Kapitel 6 [überarbeitet]

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Wir rannten um unser Leben. Unsere Herzen klopften gegen den Brustkorb als wollten sie daraus hervorspringen. Mein Atem pfiff, während ich hinter meiner Schwester durch die morgendlichen Gassen rannte. Sie war schneller als ich, ihre Bewegungen flinker. Aber ich verlor sie nie aus den Augen.

Die Orientierung hatte ich bald verloren. Wenn man sich einzig und allein auf das Laufen konzentriert, dann verschwinden irgendwann alle anderen Gedanken und Gefühle. Das Einzige was Wichtig ist, ist das Adrenalin im eigenen Körper und das Bewusstsein darüber, wie man seine Beine zu bewegen hat.

Ich hörte Schritt hinter mir, wagte es aber nicht mich umzudrehen. Erst als eine stinkende Hand meine Schulter berührte und ich erschrocken aufschrie, drehte ich mich um. Die aufgerissenen, bösartig blitzenden gelben Augen die ich sah, erschraken mich so sehr, dass ich stolperte und fiel. Emma, die meinen spitzen Schrei gehört hatte, drehte sich um und kam zurückgerannt. Auf dem Weg griff sie nach einem am Boden liegenden Stein und schlug damit auf die Kreatur. Diese verlor keinesfalls das Bewusstsein, aber sie ließ für einen kurzen Moment von mir ab. Das reichte, um Emma und mir um uns wieder einen Vorteil zu verschaffen.

„Wir müssen in den Wald!", rief ich verzweifelt und deutete auf die in der Ferne zu sehende Baumspitzen. Emma wollte antworten, lief jedoch fast in einen alten Mann der uns überrascht anblinzelte.

„'Tschuldigung!", rief meine Schwester und lief sofort weiter. Verdattert sah er uns hinterher.

Erst zu spät wurde mir bewusst, dass der Mann ebenfalls in Lebensgefahr schwebte. Sekunden später stoppte ich abrupt, sodass die ganze Wucht von meinen sowieso schmerzenden Knien abgefedert werden musste.

„Verdammt, Diane, was tust du?", schrie Emma, nicht darauf achtend ob uns Leute hören könnten. Ich drehte mich um und sah mit Schrecken was ich erwartet hatte. Der Alte, der sich mit schüttelndem Kopf wieder in die entgegengesetzte Richtung aufmachte, lief genau in die Richtung, aus der wir gekommen waren – in die Arme der beiden Gelben.

Ich wollte schreien, rufen, zu ihm rennen, aber nichts davon hätte etwas gebracht und mein Körper war nicht in der Lage etwas zu tun. Der Mann, der erst in der letzten Sekunde nach oben schaute, schien die Gelben erst zu bemerken als sie ihn bereits erreicht hatten und festhielten. Blitzschnell zog einer ein Messer und hielt es an die Kehle des Mannes.

„Nein!" Meine Stimme klang schrill und verzweifelt, ich wusste erst gar nicht, dass ich es war die gerufen hatte. Mit einem bösartigen Lächeln drückte die Kreatur die Klinge fester an die Haut des Mannes und schnitt ihm ohne lange zu zögern die Kehle auf.

Ich übergab mich auf den Asphalt vor mir während Emma entsetzt schrie. Aus dem Augenwinkel sah ich wie ein Fenster auf ging und jemand weiteres ähnliche Geräusche von sich gab wie wir. Als ich hoch blickte sah ich in die großen Augen einer korpulenten Frau, der Metzgerin unserer Stadt. Diesmal begriff ich schneller. Die Gelben, die sich seltsamerweise noch nicht von ihrem Platz gelöst hatten, lachten und spuckten, sie machten sich ganz klar über die Situation und den toten alten Mann lustig. Doch die Frau sah gar nicht in ihre Richtung. Ihr Augenmerk lag auf uns, als ob wir diejenigen gewesen seien die den Mann umgebracht hatten. Wie in Zeitlupe schlich ich Schritt für Schritt zurück zu Emma. Ich hörte sie weinen.

„Wir müssen hier weg", sagte ich vorsichtig. „So schnell es geht."

Ich sah wie meine Schwester Luft holte, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Sie kann sie nicht sehen, Em. Wir sind die Einzigen in dieser Straße und wir sehen nicht gerade vertrauenswürdig aus."

Meine Schwester verstand schnell was ich da sagte. Vollkommen verhetzt, voller Schweiß, dreckig, standen wir vor der noch warmen Leiche eines Mannes, der nur seine Brötchen hatte holen wollen.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt