Kapitel 52 [überarbeitet]

188 25 2
                                    

„Ich hoffe sehr, du hast nicht die ganze Nacht so verbracht", hörte ich eine laute Stimme in meinem Ohr. Ich fuhr auf, den Stuhl weit hinter mich schmeißend, bereit, mich zu verteidigen. Serena, die mit meiner Bewegung ebenfalls in Kampfstellung gegangen war, fluchte laut.

„Bei allen Waldgeistern, beruhigt Euch!", rief sie aus.

„Was schleichst du dich auch so an!", schrie ich sie wutentbrannt an und entspannte mich ein wenig. Entschuldigend sah die Urwäldlerin mich an.

„Ich werde es nicht wieder tun", sagte sie und ließ ihre gesenkten Fäuste sinken. Kurz herrschte Stille zwischen uns. „Ich bin hergekommen, um nach Euch zu sehen", sagte sie dann endlich. „Man hat mich kaum hereingelassen."

„Ich hörte, dass sich viele Besucher vor meiner Tür sammeln", sagte ich und wandte mich von Serena ab. Ich schob die Blätter, auf denen ich heute Morgen endlich eingeschlafen war, zusammen und schob sie zurück in die Schublade. Doch Serena hatte sie gesehen. Sie griff trotz meines Protestes nach einer Zeichnung und hob sie hoch.

Ich schluckte schwer, während auch ich noch einmal darauf sah. Ich erinnerte mich, wie mir die Tränen ohne jegliches Geräusch durchs Gesicht liefen, während ich das zeichnete. Ich war nicht in der Lage gewesen sie zu stoppen, noch, das Zeichnen zu unterbrechen.

Serenas braune Augen glitten über die Hand, die in den Wald hineingriff, als wollte sie nach etwas greifen. In der Ferne waren Schatten zu sehen, die sich langsam in den Himmel hoben und über ihnen, hinter den kargen Ästen der Bäume, leuchtete das Universum. Zwischen den Pflanzen standen Waldläufer, doch sie waren verwischt, verschwanden vor den Augen des Betrachters, ohne dass dieser ihre Gesichter erkennen konnte.

„Ich wusste nicht, dass Ihr zeichnen könnt", sagte Serena leise und tiefe Trauer sprach aus ihrer Stimme. Sie war nicht dabei gewesen, als es passiert war, war auf dem Hügel geblieben und hatte die Bibliothek beschützt.

Ich nahm Serena die Zeichnung aus der Hand und ließ sie ohne Kommentar in der Schublade verschwinden, größtenteils wohl, weil ich Angst davor hatte, was das längere Betrachten mit mir anstellen würde. Ich war nicht bereit schon wieder zu weinen.

Serena verstand, dass ich nicht darüber reden wollte. Stattdessen richtete sie sich auf und streckte die Schultern durch wie damals, wenn sie mich trainiert hatte. Sie musterte mich, die Narben der Magie auf meiner Haut, und deutete dann mit ihrem Finger auf meine Wange.

„Ihr solltet Euch die Kohle von der Haut wischen, bevor ihr hinausgeht." Ich nickte, bewegte mich jedoch nicht. Meine Beine hatten angefangen zu zittern, ohne dass ich wusste wieso. Serena musste das bemerkt haben. Sie wusste immer, wie ich mich fühlte. Wie auch immer sie es anstellte, vor ihrem Blick konnte ich genauso wenig etwas verbergen wie vor Claras.

Bei dem Gedanken an das Mädchen drehte ich mich schnell zu ihr um, doch sie lag noch immer schlafend auf dem Bett. Ich seufzte, schloss erleichtert die Augen.

„Sie hat das Schlimmste überlebt", sagte Serena sachte. „Ihr habt es geschafft, Meisterin. Der Kampf ist vorbei."

„Ist er das?", fragte ich leise und sah zu der rothaarigen Frau auf. Ihre Wange war angeschwollen und leicht blau verfärbt und ich wusste, dass sie eine ernste Wunde am Bauch hatte, weil sie sich immer wieder schützend den Unterarm davorlegte. „In meinem Kopf hört er einfach nicht auf." Ich sah wie sie zuckte und einen sachten Schritt auf mich zumachte, doch dann innehielt. Schmerz lag in ihren Augen, doch es war nicht der körperliche Schmerz, der ihr zu schaffen machte. Ich überbrückte die letzte Distanz zwischen uns und legte mich in ihre Arme, vorsichtig, um sie nicht noch mehr zu verletzen. Ich spürte, wie sich ihr Körper unter meiner Berührung anspannte, doch ihr freier Arm legte sich alsbald um meine Schulter.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt