"Harrenhal"

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Aegon saß auf Viserions Rücken. Die cremefarbenen Schwingen trugen sie durch den blauen Herbsthimmel. Unter ihm glitzerte das Götterauge, der größte See in Westeros. Viserion begann sich zu drehen und für einem Moment verlor sich Aegon in einem Wirbel aus weißen Wolken, dem blauen Herbsthimmel und ihren Spiegelbildern in dem riesigen See.
Es waren die Schiffe, die die Illusion ruinierten. Dutzende Langschiffe der Eisenmänner segelten über den größten See von Westeros.
In den vergangenen Wochen hatten die Eisenmänner von Kapitän Asha etwas Vollbracht was zuletzt vor über vierhundert Jahren geschehen war. Die Eisenmänner waren mit ihren Langschiffen den Schwarzwasser hinauf gefahren, waren dann einem Fluss gefolgt, der vom Schwarzwasser zum Götterauge führte, Dort hatte Lady Asha ihre Flotte geteilt. Ein Dutzend der schmalen Langschiffe waren zum Nordufer des Götterauges gesegelt, wo die Eisenmänner ihre Schiffe auf die Schultern genommen und sie etliche Meilen nach Norden, zum Trident, getragen hatten. Von dort aus hatten sie begonnen, die Truppen aus dem Grünen Tal, von Möwenstadt aus auf ihre Schiffe zu nehmen und in die Flusslande zu bringen. Auch aus der Weite marschierten Truppen auf, ebenso aus den Sturmlanden und Dorne. Vom Südufer des Götterauges brachten die Eisenmänner sie nach Harrenhal. Zehntausende Soldaten hatten sich dort inzwischen versammelt. Und es wurden jeden Tag mehr.
Aegon hatte in seiner Zeit in Volantis und schon davor, während seiner Reisen mit Jon Connington, die Geschichte der Sieben Königslande studiert und die Ironie entging ihm nicht. Eisenmänner hatten über Jahrhunderte lang die Westküste von Westeros terrorisiert und nun brachten sie die Soldaten aus allen Ecken der Sieben Königslande zusammen, um gegen die Weißen Wanderer zu kämpfen.
Seit über einem Monat sammelten sich die Männer unter dem Banner der Targaryen-Königin. Und genau so lange brannte die Eng schon. Seit mehr als dreißig Tagen, loderte das grüne Feuer in der Eng. Und es schien nicht weniger zu werden, sondern mehr. Jon hatte die Vermutung geäußert, dass manche der Gefäße mit Seefeuer so tief in den Morast gesunken waren, das sie während des Angriffs nicht vom Drachenfeuer erfasst wurden und sich erst jetzt entzündeten. Aegon war es gleich. Er liebte das Seefeuer. Mehr als einmal war er mit Viserion über die grüne Hölle geflogen und hatte sich von den heißen Winden, tragen lassen. Er liebte dem Anblick des grünen Feuers, das Wasser verdampfen ließ und jede Pflanze in Asche verwandelte. Zwar empfing er keine Visionen aus dem Seefeuer, vielleicht weil es nicht natürlich, sondern ein Zauber der Pyromantiker war, doch die wirbelnden Flammen, die sich immer wieder verändernden Muster, Formen und Lichter, fesselten ihn.
König Robb war weniger vom Seefeuer überzeugt. Die Feuermassen versperrten ihm und seinem Volk den direkten Weg zurück in ihre Heimat. Der grimmige Nordländer beharrte in den Sitzungen des Kriegsrates auch darauf, dass man die Weißen Wanderer so schnell wie möglich vernichten musste. Auch Jon und Brandon Stark, der Dreiäugige Rabe, stimmten dafür.
Doch es gab auch andere Stimmen. Vor allem die Lords aus den Westlanden, der Flusslande und den Sturmlanden hatten den Bau einer neuen Mauer vorgeschlagen, welche die Eng und den Norden vor dem Süden verschließen sollten. König Robb hatte vehement dagegen gestimmt und auch die Lords von Dorne, der Weite und dem Grünen Tal, waren dagegen. König Robb, weil er in seine Heimat zurück kehren wollte und die Lords, weil sie nicht für die Kosten einer neuen Mauer aufkommen wollten. Ihre Gebiete waren vom Krieg der Fünf Könige und Daenerys Targaryens Eroberung weitestgehend verschont worden und noch immer reich an Männern und Gold und sie wollten das nicht aufgeben.
So hatte man sich auf den ursprünglich Plan geeinigt. Unter dem Kommando von Königin Daenerys, König Renly, König Robb und Ser Jon Targaryen würden die Armeen in Harrenhal auf den Nachtkönig und seine Weißen Wanderer warten. Man hoffte darauf, dass Brans Flucht aus Winterfell und die Verletzung, welche Priesterin Melissandre dem Nachtkönig zugefügt hatte, sie nach Harrenhal locken würde. Dort würden die Lebenden sich dem Nachtkönig und seinen Weißen Wanderern stellen. In der Hoffnung, das Westeros größte Burg mächtig genug war, um es mit dem Unmenschlichsten aller Feinde aufzunehmen.
Viserion landete im Innenhof von Harrenhal. Zwar war die große Burg nicht dafür gebaut worden, um Drachen zu beherbergen, anders als der Rote Bergfried, doch die Burg war so überdimensional gestaltet, das alle drei Drachen der Targaryen in ihr Platz hatten.
Drogon und Rhaegal brüllten zur Begrüßung, als Rhaegal landete.
„Da bist du ja endlich.", begrüßte Jon ihn, nachdem Aegon von Viserions Rücken geglitten war.
„Hallo Jon.", Aegon umarmte seinen Blutsbruder.
„Brennt die Eng immer noch?", fragte Jon, während sie durch die gigantische Burg gingen. Um sie herum schwirrten Horden von Lords, Rittern, Knappen, Soldaten und ihr Gefolge, wie ein großer Ameisenhaufen.
„Sie brennt wie eine Grüne Hölle. Nur heißer," gab Aegon Auskunft.
„Das wird Robb nicht gefallen.", murmelte Jon. „Er will den Nachtkönig töten. So schnell wie möglich. Mit jedem Tag, der verstreicht, sinkt seine Hoffnung, in den Norden zurück zu kehren."
„Jeder Mensch braucht eine Heimat. Wenn er nichts hat, wohin er zurück kehren kann, wofür soll er dann Kämpfen?", philosophierte Aegon.
„Gold und Frauen.", antwortete Jon schlicht. „Wo wir gerade dabei sind, Königin Daenerys hat den Rat einberufen. Inzwischen sind auch Lord Tyrion und Ser Barristan aus der Hauptstadt eingetroffen. Sie wollen mit Robb und Renly besprechen, wie wir vorgehen wollen, wenn der Nachtkönig nicht zu uns kommt. Schließt du dich uns an?"
„Ich denke nicht, das ich in dieser Runde willkommen wäre," sagte Aegon. „Viele sehen in mir nur den Roten Priester, der ihre Septen und sieben falschen Götter verbrennen will."
„Nicht das sie damit falsch liegen würden.", argumentierte Jon.
„Es gibt nur einen Gott. Und dieser duldet keinen anderen neben sich" beharrte Aegon. „Doch wer mich nicht als Ketzer sieht, der sieht in mir nur einen verfluchten Lysenie und den Verwandten von Maelys dem Abscheulichen. Zwar gibt es nur noch wenige, die sich wirklich an den Krieg der Neunheller Könige erinnern können, doch jeder Knabe und jedes Mädchen kennt die Geschichte, wie Ser Barristan, der Kühne, Maelys Schwarzfeuer erschlug. Und dann hören sie meinen Namen und hassen mich."
Jon schwieg nachdenklich. „Du wirst hart daran arbeiten müssen, wenn die Menschen die Furcht vor unserem Gott und dem Namen Schwarzfeuer verlieren sollen."
„Ich brauche ihr Vertrauen nicht. Die Königin hat mir zugesichert, das der Glaube an R'hllor unter ihrem Schutz stehen wird.", erwiderte Aegon.
„Dann hoffen wir mal, das dieser Krieg bald vorbei ist und wir unseren Tempel bauen können." Jon klopfte ihm auf die Schulter. „Ich muss zum Kriegsrat. Sehen wir uns beim Nachtfeuer?"
„Natürlich.", antwortete Aegon.
Jon klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und verschwand dann in der Masse aus Menschen. Aegon sah ihm nach und begann dann, durch Harrenhal zu spazieren. Er hatte in Westeros keine Pflichten und da zur Zeit kein Feldzug bevorstand, hatte er viel Zeit für sich. Früher wäre er an ein Feuer gegangen und hätte versucht, die Wahrheit zu sehen, doch die Flammen waren leer. R'hllor zeigte ihm nichts.
Viele der Männer, denen er begegnete, wichen seinem Blick aus und machten ihm Platz. Seine silbernen Haare und die rote Robe waren eindeutige Zeichen. Er war anders. Es machte Aegon traurig, dass ihm so viele nicht vertrauten. Doch er hatte den roten Gott an seiner Seite. Er brauchte sie nicht.
Irgendwann trugen ihn seine Füße wider zu Viserion. Der cremefarbene Drache verschlang einen Ochsen, der noch rauchte.
Die goldenen Augen des Drachen folgten Aegon, als dieser um ihn herum ging. „Nichts wird mehr sein wie es war," murmelte Aegon und strich mit der Hand über das goldene und weiße Schuppenkleid des Drachen. „Wenn de Nachtkönig bezwungen ist, werden wir uns eine neue Heimat bauen."
Viserion schnaubte und schüttelte sich, ehe er seine schwarzen Zähne wieder in den Ochsen versenkte.
Aegon seufzte. Auch sein Drache spendete ihm keinen Trost. Er war alleine.
Rings um die Drachen, Drogon hatte sich zum Schlafen zusammengerollt, kreiste Rhaegal über Harrenhal. Die Menschen standen dicht gedrängt. Menschen jedes Alters starrten die mächtigen Bestien an. Aegon hatte inzwischen soviel Zeit mit den drei Drachen verbracht, dass sie für ihn etwas Natürliches waren, doch in Westeros waren sie seit den Tagen des Drachentanzes nicht mehr gesehen worden.
Der blaue Herbsthimmel hatte sich zugezogen und ein leichter Schneeregen fiel hinab. Auf Fliegen hatte Aegon daher keine Lust. Er ließ seinen Drachen fressen und ging weiter.
Harrenhall war eine beeindruckende Burg. Zwar eine Ruine, hatte Tywin Lennister während des Krieges der Fünf Könige, etliches wieder errichten und in Stand setzten lassen. Unter Renly war die Burg zuerst unbesetzt geblieben, ihr Lord, Petyr Baelish war im Grünen Tal verblieben. Doch nachdem Aegon, Jon und Daenerys Robb in Winterfell gerettet hatten, wurde die Burg wieder bewohnt. Zehntausende Ritter, Lords und Waffenknechte, hatten Quartier gefunden. Tausende Handwerker, Baumeister und Zimmerer hatten die Ruinen überfallen und arbeiteten unermüdlich daran, Harrens Torheit wieder bewohnbar zu machen. Und ihre Bemühungen waren durchaus von Erfolg gekrönt.
Lady Shella Whent hatte nur die untersten Zimmer von drei der riesigen schwarzen Türmen genutzt, doch jetzt waren alle fünf Türme bewohnt. In jeden Zimmer brannte ein Feuer. Hohe Lords aus dem gesamten Reich waren in der Burg versammelt. Überall wo man hinblickte sah man bunte Banner, die nass im Wind wehten die drei königlichen Banner der Starks, Baratheons und Targaryen. Und unzählige andere. Arryn, Tully, Lennister, Tyrell, Martell, Graufreud. Und auch die ihrer Vasallen waren in Massen vertreten. Vanke, Cerwyn, Manderly, Isenwald, Zitronenhain, Corbray, Roise, Steinern, Drumm, Velaryon, Swann, Rallenhall und mindesten einhundert weitere Banner in allen Farben. Auch der Glaube war vertreten. Septone, Septas und schweigende Schwester beteten und predigten. Von fast jedem höher gelegtem Ort in Harrenhall konnte man den gewaltigen Wehrholzbaum sehen. Und sogar Priester des Ertrunkenen Gottes der Eiseninseln waren anwesend.
Nur Aegon war alleine. Er war, neben Jon, der einzige Rote Priester. Zwar gab es in der Golden Kompanie einige, die auch zu R'hllor beteten, aber es waren kaum hundert Männer. Aegon sah zum Himmel. Zwar konnte er die Sonne nicht sehen, doch es musste später Nachmittag sein. Bald würde die Dämmerung anbrechen und er würde das Nachtgebet sprechen. Doch bis dahin war er alleine. Nur die Männer der Goldenen Kompanie, mit denen er in den Sturmlanden gekämpft hatte, respektierten ihn.
Irgendwann erreichte er, ohne es zu wollen, die Lazarette. Hunderte Verletzte lagen auf Liegen und wurden von Heilern, Maestern und Septas umschwärmt.
Die Gerüche waren abscheulich und die Schreie der Verletzten taten ihm im Herzen weh. Er musste an einen Sklavenaufstand denken, der Volantis vor zehn Jahren erschüttert hatte. Viele Verletzte hatten im roten Tempel Schutz gesucht. In den Lagern hatte es genau so gerochen. Nach Blut und Tot.
Dann hörte er, zwischen all den Schreien, einen saftigen Fluch auf Hochvalyrisch. Überrascht sah Aegon sich um. Hochvalyrisch war die letzte Sprache, die er an einem Ort wie diesem erwartet hatte. Neugierig ging er zwischen den Verletzen umher, auf der Suche nach dem Sprecher.
„Ihr müsst stillhalten.", sagte die Stimme, dieses Mal in der gemeinen Zunge. Es war eindeutig eine Frau.
„Nein!", rief eine panische Stimme. „Bitte nicht!"
Eine Frau mit dunklen Haaren und olivfarbener Haut hielt einen jungen Mann an den Beinen fest, unterstützt von zwei Septas. Dem Mann fehlte der Stiefel und Aegon konnte sehen, das der Fuß völlig zerstört und nicht mehr zu retten war.
„Der Fuß hat sich entzündet. Wir müssen ihn abnehmen, ehe sich die Infektion ausbreitet.", sagte die Frau mit klarer, rationaler Stimme. Sie zog eine tragbare Kiste zu sich heran und holte eine Säge heraus.
Die Augen des Mannes weiteten ich vor Panik. „Nein! Bitte nicht! Er fühlt sich schon viel besser an. Ich bitte euch! Lasst mir meinen Fuß!", er begann um sich zu schlagen und traf eine der Septas mit der Faust im Gesicht. Mit einem Schmerzensschrei fiel die Septa zu Boden. Blut floss aus ihrer gebrochenen Nase.
Der Mann wollte sich aufrichten, doch Aegon war schneller. Er packte den Verletzten an den Schultern und drückte ihn zu Boden. „Hier. Beiß da drauf.", sagte er und zog einen Lederriemen hervor, den er dem Mann zwischen die Zähne schob. „Sonst beißt du dir noch die Zunge ab."
Der Mann legte den Kopf in den Nacken. Seine Augen wurden dunkel vor Schmerz und er biss in den Lederriemen, als die Heilerin die Säge ansetzte und ihr Werk begann.

Nachdem die Wunde des Mannes versorgt worden war, verstaute die Frau ihre Instrumente wieder in der Kiste. „Danke für eure Hilfe.", sagte sie an Aegon gewandt.
Er neigte den Kopf. „Ich bin immer hilfsbereit." Sie standen auf. „Ihr seid keine Westerosi. Woher kommt ihr?", fragte er neugierig.
Die Frau wischte sich ihre blutigen Hände an ihrer weißen Schürze ab. „Volantis. Ich heiße Talisa Maegyr."
Überascht sah Aegon sie an, dann lächelte er. „Skoros maghagon se prince hen Malaquo Maegyr naejot Westeros?", fragte er auf Hochvalyrisch. (Was führt die Erbin von Malaquo Maegyr nach Westeros?"
Talisa, die sich ihren Kasten auf die Schulter gehoben hatte, senkte ihn wieder und sah Aegon fragend an. „Qilōni issi ao?", fragte sie. (Wer seit ihr?)
Aegon verbeugte sich. „Nyke Aegon Schwarzfeuer. Voktys hen mērī drēje jaes R'hllor se Raqiros hen Viserion." (Ich bin Aegon Schwarzfeuer. Priester des einzig wahren Gottes R'hllor und Reiter von Viserion.)
Talisas Augen wurden groß. Sie führte zwei Finger an die Strin. „Valar Morgulis", sagte sie ehrfürtchtig.
Aegon erwiderte den Gruß. „Valar Dohaeris. Es überrascht mich, hier Hochvalyrisch zu hören."
Talisa lächelte. „Es gibt nicht viele, die diese Sprache hier beherrschen. Es tut gut, sie wieder zu sprechen."
Aegon erwiderte ihr Lächeln. „Doch was führt euch nach Westeros? Die Töchter der hohen Familien aus Alt-Volantis seht man nur selten in einem Krankenlager in Westeros."
Talisa schulterte ihren Kasten erneut. „Wenn ihr mich auf ein Getränk und etwas zu Essen einladet, erzähle ich es euch vielleicht."
Aegon musste lachen. Er mochte diese schlagfertige Frau. „Rhaenagon issa tolī bantis prayer. Bantis zōbrie issa se ossȳngnoti lēdys. Maybe īlon kostagon drive zirȳ qrīdrughagon rūsīr īlva stories." (Trefft mich nach dem Nachtgebet. Die Nacht ist dunkel und voller Schrecken. Vielleicht können wir sie mit unseren Geschichten vertreiben.)
„Wie ketzerisch. In Ordnung. Wir sehen uns beim Nachtgebet.", Talisa lächelte ihn noch einmal an, dann verließ sie das Lazarett. Aegon sah ihr nach. Er freute sich auf das Essen mit ihr.

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Das Gemach, das Aegon sich mit Jon teilte, gehörte zu den kleineren Zimmern im Königsbrandturm, dennoch es war es größer als viele Gasthäuser mit einem eigenem Abtritt und einem Waschzimmer. Jon würde sein Abendessen im Kriegsrat einnehmen, daher hatten Aegon und Talisa Maegyr das Zimmer für sich alleine. Das Schwert Schwarzfeuer hing an einer Wand und im großen Kamin brannten ein Feuer. Der Tisch war für zwei gedeckt worden und süßer Sommerwein stand bereit.
Aegon war nervös. Es war für ihn das erste Mal, dass er alleine mit einer Frau essen würde.
Als es an der Tür klopfte, zuckte Aegon zusammen. Das war sonst nie der Fall. Warum war er so nervös?
Die Tür öffnete sich und Talisa trat ein. Die Volantenerin trug ein dunkelbraunes Kleid, eher zweckmäßig als schön. Aegon trug wie immer Rot. „Hallo.", sagte Aegon zögerlich. „Ihr seht gut aus."
Talisa lächelte ihn an. „Danke, Priester.",sagte sie und setzte sich an den großen Tisch, der mitten im Raum stand. Aegon setzte sich ihr gegenüber. Diener eilten herbei und füllten ihre Kelche mit Wein.
„Dann erzählt mir doch einmal, wie kommt Malaquo Maegyrs Enkelin nach Westeros?" fragte Aegon, nachdem sie sich etwas angeschwiegen hatten.
Talisa nippte an ihrem Wein. „Ich bin in Volantis aufgewachsen. Meine Familie ist Reich und hat viel Einfluss, mein Großvater ist immerhin ein Triarch. Bei einer Hochzeit in Selhorys war es so heiß, das wir Kinder in der Royne schwimmen durften. Dabei ist mein kleiner Bruder ins Wasser gefallen und beinahe ertrunken. Ein Sklave, der dem Herrn des Lichts diente, hat mich beiseite geschubst und meinen Bruder aus dem Wasser gezogen. Er hat ihm so lange auf der Brust herum gedrückt, bis mein Bruder das Wasser ausgespuckt hat." Sie nahm sich noch etwas von dem Wein. „Dieser Sklave hat meinem Bruder das Leben gerettet. Doch weil er mich, eine Adelige zur Seite geschubst hat, wurde er ausgepeitscht. Das war der Moment, wo ich beschlossen habe, Heilerin zu werden. Meine Mutter und mein Großvater wollten, das ich Tänzerin werde, doch ich habe mich ihnen widersetzt und bin dann, nach Westeros gekommen. Ser Steffert Lennister hat mich als Heilerin in seine Dienste genommen."
„Steffert Lennister.", Aegon dachte über den Namen nach. „Ihr wart ein Gegner Robb Starks während des Krieges der Fünf Könige."
Talisa sah ihn nur gleichmütig an. „Ich bin nach Lennishort gegangen, weil mein Großvater es mir empfohlen hat. Er sagte, wenn ich mich schon den niederen Westerosie anbiedere, dann wenigstens den höchsten von ihnen. Ich wollte Menschen helfen. Die Kriege hier, sind mir Egal."
„Das verstehe ich. Bitte verzeiht mir," bat Aegon sie peinlich berührt. „Ich habe die letzten Jahre viel mit Jon Targaryen verbracht, der mir viel von seinem Ziehbruder, Robb Stark erzählt hat. Seid ihr Robb Stark einmal begegnet?"
„Ich nehme es euch nicht übel, Priester.", antwortet Talisa. „Und ja, ich habe den König des Nordens einmal getroffen. In Ochsfurt, als er Ser Stefferts Armee zerschlagen hat.", sie nahm sich noch etwas Wein. „Die Kriege des Westens sind auch eigentlich keine Sache der Freien Städte. Wir haben genug mit unseren eigenen zu tun.", sie sah ihn an und Aegon errötete. „Jetzt müsst ihr mir eure Geschichte erzählen. Wie kommt ein Roter Priester, der sich Schwarzfeuer nennt, an der Seite von Daenerys Targaryen nach Westeros?"
Aegon überlegte, wo er anfangen sollte. „Es ist eine lange Geschichte.", warnte er sie.
Doch Talisa lächelte ihn nur an. „Nun, wir haben ja noch die ganze Nacht."
Aegon konnte nicht anders, er erwiderte das herzliche Lächeln. Dann begann er zu erzählen. Wie er mit den Schwarzfeuer verwandt war, wer seine Eltern waren, wie er mit Jon Connington gereist war, ehe er in den Roten Tempel von Volantis gekommen war. Wie seine Ausbildung verlaufen war und wie er Jon getroffen hatte, damals noch ein Bastard von Eddard Stark. Und auch von ihren Abenteuern erzählte er. Wie ihr Schiff von Asha Graufreud gekapert worden war, wie sie in Meereen Daenerys Targaryen getroffen hatten. Ihren Kampf gegen die Söhne der Harpyie, wie sich Jon, nach Daenerys Flucht zum Anführer aufgeschwungen hatte. Wie er Viserion bestiegen hatte. Und auch von der Eroberung erzählte er ihr. Wie er mit Viserion geholfen hatte, zuerst Greifenhorst und dann Sturmkap einzunehmen.
Und Talisa hörte ihm zu. Interessiert lauschte sie seinen Erzählungen. Als dann das Essen gebracht wurde, machten sie sich über gebratene Gans, Karotten und Kohl her. Dabei redeten sie viel. Während des Essens löste sich die Stimmung immer weiter. Sie lachten, scherzten und redeten miteinander, als würden sie sich schon lange kennen. Aegon war verzaubert von Talisas Lächeln und ihrer ehrlichen Art. Er mochte sie. Talisa war scharfsinnig und hatte eine klare Meinung zu den Dingen, die sie auch nicht zurück hielt. Sie verurteilte die Sklaverei in den Freien Städten, auch wenn ihre eigene Familie viele Morgen Land besaß und tausend Sklaven beschäftigte. Auch hielt sie nicht fiel von den ständigen Kriegen, sei es in Westeros oder Essos. „Sie verursachen nur Tot und Leid. Wie viel schöner wäre diese Welt, wenn wir in Frieden leben würden?"
Aegon stimmte ihr zu. Er mochte das Kämpfen, doch der Krieg war etwas, das er ablehnte. „Wenn die Lange Nacht überwunden ist, dann will ich hier in Westeros einen Tempel für den Herrn des Lichts erbauen," erklärte er. „Einen Tempel des Friedens, damit auch die Menschen in Westeros, das Licht des Herrn sehen können."
„Das würde ich gerne sehen," antwortete Talisa.
Weit nach der Stunde des Wolfes, als die Nacht am Dunkelsten war, verabschiedete sich Talisa. „Danke, für das Essen. Es war ein angenehmer Abend," sagte sie zum Abschied, als Aegon sie zur Tür begleitete. Zu seiner großen Überraschung, beugte sie sich vor und küsste Aegon auf die Wange. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder."
Aegons helle Haut wurde rot und er starrte sie nur an, während sie sich lächelnd zurückzog.
Nachdem Talisa gegangen war, saß Aegon noch lange vor dem Feuer und starrte in die Flammen.
Jon kam erst beim Morgengrauen wieder. „Du bist noch wach?", fragte er und ließ sich auf sein Bett fallen.
„Wie war die Besprechung?", fragte Aegon, um selber kein Fragen beantworten zu müssen.
Jon stöhnte. „Daenerys und Renly geben sich zwar als Königliches Paar, aber sie arbeiten im Rat ständig gegeneinander. Robb will ausharren, während Renly zurück nach Königsmund will. Maes Tyrell wettert ständig gegen Oberyn und Lord Lancel hat sich mit Lord Edmure angelegt wegen der Zerstörung der Flusslande durch Lord Tywin. Und Lady Asha ist ebenfalls auf Kriegsfuß. Robb hasst sie, weil sie den Norden angegriffen hat. Und Lord Lancel, Lord Maes und Lord Edmure hassen sie nur, weil sie ein Eisenmann ist. Einig sind sie sich alle nur, das sie Gil Steinern hassen. Dem wiederum ist alles egal, er will nur kämpfen.", Jon seufzte und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Und Bran sagt nichts, sondern sitzt nur im Götterhain. Es ist zum verrückt werden. Wenn der Nachtkönig nicht bald angreift, dann werden sich die Lebenden selber umbringen.", er richtete sich auf. „Genug von meinen Problemen. Wie war dein Tag? Du hattest Besuch habe ich gehört."
Aegon musste lächeln. „Ich glaube, ich bin verliebt."

Das andere Lied, von Eis und Feuer - Der letzte SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt