Kapitel 35 [überarbeitet]

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Obwohl die Luft draußen immer kühler wurde und den Winter ankündigte, war es in den Höhlen mollig warm. Waldläufer liefen mit Fackeln umher, andere trugen kleine Gläser mit Glühwürmchen.

Die Waldläufer warfen mir immer wieder böse Blicke zu wenn sie dachten, dass ihr Anführer sie nicht sehen konnte. Ich wusste, dass er es tat. Ab und zu hob er seinen Blick und wandte sich zu einem seiner Krieger um. Dann sahen sie schnell fort und verschwanden in einem der Gänge. Nie jedoch sagte der junge Mann etwas gegen sie. Viel zu sehr konnte er die Wut gegen mich verstehen, und war ich ehrlich zu mir selbst, tat ich es auch. Im Kampf gegen Tikra waren zu viele Waldläufer durch meine Hand gestorben – und Neris' oder nicht, jeder von ihnen war ein Teil einer Familie gewesen.

Meine Beine hatten unter der Erde wieder angefangen zu zittern, doch meine Atmung und meinen Herzschlag hatte ich gut unter Kontrolle. Bevor ich mich jedoch auf den Weg zur Krankenstation machte, sah ich mich nach Clementine um. Mein nächstes Vorhaben konnte ich nur mit ihr gemeinsam umsetzen.

Ich entdeckte sie im Schatten der großen Hauthöhle eines ihrer Messer schärfen, langsam und behutsam, als würde sie es mit einem Tier zu tun haben. Ihre magere Gestalt war kaum zu erkennen, ihr schmales Gesicht bemalt mit einem Muster, das ich aus der Ferne nicht erkennen konnte.

„Ich möchte mit Tikra sprechen", sagte zu Flynn und blieb stehen. Er zögerte einen Moment, nickte aber dann.

„Theoretisch gesehen ist er auch dein Gefangener. Trotzdem gebe ich dir nur einen Besuch." Ich verstand schnell, dass das nichts damit zu tun hatte, dass der Neris in seiner Gefangenschaft lebte. Nein, viel mehr würde er ihn bestrafen. Ich schüttelte nur den Kopf und fragte mich, wann das Töten der eigenen Leute endlich aufhören würde.

„Ich werde Clementine mitnehmen. Wenn sie möchte", schob ich hinterher, als ich Flynns misstrauischen Blick sah. Doch wieder nickte er nach einigem Zögern.

„Ich werde in der Krankenstation warten. Hailey hat nach dir gefragt."

Nachdem Flynn in einem Gang verschwunden war von dem ich wusste, dass er nicht zur Krankenstation führte, schob ich den Gedanken seines Zwischenziels schnell beiseite und lief auf Clementine zu. Als ich näher kam konnte ich endlich erkennen, was dort in ihrem Gesicht gemalt war. Es handelte sich um ein Mandala, eine dunkle, mit dünnen Strichen aufgetragene Zeichnung. Filigran wanden sich die schwarzen Linien durch ihr Gesicht und liefen dann an ihrem Hals herab. Staunend betrachtete ich sie.

„Wie lange hält das?", fragte ich sie und blieb über ihr stehen. Ihre braunen Augen blickten hoch zu mir, nicht überrascht, viel mehr fragend nach dem eigentlichen Grund meines Erscheinens.

„Eine Woche, vielleicht zwei", antwortete sie. Ihr Blick war ernst. Woran auch immer sie gedacht hatte, es waren düstere Gedanken gewesen die sie plagten.

„Was kann ich für Euch tun, junge Meisterin?", fragte sie stirnrunzelnt und begann wieder damit, langsam den Schleifstein über die Klinge ihres Messers zu schieben. Das Geräusch verursachte mir Gänsehaut.

„Ich habe es herausgefunden", sagte ich nach kurzer Überlegung.

„Was", fragte die Kriegerin ohne wirklichen Frageton. Nüchtern musterte sie meine unauffällige Kleidung, bevor sie wieder zu mir hochsah.

„Wisst Ihr, wenn mein Vater Euch beschrieb, dann ward Ihr immer in bunte Kleidung gehüllt."

Gekonnt ignorierte ich ihren Ablenkungsversuch. Ich war nicht darauf aus ihr zu erklären, wie mein Leben im Hauptdorf gewesen war. Ich war jemand anderes gewesen, dort, im Mischwald unter der warmen Sonne des Südens und mit Gedanken, die ich erst noch ordnen musste. Jetzt war ich eine Kriegerin, die dunkle Kleider und dicke Umhänge bevorzugte.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt