32. Kapitel

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     Der Tag der Abreise kam immer näher. Immer und immer näher. Ich wollte schon gar nicht mehr auf das Datum schauen, da ich wusste, dass ich bald mit einem Schiff nach Zadar fahren würde und von dort aus zurück nach Mali. Die Vorstellung, dass das hier schon so bald vorbei war, hinterließ einen bitteren Geschmack in meinem Mund.
     Auf der anderen Seite aber wusste ich, dass daran kein Weg vorbeiführte. Eines Tages musste man gehen. Das konnte niemand ändern. Auch, wenn ich womöglich noch viel länger bleiben wollte. Noch sehr viel länger. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, Vaughn jetzt schon zu verlassen, bis er dann noch mal eine Woche in Cres verbringen würde.
     Die Zeit bis dahin schien mir endlos zu sein. Besonders, weil ich wusste, was mich Zuhause erwartete. Ich würde ins Büro müssen und meine Sachen nehmen müssen. Ich würde mir erneut diese Blicke antun müssen. Müsste mir erneut Dinge anhören, die ich nicht hören wollte. All diese Dinge warteten auf mich und ich war gewillt davonzurennen wie ein kleines Kind, das der Angst nachgab, anstatt sich vom Mut leiten zu lassen.
     Dejan hatte mir zwar wieder mal geschrieben, doch er war noch immer kurz angebunden und nicht gerade gesprächig. Rocco war ähnlich. Er sprach selten mit jemanden von uns und wenn, dann fragte er nur, was wir gerne essen würden oder gegen was wir allergisch waren. Rocco selbst war nicht mehr so strahlend wie am Anfang des Urlaubs.

     Und meine Stimmung passte sich mit jedem verstreichenden Tag seiner Stimmung an. Ich war nicht mehr so strahlend und fröhlich, weil ich wusste, dass mir nur noch zwei Tage mit Vaughn blieben, ehe mein Schiff zurückgehen würde.
     Die Zeit war einfach viel zu schnell vergangen. Wie im Flug. Kaum hatte ich geblinzelt, schienen vier Tage vergangen zu sein, wenn nicht noch mehr. Die Welt drehte sich momentan in einem Tempo, das man nicht aufhalten konnte. Ich schon gar nicht. Ich konnte es nicht aufhalten und wohl auch niemand sonst.
     »Du siehst betrübt aus«, stellte Vaughn an diesem Abend fest, als wir durch die Straßen von Trogir liefen, auf ein Restaurant zu. Nur wir beide, ohne die anderen. Ich sollte mich freuen. Wir hatten ein Date. Zu zweit, ganz alleine. Und es war ein schöner Abend. Wunderschön, um ehrlich zu sein.
     Irgendwie aber sprang die Freude nicht mehr über, da sie von dunklen Schatten der Realität überdeckt wurde.

     »Ich denke die ganze Zeit daran, dass der Urlaub mit dir bald vorbei ist«, murmelte ich und sah ihn an. Vaughn hielt an. Mit einer raschen, fließenden Bewegung zog er mich an seinen Körper und sah mich an.
     »Der Urlaub mag vorbei sein, aber meine Gefühle für dich werden sich nicht in Luft auflösen. Das darfst du nie vergessen.«
      Und das wusste ich. Natürlich wusste ich das. Seine Gefühle und auch meine würden nicht einfach so verschwinden. Trotzdem fragte ich mich, wie die Zukunft aussehen würde. Ich fragte mich, wie die Zukunft sein würde, wenn er in den USA war und ich hier. In Kroatien zu leben war möglich, auch wenn man aus den USA kam. Mika und Dardan waren ein gutes Beispiel dafür.

     Trotzdem war da eine Stimme in meinem Kopf, die mir zu sagen versuchte, dass Vaughn Michaels niemals nach Cres ziehen würde. Cres war nicht seine Heimat. Cres war in seinen Augen wohl ein Kuhdorf. Cres war für seine Verhältnisse keine Stadt, dabei war Cres die Hauptstadt der Insel. Für ihn war es nur ein Dorf.
     Und die Jobaussichten hier waren nicht so gut wie die in den USA. Hier gab es all das noch gar nicht. Hier lebten eher mehr Landleute oder andere fuhren aufs Festland, um zu arbeiten. Hier gab es auch nicht den Stress, den Vaughn sich manchmal wegen der Arbeit machte. Und ja, vielleicht konnte er von hier aus arbeiten und ja, ich wusste ja auch eigentlich, dass er mir bereits versichert hatte, dass er mich liebte und dass er für mich hier leben würde, wenn er wüsste, dass ich ihn wirklich will. Die Sache war nur die: Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, was ich gerade wollte. Momentan war mein Kopf oft eine wilder Strudel aus Gedanken, in denen ich mich kaum zurecht fand. Ein wilder Strudel, in dem ich manchmal drohte zu ertrinken. So wie jetzt gerade.
      Ein Teil von mir glaubte Vaughn. Glaubte, was er sagte. Seine Gefühle für mich würden nicht so einfach verschwinden. Doch da war diese böse Stimme, die mich daran erinnerte, dass er damals einfach verschwunden ist. Diese böse Stimme, die sagte, dass Vaughn vielleicht nicht mehr hierher zurückkam.
     Nein, dachte ich. Nein. Er wird zurückkommen. Vaughn wird zurückkommen. Weil seine Gefühle für mich nicht vergänglich sind, genauso wenig wie meine für ihn. Das werden sie nicht sein. Nicht einfach so. Und seine für mich ebenfalls nicht.
     Das war also das „Geheimnis". Ich musste nur versuchen, meine Zweifel zu ersticken. Ich wusste nur nicht, wie ich das hinbekommen sollte. Ich wusste nicht, wie ich es schaffen sollte, all meine Zweifel im Keim zu ersticken, denn mein Selbstbewusstsein blühte zwar in Vaughns Nähe auf, aber es war noch nicht vollständig zurück. Im Gegenteil. Es verließ mich immer wieder, egal wie sehr ich versuchte es zurückzuholen.

Das Rätsel des VertrauensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt