Kapitel 21 [überarbeitet]

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Es kam bald Unterstützung. Zuerst dachte jeder, ich würde dem Waldschauer nun den letzten Tritt in den Tod geben, doch sie täuschten sich. Unter den Blättern des Efeus spürte ich das Kribbeln seiner Haut und seines Fleisches, das Zischen der Organe, wenn sie sich wieder heilten und an ihren ursprünglichen Platz zurückkehrten. Als das Handgelenk des Mannes laut knackste, weil die Elle wieder zusammenwuchs, drehte sich einer der Waldläufer mit Trauer in den Augen weg.

Troy kam bald, einige Heiler im Schlepptau. Doch sie konnten wenig tun, meist saßen sie nur still dabei. Nach und nach verließen die Alten wieder das Baumhaus, doch Troy blieb. Nach einigen Minuten der Stille kniete er sich neben mich. Meine Arme waren schwer geworden, doch ließ ich sie sinken bewegten sich auf die Äste des Efeus. Ich wollte nicht die Gefahr eingehen, eine falsche Bewegung zu machen.

Als sich seine Hand auf meine legte öffnete ich die Augen. Schweiß tropfte mir von der Stirn, während ich den Blick des Waldläufers mit den hellen Augen suchte. Dieser jedoch hatte bereits die Augen geschlossen.

Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper und erstaunt öffnete ich den Mund. Sofort verstärkte sich der Druck des Jungen auf meine Finger: Ich sollte nichts sagen. Innerlich fragte ich mich plötzlich, was ich überhaupt von ihm wusste.

„Ich dachte, du hast nur ein bisschen Magie", murmelte ich so leise, dass nur er es hören konnte. Elijah stand auf der gegenüberliegenden Seite des Baumhauses, gegen die Wand gelehnt, und beobachtete uns argwöhnisch.

„Ihr habt ja keine Ahnung", antwortete mir Troy leise und ich hatte das Gefühl, tiefe Resignation in seiner Aussage mitschwingen zu hören.

Mehr redeten wir nicht. Die Kraft, die Troy von seiner Seite aus auf mich übertrug, ließ den Efeu leuchten und die grünen Blätter begannen damit, den gleichen Farbton zu entwickeln wie seine Augen. Nach und nach wurden meine Arme leichter und der Heilprozess ging weiter. Warum war niemand der Heiler auf diese Idee gekommen? Kannten sie diese Art der Magieübertragung nicht? Oder wollten sie nicht helfen? Was auch immer es war, ich war unendlich froh, dass Troy da war und mir half. Drei Stunden nach Mitternacht waren wir endlich fertig. Der Efeu zog sich zurück und ich sackte an Troys Schulter schwach zusammen. Ich spürte wie er sich anspannte und sein Blick zu Elijah wanderte.

Vorsichtig rappelte ich mich auf, stolperte nach draußen und übergab mich über das dünne Seil gebeugt, das das Ende des Vorsprunges zeigte. Meine Kräfte waren vorüber. Eine Hand legte sich auf meinen Rücken und instinktiv wusste ich, wer es war.

„Es tut mir leid", hörte ich Troys leise Stimme in meinem Ohr. Seine Hand wanderte meinen Rücken entlang, löste sich und fasste dann mit der anderen mein Gesicht. Ganz vorsichtig näherte er sich mir. Ich war nicht in der Lage zu reagieren, wobei ich mich fragte ob ich es getan hätte, hätte ich es gekonnt. Doch Troy hauchte mir nur einen zarten Kuss auf die Stirn. Seine Augen leuchteten traurig, als er sich von mir abwendete und mit der Nacht verschmolz.

Ich drehte mich um und begegnete Elijahs düsterem Blick, der sich jedoch sofort abwandte und über den Waldschauer beugte. Was Troy wohl leid tat? Seine Hilfe? Bestimmt nicht, oder?

Ich konnte nicht ahnen, dass ich den geheimnisvollen Waldläufer, der einfach aus dem Nichts erschienen war und plötzlich eine so wichtige Rolle eingenommen hatte, eine lange Zeit nicht mehr sehen würde.

***

„Er wacht auf." Elijahs Stimme drang in meinen Kopf und schnell rappelte ich mich auf. Ich war neben dem Mann eingedöst, den Kopf auf das Laken gesenkt. In Sekundenschnelle war ich wieder hellwach und beobachtete, wie sich der große Waldschauer in meinem Baumhaus unsicher umsah.

Seine Kollegen waren ebenfalls gekommen, genauso wie einige andere Waldläufer. Zuletzt, nachdem man sicher gewesen war, dass seine Familie seinen Anblick würde ertragen können, ließ man auch seine alte Mutter und einen ihm sehr ähnlichen Mann eintreten. Sein Bruder war der erste Wurzelpflücker, den ich kennengelernt hatte. Er brachte den herben Duft mancher Kräuter mit in das Baumhaus, gemischt mit der unverkennbaren Süße von Holunder.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt