Kapitel 8 [überarbeitet]

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Calum betrat den Raum ein paar Stunden, nachdem Elijah mich alleine gelassen hatte. Zu der Zeit regnete es draußen bereits wie aus Eimern und das Donnergrollen hinderte mich daran, in einen tiefen Schlaf zu fallen.

Hatte Elijah etwa die Gelben zu uns geführt? Mit Absicht oder aus versehen? Konnte man überhaupt jemandem die Schuld an dem geben, was passiert war, außer natürlich den Gelben selbst?

Als die Tür aufging setzte ich mich blitzschnell auf, das Messer kampfbereit in der Hand. Ich hatte es mir vom Schreibtisch geholt, kurz nachdem Eliajh gegangen war, und neben mich auf die Matratze gelegt. Seufzend und mit wässrigen Augen ließ ich es sinken.

„Calum", flüsterte ich. Er sah schlimmer aus, als ich erwartet hätte. Sein Kopf war mit einem Verband umwickelt, schien jedoch frisch zu sein. Er war sauber, was seine blauen Flecken und die Schürfwunden an seinen Armen und den Händen nur noch auffälliger zu machen schien. Als er die Tür schloss und auf mich zu kam, humpelte er leicht.

„Es tut mir so leid", flüsterte ich. Mein Herz klopfte so laut, dass ich befürchtete, mein Bruder könne es hören. Dieser jedoch kam, kniete sich neben mein Bett und nahm mich ohne ein weiteres Wort in den Arm.

Ich war überrascht von der Geste, dass konnte ich nicht leugnen. Aber es tat so gut. Calum verzieh mir, wenn er mich auch Kemals für schuldig befunden hatte, den Tod seinen Zwillings. Den Tod seines Vaters. Das Verschwinden seiner Mutter.

Tränen rannen mir über die Wangen, mein stockender Atem durchbrach die Stille und erschuf eine unangenehme Stimmung.

„Es tut mir so leid, Calum", schluchzte ich flüsternd. „Ich habe Versuch pünktlich zu kommen, ehrlich. Ich habe es versucht. Aber..."

„Ist schon gut", flüsterte Calum. „Es ist nicht deine Schuld, hast du mich verstanden?"

Er schob mich von sich, umfasste mein Gesicht mit beiden Händen und sah mir tief in die Augen. Seine Ernsthaftigkeit, seine Worte, seine Bewegungen; alles schien mich an Harry zu erinnern.

„Wir werden ihn rächen, okay? Irgendwann, und irgendwie, wird die Möglichkeit auftauchen denjenigen das gleiche leid anzutun, was sie uns angetan haben, okay?"

Eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken als mir bewusst wurde, dass das vor mir nicht Calum war. Es war sein Körper,sein Gesicht, seine kleine Narbe auf der Stirn. Aber der Geist, seine Seele, war dunkler geworden. Sie suchte nach Rache für seinen Bruder, sie suchte nach Genugtuung in einer grausamen Tat.

„Calum", stammelte ich überrascht, wobei ich die Härte in seinen Augen erst Etat wahrnahm.

Er antwortete mir nicht. Still strich er mir die Tränen von der Wange und erhob sich. Er zog sich, wie vorher Elijah, den Stuhl des Schreibtisches heran und setzte sich.

„Erzähl mir, Diane, wie viel weißt du über diese Welt?"

„Nicht viel...", stotterte ich. „Und du?"

Er zuckte mit den Schultern und sah über mich hinweg zu dem Fenster, gegen das der Regen prasselte.

„Calum?"

Sein Blick wanderte wieder zu mir.

„Du machst mir Angst."

Plötzlich, als wären dies Zauberworte die ich hatte sprechen müssen, klärte sich sein Blick wieder.

„Tut mir leid", sagte er leise, griff meine Hand.

„Ich habe auch Angst vor mir."

Kurz breitete sich stille zwischen uns aus.

Die WaldläuferWo Geschichten leben. Entdecke jetzt