Die Meisterin hatte darauf noch nicht reagiert, was mir zwar Sorgen bereitete, jedoch nicht meinen Tatendrang schwächte.
Themba war auf den Schluss gekommen, dass nicht wir beide gleichermaßen im Dorf bleiben mussten. Zwar waren wir mittlerweile ein eingespieltes Team, darauf achtend, dass wir immer zu zweit irgendwo hinkamen, doch sie hatte Recht. Ich hatte zurück gedacht an das Erlebte und an die Begegnung mit den vier Waldgeistern gedacht. Mittlerweile hatten meine Nachforschungen ergeben, dass die Waldläufer so die zehn Tiere nannten. Sie waren längst verschollene, teils vergessene Geister, die für vier verschiedene Charaktereigenschaften standen. Die Schlangen waren das Symbol der Geschicklichkeit. Sie waren Könner auf ihrem Gebiet, Spione die keiner sah, geschweige denn hörte. Die Füchse symbolisierten die Weisheit. Sie waren die Denker, handelten später als die anderen Tiere und standen für Reichtum an Wissen. Die Adler, drei an der Zahl, waren der Mut. Sie stiegen hoch in die Lüfte, hatten enormen Weitblick und regierten ihre Welt mit Durchsetzungsvermögen und enormer Kraft. Der Adler als Zeichen wurde gerne verwendet für die Krieger und während der Zeremonien der Waldschauer und Blätterkrieger aufgegriffen. Sie galten bei diesen Waldläufern als Leitbilder, als Tiere des Sieges.
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Die Waldläufer
FantasyMein Name ist Diane. Ich erzähle eine Geschichte, die mir niemand glauben wird. Kein Mensch zumindest. Ob du es tun wirst, weiß ich nicht. Das werde ich auch nicht herausfinden, denn ich schätze, wir werden uns niemals persönlich treffen. Aber n...