10. Kapitel

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     Die Nacht war schneller gekommen als mir lieb war und jetzt saßen Dejan und ich auf seinem Balkon und blickten aufs Meer hinaus. Einzelne Schiffe fuhren noch vorbei, doch viel war von ihnen nicht zu erkennen, da der Mond kaum noch zu sehen war, da er sich hinter einer Wolke versteckte, die er erleuchtete.
     Dejan und ich unterhielten uns über Gott und die Welt. Es gab nichts Schöneres gerade, als hier auf seinem Balkon zu sitzen, die Meeresluft zu atmen und ein kühles Getränk zu trinken. Besser konnte man sich den Tag nicht vorstellen. Oder den Abend.
     Trotzdem fehlte mir etwas. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich in Richtung Hafen blickte, in der Hoffnung, etwas sehen zu können. Natürlich sah ich nichts. Wie denn auch? Es gab nicht viel zu sehen. Nur die Lichter der Stadt. Zadar war eine Stadt. Nicht so groß wie Split, aber groß.
     Zadar gefiel mir auch etwas besser. Was mir aber nicht dabei half, die Gefühle in meinem Inneren zu klären, die ich gerade empfand. Denn ich empfand sie, nur konnte ich sie nicht richtig einordnen. Meine Gefühle waren ein Wirrwarr, das ich nicht entwirren konnte.

     Stattdessen versuchte ich verzweifelt herauszufinden, welche Gefühle gerade in mir vorging. Und ich scheiterte. Scheiterte an dieser kleinen Sache. Einfach so. Weil ich nicht herausfinden konnte, was ich eigentlich empfand. Ich konnte es nicht. Und das setzte mir zu.
     Dejan bemerkte meine innere Ruhe sofort. In dieser Hinsicht hatte er das Feingefühl eines Tieres. Denn oft genug hatte ich Hunde, so wie Katzen und andere Tiere dabei beobachtet, wie sie ganz genau wussten, was ihr Umfeld empfand.
     Ich tat mich darin manchmal schwer, doch Dejan bemerkte alles. An ihm ging nichts vorbei. Man konnte nichts vor ihm verstecken. Ich wusste nicht, wie das ging. Wusste nicht, wie er das sehen konnte. Besonders immer. Es führte kein Weg daran vorbei. Es gab einfach Dinge, die ich ihm einfach nicht vorenthalten konnte. So auch meine innere Unruhe, die er sofort bemerkte.

      »Was ist los? Hat Vaughn etwas gemacht? Ist es das?«
      Sofort schüttelte ich den Kopf. »Nein. Vaughn hat mir die Wahrheit erzählt und ich habe festgestellt, dass ich etwas unfair zu ihm war. Ständig habe ich nur daran gedacht, dass ich starke Schmerzen empfunden habe und wollte nicht daran denken, dass auch sicher für ihn hart gewesen war. Das habe ich jetzt gelernt. Dass es auch für ihn sehr schmerhaft gewesen sein musste. Das ist mir dann alles aufgefallen.«
     Dejan nickte. »Da ist wohl etwas dran. Nur ist es menschlich, erst an seinen Schmerz zu denken. Du warst verletzt. Durch ihn. Natürlich hast du ihn da in einem dunklen Licht gesehen und warst verzweifelt. Da hattest du nur Augen für dich.«
      Seine Worte waren schlüssig und ich verstand sie auch, doch auf der anderen Seite aber war ich mir nicht sicher, ob mir es half das zu wissen. Denn ein Teil in mir wusste, dass ich Vaughn unrecht getan hatte mit meinem ganzen Verhalten. Ich hatte ihm Unrecht getan und das konnte niemand verhindern. Niemand. Denn das hatte ich getan. Einfach so. Und ich... ich war diejenige gewesen, die ihn über Jahre hinweg nicht hatte reden lassen.
     Ich allein und ich wusste, dass diese Gedanken mich länger verfolgen würden, als mir lieb war. Denn das war die Realität. Diese Gedanken... ich würde sie sehr lange haben. Eine sehr lange Zeit und daran würde sich leider nichts ändern. Ich würde sie haben, bis ich das Gefühl hatte darüber hinweg zu sein. Denn das war das Wichtigste.

     Ich musste es lernen. Musste lernen damit umzugehen. Bis ich viele Dinge mit Vaughn geklärt hatte. Dejan fiel natürlich auf, dass ich immer tiefer in Gedanken versank, deswegen holte er mich heraus.
     »Du kannst ja noch immer mit ihm reden. Keine große Sache, Sita. Das, was du getan hast, war vollkommen normal. Wir Menschen schützen uns vor Schmerz, damit es uns selbst besser geht. Das war also zu erwarten gewesen.«
     Ich nickte und stimmte ihm insgeheim zu. Er hatte ja recht. Irgendwie. Nur musste das mein Herz verstehen. Dies tat es aber nicht. Es verspürte noch immer den Stich, den es bekommen hatte, weil es sich um Vaughn sorgte.
     Vaughn... heute und gestern war er so anders gewesen als der Vaughn, den ich gekannt hatte. Erst da war mir aufgefallen, wie sehr das alles auch an ihm gezerrt haben musste. Es musste ihm ja aufgefallen sein. Irgendwie.
     Seufzend schloss ich die Augen und richtete meine ganze Aufmerksamkeit dann wieder auf Dejan. Dieser schenkte mir ein kleines Lächeln.
     »Vaughn ist dir sicher nicht böse. Ich denke, er hat einfach viel mit sich herumzutragen. Wie du auch.«

Das Rätsel des VertrauensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt