Kapitel 16 [überarbeitet]

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Ich besuchte John auf meinem Weg zurück zu meinem Baumhaus im Krankenhaus. Wir redeten drei Stunden lang und ich erzählte ihm von allem was passiert war. Zuerst hörte er einfach nur still zu, sein nicht verbundenes Auge auf mir ruhend. Der sumpfige Grünton, der im schwachen Licht der zwei Kerzen auf seinem Nachttisch fast braun erschien, wirkte irgendwie beruhigend auf mich. Ceppus Worte, dass ich John vertrauen konnte, veranlasste mich dazu, ihn von vielen meiner Gedanken zu erzählen. Dem Gefühl des Alleinseins, der Verzweiflung darüber wie ich meine Kräfte zu kontrollieren hatte, einfach allem was mit meinem neuen Leben einherging. Und er, er hörte einfach nur zu, ließ den Schwall meiner Worte auf sich einregnen, nickte ab und zu und unterdrückte die Gähner, die ihn hin und wieder einholten.

Dann, spät am Abend, erwischte mich eine der Waldläuferinnen, die hier als Ärzte stationiert waren. Das Krankenhaus war das Einzige, welches unter der Erde lag, weswegen in der untersten Etage nur das leichte Flackern der Kerzen Licht spendete. In der oberen Etage war eine Glasfront eingebaut worden, von der aus man hoch in den Wald und Himmel sehen konnte. Ich erinnerte mich noch gut daran wie ich nachts dagelegen und in die Sterne geblickt hatte.

Die Schwester verscheuchte mich, doch ich überredete sie dazu mir noch eine halbe Stunde mehr zu geben. John willigte natürlich ein und so durfte ich noch ein wenig bleiben.

Auch der dunkelblonde Junge vor mir verlor ein paar Worte. Er erklärte mir beispielsweise, dass Brees tatsächlicher Grund, Clara nicht zu den Sterndeutern zu geben, der war, dass sie der oberen Schicht der Waldläufer misstraute.

„Viele von uns denken, dass wir schon längst von Spionen der Gelben infiltriert worden sind", flüsterte er so leise, dass nur ich es hören konnte.

„Unser Problem ist, dass wir ihre Ziele nicht kennen und so auch nicht unterscheiden können wer von seiner Meinung her zu ihnen passen würde oder nicht."

Die Sterndeuter jedoch, so erklärte er mir weiter, waren schon seit vielen Jahren unglücklich mit dem Werdegang der Waldläufer und ihrem eigenen Stellenwert. Die Waldläufer verloren immer mehr an der Magie, die sie von dem alten Volk geerbt hatte. Das alte Volk, so meinte er, sei voll gewesen mit Leuten, die gezaubert hätten wie die Götter der Menschen. Doch mit der Zeit verblasste diese Magie, der Zauber verschwand, und übrig blieben nur die Sterndeuter und die Baumleser, die eine beträchtliche und wichtige Magie hatten. Die Sterndeuter, ebenfalls immer weniger werdend, seien deswegen der Meinung, sie hätten mehr Zuspruch und Gewalt innerhalb der Politik des Waldes verdient. Im Großen und Ganzen, so fasste ich es mir zusammen, war es also ein altbekanntes Problem – die Einen dachten sie wären besser als die Anderen und wollten deswegen mehr Macht.

Darüber dachte ich noch eine Weile nach, während John langsam in den Schlaf sank. Er hatte Schmerzen, das sah ich. Versucht unauffällig hatte er sich eine von den Tabletten ins Wasser getan, die die Heiler ihm zur Schmerzlinderung gegeben hatten. Kurz darauf war er sehr müde geworden und dann eingeschlafen.

Ich beobachtete den Jungen und dachte zurück daran wie er ausgesehen hatte, bevor ich ihm die Haut von den Knochen gebrannt hatte. Das Gift des Efeus hatte sich aus der Pflanze gelöst und ihn als grelle, klebrige Masse angegriffen. Wie Feuer musste es gewesen sein, heiße Säure die sich in das Fleisch fraß. Immer wieder suchte ich verzweifelt nach dieser Erinnerung, doch ich fand sie nicht, und das war etwas, dass mich zutiefst traf. Ich wollte mir verzeihen, mir einreden, dass es nicht meine Schuld war und dass es dazu hatte kommen müssen. Doch das alles ging nicht. Selbst der einfache Gedanke, dass ich John und er mir verziehen hatte, wurde gestört durch die Verzweiflung darüber, dass ich mich nicht daran erinnerte was ich ihm angetan hatte.

Als die Waldläuferin kam um mich abzuholen bemerkte ich erst an ihrem überraschten Gesichtsausdruck, dass mir eine Träne über das Gesicht gelaufen war. Sie lächelte mich traurig an und streckte mir ihre Hand aus. Ich ergriff sie und sie zog mich auf die Beine, blieb jedoch noch einen Moment lang stehen und betrachtete ebenfalls den schlafenden Jungen vor uns.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt