Grauer Wurm wurde vor dem Eisernen Thron aufgebahrt, seine tödliche Halswunde von seiner Rüstung verborgen. Er hatte die Augen geschlossen und wirkte sogar noch im Tot grimmig. Daenerys stand neben ihm. Mit Trauer sah sie auf ihren treuen General und Berater hinab. Und sie war nicht alleine. Ser Barristan Selmy, ihr Lord Kommandant, stand neben ihr und hielt die Totenwache für seinen gefallene Kameraden. Die Falten in seinem Gesicht wirkten noch tiefer.
Und auch Missandei war da. Die hübsche Übersetzerin mit den lockigen Haaren und der dunklen Haut hatte von Tränen verquollene Augen. Sie war am Morgen von Drachenstein eingetroffen. Die Nachricht, dass Grauer Wurm gefallen war, hatte sie in eine Trauer gestürzt, die Daenerys überrascht hatte.
Vorsichtig legte die Königin einen Arm um ihre Freundin. „Wenn ich gewusst hätte, das ihr, nun ja... zusammen gewesen wart, dann hätte ich ihn auf Drachenstein gelassen. Er hätte nicht so sterben sollen," sagte sie leise.
Missandei schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren rot und ihre Haare standen ihr ungebändigt vom Kopf ab.
„Er hätte es so gewollt. Er hat immer in der Schlacht sterben wollen. Während er für euch kämpfte," sie drückte sich ein Tuch an die Augen und wischte sich ihre Tränen weg, „ich habe ihn geliebt. Als er von den Söhnen der Harpyie verwundet wurde, da hatte ich Angst, ihn zu verlieren. Und jetzt, wo ich ihn wirklich verloren habe...", Missandei begann hemmungslos zu schluchzen und erneut flossen ihr die Tränen an den Wangen hinab.
Daenerys zögerte, doch sie hatte Missandei immer vertraut und ihre Freundin verdiente zumindest die Chance. „Wenn du willst, dann kann ich Aegon Schwarzfeuer darum bitten, das er Grauer Wurm wiederbelebt. Bei Jon hat es funktioniert. Sogar mehrmals."
Für einen Moment schimmerte Hoffnung in Missandeis braunen Augen auf, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Das wäre nicht richtig. Auf Naath verehren wir den Herrn der Eintracht. Er lehrt uns, dass das Leben etwas Heiliges ist. Was lebt, das soll das Leben ehren. Doch wenn es endet, dann muss man das auch ehren. Was die Roten Priester machen ist falsch, auch wenn Prinz Jon euch ein guter Freund ist."
Wieder wurde sie von einem Weinkrampf gepackt und sie musste sich an dem Tisch abstützen. „Es tut mir leid, euer Gnaden. Ich sollte mich besser unter Kontrolle haben.", sagte sie mit vor Trauer erstickter Stimme.
„Alles gut.", Daenerys umarmte ihre Freundin. „Du musst dich deiner Trauer nicht schämen. Sie ist natürlich. Lass es raus."
Missandeis Tränen wurden noch stärker und sie brach fast zusammen. „Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen soll," schluchzte sie.
Daenerys strich ihr sanft über den Rücken. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Mit Verlusten kannte sie sich zwar aus, doch nicht wie man jemanden tröstete.
Die Türen zum Thronsaal öffneten sich und Jon kam herein. Er wirkte aufgeregt und verzweifelt. „Euer Gnaden! Ich muss mit euch sprechen!", rief er laut.
„Zeigt Respekt, Prinz Jon," rief Ser Barristan, „die Königin ist in Trauer."
Jon wurde langsamer und entdeckte Grauer Wurm. Bedauern zuckte über sein Gesicht. „Es tut mir Leid, euer Gnaden. Aber was ich erfahren habe, ist wichtig."
Daenerys sah vorsichtig zu Missandei. Sie wollte sie nicht alleine lassen. Nicht in so einem Augenblick.
Ihre Freundin wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Es ist in Ordnung euer Gnaden.", sie richtet sich auf und machte ein tapferes Gesicht. „Wenn ihr erlaubt, dann werde ich mich jetzt zurück ziehen."
„Natürlich. Ruh dich aus. Ich denke, dass ich dich vorerst nicht brauchen werde.", sagte Daenerys sanft.
Missandei nickte dankbar. Sie beugte sich vor und küsste Grauer Wurm auf die kalte Stirn. Eine Träne fiel auf sein Gesicht und es sah so aus, als würde auch er weinen. Dann verließ Missandei den Thronsaal.
Daenerys sah ihr nach. Dann ging ihr die Bedeutung ihrer Worte auf. Sie war jetzt in Westeros. Hier sprachen alle die Gemeine Zunge. Sie, Daenerys, würde keine Übersetzerin mehr brauchen. Missandeis Talent war in Westeros beinahe unbrauchbar. Diese Tatsache stimmte Daenerys erneut traurig.
Doch darüber musste sie sich später Gedanken machen. Jetzt war Jon ihr dringendes Problem. „Ich habe dich fast eine Woche nicht gesehen. Wo warst du?", fragte sie in königlichem Tonfall.
Jon zögerte kurz, dann beugte er vor ihr das Knie. „Ich war im Flohloch. Als Rhaegal abgeschossen wurde, ist er im Flohloch gelandet und hat einiges zerstört. Ich wollte den Menschen dort helfen."
Daenerys entspannte ihre Schultern. „Das ist gut. Ich werde die Stadt selber noch besuchen müssen. Bei meiner Krönung sollte das Volk zusehen.", Als sie Jons Blick sah,fragte sie sich, was für ein Bild sie wohl auf ihn machte. Sie trug eine, eigens für sie angefertigte Rüstung. Eisen- und Bronzeplättchen bildeten einen Panzer, der Drachenschuppen nachempfunden war. Darunter eine wärmende Schicht Leder.
„Steh auf. Du bist mein Erbe und solltest nicht vor mir knien."
Jon erhob sich. Dabei sah er zu Grauer Wurm. „Ich hätte ihn retten sollen. Er sollte an deiner Seite stehen, wenn du gekrönt wirst.", sagte er mit dumpfer Stimme.
„Ja. Das sollte er.", murmelte Daenerys. Dann versuchte sie, ihre Trauer zu verdrängen und sah zum Eisernen Thron. Jon stellte sich neben sie. „Es ist unglaublich, oder? Nach allem, was wir erlebt und durchgemacht haben, sind wir nun endlich hier. In Königsmund und vor dem Eisernen Thron. Mein Bruder sagt immer, er bestehe aus den Tausend Klingen von Aegons Feinden. Ich war damals noch klein und konnte kaum bis zwanzig zählen. Tausend Klingen. Was ist das für eine Vorstellung für ein kleines Mädchen, das kaum bis Zwanzig zählen kann? Ich habe mir immer einen Berg aus Schwertern vorgestellt, der so hoch über mir aufragt, dass ich seine Spitze nicht sehen kann. Und nun sind wir hier."
„Die Frage ist, wie lange noch.", knurrte Jon.
Daenerys sah ihn Fragend an. „Was ist passiert?"
Jon hob einen Brief hoch. „Ich habe mit Königin Margaery gesprochen. Robbs Gemahlin. Sie gab mir dieses Schreiben. Offenbar ist es zwei Tage vor unserer Invasion eingetroffen."
„Da waren wir noch auf hoher See.", sagte Daenerys und nahm den Brief. Aufmerksam studierte sie die Zeilen. „Und du hältst diese Nachricht für echt?"
„Natürlich!", sagte Jon erzürnt. „Ich kenne Robbs Handschrift und sein Siegel. Wenn ich den Brief früher bekommen hätte...", Jon machte ein verzweifeltes Gesicht und richtet sich zu seiner vollen Größe auf.
„Ich werde mich auf Rhaegal in den Norden begeben. Die Weißen Wanderer haben die Mauer durchbrochen und marschieren auf Winterfell zu. Der große Feind ist nun hier. Wir haben den Krieg gegen Renly gewonnen. Jetzt müssen wir den großen Krieg beenden."
„Und ich werde dich begleiten.", verkündete Aegon Schwarzfeuer. Er hatte den Thronsaal unbemerkt betreten. Entschlossen kam er auf sie zu. „Gehe in Frieden, großer Krieger.", murmelte er zu Grauer Wurm. Dann stellte er sich neben Jon. „Viserion und ich, wir sind bereit für den Großen Feind. Der Herr des Lichts wird uns den Weg leuchten."
Jon legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Dann lass uns keine Zeit verlieren. Der Norden hat keine mehr."
Daenerys sah mit an, wie die beiden sich dem Ausgang näherten. Dann sah sie zu Grauer Wurm. Wofür war sein Tot gut, wenn ein noch größerer Feind sie bedrohte? Was brachte es, ihn zu verlieren, wenn sie am Ende alle verloren waren? Sie blickte Jon und Aegon nach und dachte an das Versprechen, dass sie Jon gegeben hatte. „Wartet," rief sie ihnen nach, „ich komme mit nach Norden. Vernichten wir die Wanderer!"
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Das andere Lied, von Eis und Feuer - Der letzte Sturm
FanfictionDie Mauer ist gefallen und die Toten kommen Jon nähert sich, mit Daenerys Targaryen, seinem Blutsbruder Aegon Schwarzfeuer, seiner Frau Arianne und ihren drei Drachen, den Sieben Königslanden. Doch kommen sie noch rechtzeitig, um den Nachtkönig und...