"Die Frauen des Reiches"

38 4 5
                                    

Arya zupfte an dem Überwurf aus heller weißer Seide, der den Stumpf ihres rechten Armes bedeckte. Er war bereits leicht ausgefranst. Müde starrte sie aus dem Fenster, wo Königsmund, nach einer Woche des Schneefalls endlich einen sonnigen Tag erlebte. Die ganze Stadt war von Schnee bedeckt und Eiszapfen, so groß wie Kinder, hingen an den Gebäuden. Der Winter war da. Endgültig und unabkehrbar. Sie fragte sich, wie es wohl in Winterfell aussah. Ob der Nachtkönig die alte ehrwürdige Burg hatte stehen lassen, oder nur Ruinen auf ihre Familie warteten. Und sie dachte an Nymeria. Wo die Schattenwölfin jetzt wohl war?

In Harrenhall, als man ihr die Reste ihrer zerstörten rechten Hand angenommen hatte, hatte sie, zum ersten Mal seit langem wieder von Nymeria geträumt. Sie waren am Ufer des Trident entlang gelaufen, an jenem Ort, wo Arya ihren Schattenwolf hatte zurück lassen müssen. Es war ein schöner Traum gewesen. Sie waren gerannt und die Welt war ein friedlicher Sommertag. Die Winde waren warm, die Luft voller Vogelgezwitscher.

„Nicht so schnell, Arya.", hörte sie ihre Mutter rufen.

„Lass sie. Lass sie ein Kind sein.", rief ihr Vater. Und so lief sie, während das Lachen ihrer Geschwister hinter ihr her flog. Immer schneller, bis sie über einen Stein stolperte und hinfiel. Doch in ihrer Traum fiel sie nicht, sondern lief auf allen Vieren weiter. Nun war sie Nymeria. Um sie herum konnte sie ihre Geschwister spüren. Grauwinds schlanke Gestalt und Struppels Wildheit. Geist lief hinter ihnen, abseits, doch immer in Rufweite. Und auch die verstorbenen Geschwister konnte sie spürten. Lady und Sommer.

Und so liefen sie und liefen und liefen, bis sie die Wälder hinter sich ließen, über die Steppe und die Wüste liefen, über das Meer und immer weiter, an Inseln, Kontinenten entlang, bis über den Rand der Welt.

Die Sterne wichen vor ihnen zurück und sie liefen über den Himmel, an der Sonne vorbei und über den Schweif des roten Kometen, zurück in ihre Heimat. An den Ufern eines kleines Teiches, an dem ein mächtiger Wehrholzbaum mit drei Augen sie beobachtete, hielten sie an. Arya beugte ihren Wolfskopf und trank gierig aus dem Wasser. Als sie den Kopf wider hob, stand Nymeria vor ihr und sah sie aus goldenen Augen an. „Ich habe dich vermisst," hatte Arya leise zu ihr gesagt. Die Wölfin hatte sie nur angesehen. „Komm mit mir," hatte Arya gefleht. Nymeria war aufgestanden und war zu ihr gekommen, wobei ihre Pfoten in dem kleine Teich standen. Sie hatte ihre Schnauze an das Gesicht von Arya gedrückt. Arya hatte geweint und ihre Hände in das Fell von Nymeria geklammert. Doch die Schattenwölfin hatte sie verlassen. Traurig hatte Arya ihr hinterher gesehen und bemerkt, das Nymeria hinkte und ihren rechten Vorderlauf nicht absetzte, während sie in dem dichten Unterholz verschwand. Arya hatte den Blick gesenkt und sich selber im Teich betrachtet. „Das bist nicht du," hatte sie zu ihrem Spiegelbild gesagt und war dann aufgewacht.

Der Verlust ihrer Hand war hart gewesen, doch Arya war entschlossen zu kämpfen. War es nicht auch so gewesen, als sie ihren Vater verloren hatte? War ihr nicht auch etwas genommen worden, das sie immer für Selbstverständlich gesehen hatte? Doch sie war kein Burgfräulein, das sich still zum Weinen in ihr Zimmer zurückzog. Sie war Arya Stark von Winterfell und sie würde überleben. Sie würde alles überleben. Und so war es weitergegangen. Während sie in Königsmund Zeit mit Sansa und ihrer Mutter verbracht hatte, hatte sie ihre Kraft neu gewonnen und eine Erkenntnis gewonnen: Das Leben, endete nie. Und während die Vorbereitungen für Daenerys Krönung weiter voran schritten, hatte sie eine Entscheidung getroffen, die sie nun hierher gebracht hatte.

Es klopfte an der Tür. „Arya.", fragte Margaery. Auch die Königin trug ein Kleid. Aus grünem und goldenem Tuch mit hellen grauen Schattenwölfen und nicht, wie Arya aus heller, elfenbeinfarbener Seide. Margaery setzte sich neben sie. Stumm sah sie sie an.

„Mache ich das Richtige?" fragte Arya sie leise. „Ich meine, das hier war meine Entscheidung. Ich wollte es so," sagte sie und drehte sich vom Fenster weg. Unsicher fuhr sie sich mit ihrer letzten Hand durch die Haare.

„Hast du Zweifel?" fragte Margaery sanft.

Arya schloss die Augen wünschte ihre Tränen würden endlich kommen. „Ich fühle mich so verloren, Margaery. Ich habe in Harrenhal meine Hand verloren. Zehntausend haben ihre Hand und mehr verloren. Ich weiß das. Ich tue mir auch nicht leid. Doch ich wollte immer eine Kriegerin sein und meine Familie beschützen. Das habe ich dir damals in Schnellwasser geschworen."

„Und das hast du," sagte Margaery sanft. „Und du kannst deine Familie noch immer beschützen."

Arya fuhr zu ihr herum. Wütend riss sie sich den Stoff von Arm und deutet mit dem Armstumpf auf Margaery. „Und wie? Wie soll ich so meine Familie beschützten?", ihr Lippen zitterten und ihre Augen brannten, doch sie würde nicht weinen. Sie war stark.

Margaery schwieg eine weile. „Ein Schwert und ein Dolch zu schwingen, ist nicht die einzige Art, die Familie zu beschützen.", sagte sie sanft. „Es gibt viele Dinge, die eine Frau tun kann, um der Familie zu helfen. Ich weiß das selbst nur zu gut. Es ist eine Art von Mut, sich in die Schlacht zu stürzen, wie es die Männer tun. Und wie du es getan hast. Doch es ist ein ganz anderer Mut, zu Heiraten und sein Leben im Kindbett zu riskieren. Ich habe es zweimal riskiert und deine Mutter sogar fünfmal. Und deine Mutter hat noch einen weitere Art von Mut bewiesen, als sie Renly geheiratet hat, um das Reich zu einen. Und du hast noch einen weiteren Trumpf, den viele nicht haben. Nicht einmal ich, oder deine Mutter. Du hast die Wahl.

Du kannst noch immer entscheiden, was du willst. Du kannst mit uns durch diese Tür gehen. Du kannst es aber auch verweigern, Gendry würde dich nicht aufhalten, da bin ich mir sicher. Du kannst mit mir und Robb zurück nach Winterfell. Du kannst mit deiner Mutter nach Schnellwasser. Du kannst ein Schiff nehmen und Loras folgen und die Freien Städte erkunden. Oder dich als Mann verkleiden und in der Zitadelle deine Kette schmieden. Dir steht die Welt offen. Doch das du dich für diesen Weg entscheidest, zeigt das du noch immer mutig bist."

„Mein Zeit als Kriegerin sind vorbei," sagte Arya und nun kamen die Tränen. „Wenn ich wenigstens wüsste, das ich etwas bewirkt habe, dass all das Training nicht umsonst war..."

„Das hast du!", sagte Margaery entschlossen. Entschlossen nahm sie Aryas Armstumpf in die Hand. „Jon hat mir von der Schlacht berichtet. Er sagte, dass er von Toten umzingelt war, als sie plötzlich zerstört wurden. Jon hat gesagt, das wenn die Toten nicht gefallen wären, dann hätte er dem Nachtkönig nie so weit ablenken können, dass Theon ihn hatte töten können, Arya."

Margaery zwang sie, ihren Blick zu erwidern. „Ohne dich, wären wir alle vielleicht nicht hier. Du bist eine Kriegerin, du wirst immer eine Kriegerin sein, doch vielleicht ist es jetzt an der Zeit, einen neuen Weg zu gehen. Eine neue Art, zu kämpfen zu beginnen."

Aryas Brust zitterte. Das hatte sie nicht gewusst. Sie umarmte Margaery. „Ich danke dir. Danke, dass du mir das gesagt hast," flüsterte sie. „Du hast recht. Es ist an der Zeit, einen neuen Weg zu gehen."

„Ich werde dir immer helfen. Das verspreche ich dir," antwortete Margaery. „Wir, du, ich, deine Mutter, Sansa, Roslin, Walda, sogar Daenerys und Missandei. Wir sind die Frauen des Reiches. Es ist vielleicht nicht die Rolle, die man in Liedern hört, doch wir sind es, die unsere Männer lenken und sie dazu bringen, das Richtige zu tun. Ohne uns würde alles zusammen brechen. Du wirst deinen Weg finden. Du wirst ihn immer finden. Und wer weiß, vielleicht bist du ja auch die Erste einer neuen Generation von Kriegerinnen. Jetzt, wo so viele Männer und Lords gefallen sind, können die Dinge sich vielleicht weiter entwickeln. Vielleicht wird dein Einsatz zum Vorbild einer besseren Welt für uns Frauen."

Arya lachte und die die dunkle Wolke des Zweifels verschwand. Sie umarmte Margaery dankbar. „Ich danke dir, Margaery. Ich bin glücklich, dich meine Schwester nennen zu dürfen."

Margaery lächelte sie an. „Ich hatte nie eine Schwester und ich bin froh, deine Schwester zu sein." Sie stand auf und richtete ihr Kleid. „Also, bereit in die nächste Schlacht zu gehen?" Sie hielt ihr den Stoff hin, der ihren Armstumpf verdeckte.

Arya nickte und stand auf. „Ja.", sagte sie und hielt ihren Armstumpf so, das alle ihn sehen konnten. Sie würde sich nicht verstecken. Einst war sie die Nachtwölfin gewesen, doch jetzt würde sie ins Licht treten. „Ich bin bereit."

Das andere Lied, von Eis und Feuer - Der letzte SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt