Das Haus war still.
Das war es nie. Noch nie gewesen.
Niemals.
Aber jetzt war es das. Wir waren sechs Leute. Eine Familie. Wir versuchten unser Leben weiter zu leben, in den Alltag zurück zu kehren, aber es funktionierte nicht.
Es war jetzt einen Tag her seitdem ich wieder nach Hause gekommen war. Mum hatte mich in der Schule krank gemeldet. Ich saß zuhause, aß die ganze Zeit Süßigkeiten. Dann fühlte ich mich schlecht und machte Sport. Manchmal kamen noch kleinere Übelkeitsattacken oder Kopfschmerzen, aber meistens verschwanden sie immer wieder relativ schnell.
Ich hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte und ich hatte das Gefühl, als wäre ich die Einzige der es so ging. Sogar die Zwillinge sahen mich mit diesem Blick an, dieser prüfende, skeptische Blick der mich jedes Mal fast zur Weißglut machte. Emma ging mir aus dem Weg, aber jedes Mal wenn wir uns begegneten wurden ihre Augen ganz groß und sie schien förmlich vor mir zu fliehen.
Dad war wieder arbeiten gegangen, ich wusste aber, dass er so viele Schichten abgegeben hatte wie es möglich gewesen war. Jetzt war er morgens zuhause und frühstückte mit uns, schimpfte mich wenn ich wieder eine Tafel Schokolade in mich hinein gestopft hatte und korrigierte mich, wenn ich bei den Sportübungen Fehler machte.
Ehrlich gesagt war seine Gegenwart die angenehmste. Er sah mich immer noch als Mensch. Zu was auch immer ich für die anderen mutiert war, für ihn war ich immer noch sein jüngstes Kind.
„Milch?"
Ich zuckte zusammen und sah von meinen trockenen Cornflakes hoch. Calum sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, die offene Packung Milch in der Hand und mir entgegenstreckend. Schluckend nahm ich sie entgegen. Wieder ärgerte ich mich über mich selbst. Während ich innerlich zerfressen wurde von Fragen und dem Gefühl im Dunkeln zu tappen, schaffte ich es nicht auch nur eines dieser Gefühle nach Außen zu tragen.
Mum kam ins Wohnzimmer. Ihr energisches Auftreten bedeutete nichts Gutes, das bemerkten wir Drei sofort. Harry und ich wechselten einen schnellen Blick. Mum sah sie an, nickte mit dem Kopf Richtung Tür. Sofort sprangen die beiden auf und verschwanden. Es war klar dass sie keine Diskussion überleben würden. Überrascht sah ich Calum an als er schnell meine Hand drückte. Dann waren sie fort.
Zuerst sagte keiner etwas. Hinter Mum war Dad aus dem Schatten der Tür hervorgetreten und hatte die Tür hinter sich geschlossen.
„Keine Emma?", entrutschte es mir bitter. Dad schaute zu meiner Mutter. Sie war diejenige, die in Familienangelegenheiten das Sagen hatte. Das hatte sich nicht geändert.
„Emma hat hiermit nichts zu tun", erwiderte Mum und wischte mit der Hand ein paar Haferflocken auf den Boden. Dann hob sie ihren Kopf und ihre blauen Augen bohrten sich in meinen Kopf. Hilfesuchend sah ich zu Dad.
„Aber sie weiß trotzdem Bescheid, habe ich Recht?", bohrte ich weiter nach. „Das tut jeder hier. Außer ich natürlich."
„Diane - ", hob Dad die Stimme, doch er kam nicht weit. Mum stoppte ihn.
„Jackson", sagte sie. „Bitte setz dich doch, damit wir anfangen können."
Dad räusperte sich, dann kam er die letzten Schritte auf uns zu und setzte sich neben meine Mutter.
„Wir werden es dir jetzt erklären. Vorab möchte ich aber noch festhalten: Deine Geschwister wissen es nicht. Keiner von ihnen. Emma hat einen Verdacht, aber der kommt nicht einmal annähernd da hin, was eigentlich stimmt. Sie hat vor etwa eineinhalb Jahren alte Tagebücher von mir gefunden und sie gelesen. Darin stand ein kleiner Teil dessen, was passiert ist damals. Nach diesem Ereignis habe ich die Bücher verbrannt, damit du oder deine Brüder sie nicht finden." Mum schluckte. Ihr Daumen drehte kleine Kreise auf dem Tisch.
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Die Waldläufer
FantasíaMein Name ist Diane. Ich erzähle eine Geschichte, die mir niemand glauben wird. Kein Mensch zumindest. Ob du es tun wirst, weiß ich nicht. Das werde ich auch nicht herausfinden, denn ich schätze, wir werden uns niemals persönlich treffen. Aber n...