Kapitel 51 [überarbeitet]

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Flynn und ich richteten uns langsam auf, zitternd. Meine Tränen konnten nicht versiegen, immer weiter rollten sie mir über die Wangen. Ich drehte mich um. In der Ferne saß Calum neben dem toten Körper unserer Mutter. Ich konnte sehen, wie sich seine Mund zu schreien verzog, immer und immer wieder, doch ich hörte ihn nicht. Neben ihm Elijah, die Augen aufgerissen und in den Himmel starrend.

Neris' und Waldläufer fielen in mein Blickfeld. Ich konnte mich nicht rühren, kein Muskel konnte arbeiten, kein Gedanke blieb haften. Da waren Wörter in meinem Kopf, ganz sicher, ich hörte sie. Aber Gestalt annehmen tat keiner von ihnen.

Hinter mir kniete Hailey neben unserer toten Freundin. Gabriel trat langsam neben mich. Er sah mich nicht an, sagte nichts. Er stand einfach nur da, neben mir, schaute auf das Chaos, dass sich vor uns bot. Jemand hatte damit begonnen Steine zur Seite zu rollen und die Frauen und Kinder wieder auszugraben, die unter Erebus Magie begraben worden waren. Ihre Finger rissen an dem Gestein, neue Wunden, neues Blut. Ihre Haut war verbrannt, aber die Überlebenden wollten zu ihren Familien.

Ich sah, wie Emma auf mich zulief. Ihre braunen, kurzen Haare wehten im Wind, sie humpelte und hielt sich den Oberkörper, schützend, damit keiner der durch den Wald laufenden Krieger gegen ihre gebrochenen Rippen stieß. Auch ihre Haut war verbrannt, ich konnte sie sehen, die Brandblasen und das Wundwasser, dass aus den aufgeplatzten Blasen an ihren nackten Armen rann. Ihre Stirn blutete. Doch sie hielt sich aufrecht, Ava hinter ihr, lief auf mich zu und stoppte nicht einen Moment.

Ich sah das Messer auf sie zufliegen und begriff im Bruchteil einer Sekunde, dass der Krieg noch nicht gänzlich gewonnen war. Ich schrie, doch auch Ava hatte die heranfliegende Waffe bemerkte. Sie sprang, hob ihren Arm. Die Klinge drückte sich durch ihre Haut und in den Knochen, fuhr durch das Fleisch als ob es nichts wäre. Emma zuckte zusammen, drehte sich um, doch Ava hatte die Waffe bereits wieder herausgezogen und zurückgeworfen, traf den Neris' genau in die Brust.

Sie werden kommen, hatte Elijah gesagt. Sie werden kommen.

Ja, sie kamen. Es waren die Neris', die noch immer weiter für ihre Überzeugungen kämpften, die Gelben ihre Fußsoldaten. Und sie wussten alle, jeder einzelne von ihnen, dass sie den schwarzen Tod in sich trugen. Sie würden ihn fortragen können, so wie es immer der Plan gewesen war und sie würden das fünfte Volk der Erde vernichten mit ihm.

Emma erreichte mich und zog mich in ihre Arme, doch ich konnte nicht reagieren. Ich konnte nicht meine Arme heben, nicht die Liebe erwidern, die sie mir entgegenbrachte, nicht die Erleichterung spüren über die Tatsache, dass sie Waldläuferblut in sich trug. Nein, wie ein Niemand stand ich da und wartete darauf, dass sie mich losließ.

Die ersten Waldläufer erreichten den Stein, um zu den Untergründlern zu erreichen, doch mit der Erkenntnis darüber, dass der Tod noch immer auf uns lauerte, schob ich Emma beiseite und richtete meine Hand auf den großen Stein. Efeu wuchs empor, umschloss ihn und wuchs um ihn herum, festigte ihn in die Erde. Die danach folgende Druckwelle schleuderte alle Waldläufer fort und entblößte die Neris' unter ihnen, die jeder übersehen hatte.

Ich sah zurück auf Calum. Ich hatte seinen Blick auf mir gespürt, seinen stechenden, hasserfüllten Blick. Tränen stiegen in meiner Kehle hoch. Ich konnte den Krieg überleben, den Tod austricksen und alle Seelen aus meinem Seelenband verlieren, doch ich würde seinen Hass nicht verkraften, dessen war ich mir sicher.

Mum war gestorben und ich hatte es nicht verhindern können. Das vor mir war nicht mehr unsere Mutter gewesen. Mit dem Moment, mit dem sie das Seelenband angelegt hatte, war sie gestorben. Ich wusste es, Alexis' wusste, jeder, der in diesem Moment auf der Lichtung gewesen war. Doch Calum war nicht da gewesen.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt