20. Kapitel

95 12 2
                                    

     Vaughn und ich liefen schweigend durch die Gassen von Zadar. Am Himmel funkelten die Sterne und der Mond leuchtete, doch man sah durch die Lichter nur sehr wenig davon. Dejan hatte uns liebevoll rausgeworfen, als wir den ganzen Nachmittag zusammen mit ihm in der Wohnung verbracht hatten.
     Mein Magen hatte irgendwann geknurrt und Vaughn hatte vorgeschlagen, dass er mit mir Essen gehen konnte. Sofort hatte ich zugestimmt. Mein Kopf hatte die Alarmanalage angeschaltet und mich hören lassen, dass das eine schlechte Idee sei, doch ich glaubte es nicht. Glaubte es nicht, weil ich es mochte. Weil es mir gut ging.
     Hier neben Vaughn ging es mir gut. Viel zu gut, um ehrlich zu sein. Denn das könnte in Zukunft noch ein Nachteil werden. Ein großer Nachteil.

     Denn schon jetzt wisperte mein Herz, dass es mir in seiner Nähe mehr als nur gut ging, was bedeutete, dass Vaughn sehr wichtig für mich war und ich mich irgendwie von ihm abhängig machte.
     Allerdings wusste ich nicht, wie ich es rückgängig machen sollte. Wie? Wie sollte das gehen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, wie ich mich nicht von ihm abhängig machen sollte. Wie sollte das auch gehen?
     Wir kamen an der Kirche an und Vaughn führte mich weiter. Ich wusste, wo er mich hinführte. Dejan hatte mir das versteckte Restaurant abseits des Trubels gezeigt. Es war beschildert, aber meist sehr ruhig.
     Wir liefen in den kleinen Hinterhof, der eher ein wunderschön angelegter Garten, mitten in der Stadt war. Die Bäume spendeten an heißen Tagen genug Schatten und es duftete nach Blumen.

     Die ältere Dame, die das Restaurant leitete, kam aus dem Haus und schenkte uns beiden ein Lächeln. Und dann geschah das, was ich niemals erwartet hätte. Sie dirigierte uns an einen Tisch für zwei Personen, unter einem Baum und auf den Tisch stand eine Kerze, die sie sofort anzündete.
     Erst jetzt wurde mir klar, was Leute noch immer sahen, wenn ein Mann und eine Frau durch die Stadt liefen, selbst wenn sie nicht Händchen hielten. Sie sahen noch immer ein Paar. Und das musste wohl auch die ältere Dame sehen. Ich brachte es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass wir kein paar waren.
     Stattdessen saß ich einfach hier, gegenüber von Vaughn und betrachtete sein Gesicht, dass von der Lichterkette in den Bäumen und der Kerze erhellt wurde.
     Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Diese Szene kam mir verdammt vertraut vor. Weil wir schon einmal so in einem Restaurant gesessen hatten. Zusammen. An einem Tisch für nur zwei Personen und eine Kerze hatte vor uns gestanden. Wir hatten sogar das Dessert für Paare bekommen. Diese Szene erinnerte sehr stark daran.

     Und ich wusste nicht was ich damit anfangen sollte. Auf einer Seite wollte ich mit ihm hier sitzen, aber auf der anderen Seite hatte ich Angst, dass ich mich in ihm verlieren würde und somit mein Herz. Denn das war das Unausweichliche. Ob früher oder später würde ich mich in ihm verlieren.
     Das wusste ich ganz bestimmt. Ganz bestimmt würde ich mich in ihm verlieren. Vaughn lächelte mich sanft und voller Wärme an. Und diesmal pochte mein Herz wie wild. Noch immer konnte ich nicht vergessen, was er heute für mich getan hatte. Was er gesagt hatte. Wie er für mich dagewesen war. Einfach so.
     Er war gekommen. Für mich. Weil Dejan ihm bescheidgegeben hatte. Dejan hatte mir die Nachrichten gezeigt.
     Dejan hatte geschrieben: Sita geht es nicht.
     Vaughn hatte nur geantwortet: Bin unterwegs.

     Der Uhrzeit nach zu urteilen hatte er einfach alles stehen und liegen lassen und war sofort hierhergekommen. Ohne zu zögern. Und ich wusste noch immer nicht, was ich davon halten sollte. Ich wusste es nicht.
     Alles fühlte sich gerade komisch an. Meine Gedanken drohten erneut Achterbahn zu fahren an diesem Tag. Zumindest lenkte es mich von den Morgenstunden ab, die alles andere als gut verlaufen waren.
     Ehe ich zu tief in meinen Gedanken versinken konnte, kam die ältere Dame zu uns, mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Sie gab uns die Speisekarte und fragte gleichzeitig: »Was kann ich euch beiden denn zu Trinken geben?«
     An ihrer Stimme merkte man bereits, was sie dachte. Man hörte direkt, was sie von uns dachte. Man hörte es einfach. Vaughn aber korrigierte sie nicht. Vaughn bestellte ein Wasser für uns beide und noch ein Bier. Ich bestellte mir einen Spezi dazu. Sie verschwand wieder und ich versank in den Angeboten der Karte. Es gab eine große Auswahl an den traditionellen Gerichten der kroatischen Küche.

Das Rätsel des VertrauensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt